BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 995/02

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 85; ZPO § 412; VwGO § 98; VwGO § 86 Abs. 2; BVerfGG § 93b; BVerfGG § 93a; BVerfGG § 93a Abs. 2; GG Art. 16a Abs. 1

Instanzenzug: OVG Bremen 2 A 350/01 .A vom VG Bremen 2 K 1270/01 .A vom

Gründe

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. Ein entscheidungserheblicher Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen Art. 16a Abs. 1 GG liegt nicht vor. Dieses hat den ihm bei der Feststellung des Tatbestandes "politisch Verfolgter" eingeräumten Wertungsrahmen eingehalten und auch der asylspezifischen, verfassungsrechtlich verbürgten Ermittlungs- und Aufklärungspflicht genügt (vgl. BVerfGE 76, 143 <162>).

Zwar hat das Verwaltungsgericht nirgendwo ausdrücklich festgestellt, ob der Beschwerdeführer vorverfolgt oder nicht vorverfolgt ausgereist ist. Es konnte diese Frage jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers offen lassen, da es entscheidungstragend darauf abgestellt hat, dass der Beschwerdeführer in der Westtürkei hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sei. Gegen diese fachgerichtliche Einschätzung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Es trifft insbesondere nicht zu, dass das Verwaltungsgericht seine Behauptung, der Beschwerdeführer habe bei einer Rückkehr in die Türkei und einem Aufenthalt in der Westtürkei keine Individualverfolgung zu befürchten, nicht belegt habe. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt, warum der Beschwerdeführer trotz einer Registrierung in seiner Heimat und für ihn damit möglicherweise verbundener Schwierigkeiten im Falle einer Rückkehr dorthin bei einem Aufenthalt in der Westtürkei - also gerade nicht in seiner Heimatumgebung - hinreichend sicher vor Verfolgungsgefahren wäre. Dabei geht das Gericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Berufungsinstanz davon aus, dass eine landesweite politische Verfolgung nur dann anzunehmen sei, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beschwerdeführer von den türkischen Sicherheitsbehörden auch im Westen der Türkei der Unterstützung der PKK oder des Separatismus verdächtigt würde; das sei bei ihm aber mangels landesweiten Abgleichs von Registern der zuständigen Polizei am Heimatort über frühere vorläufige Festnahmen nicht der Fall. Von seinem rechtlichen Standpunkt aus zutreffend hat das Verwaltungsgericht daher "in diesem Zusammenhang" offen gelassen, inwieweit den Schilderungen des Beschwerdeführers im Einzelnen gefolgt werden könne, da im Westen der Türkei eine hinreichende Verfolgungssicherheit anzunehmen sei.

Das Verwaltungsgericht hat auch bei der Frage der inländischen Fluchtalternative den Inhalt und die Reichweite des Asylgrundrechts nicht verkannt. Soweit es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Beschwerdeführer wegen seiner für die PKK gehegten Sympathien in der Westtürkei nicht verfolgt werde, hat der Beschwerdeführer dem allein die Behauptung entgegen gestellt, die an seine politischen Überzeugung (Anhänger der PKK) anknüpfende Verfolgung sei in der Türkei nicht regional begrenzt, weil von einer bloß regionalen Verfolgung nur dann gesprochen werden könne, wenn diese in den übrigen Landesteilen nicht stattfinde. Dies hat das Verwaltungsgericht jedoch hinsichtlich der vom Beschwerdeführer im Osten der Türkei gezeigten Aktivitäten festgestellt. Warum keine Verfolgung stattfindet, z.B. wegen fehlenden Informationsflusses unter den türkischen Sicherheitsbehörden, ist unerheblich.

Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts verletzt auch nicht deshalb Art. 16a Abs. 1 GG, weil das Gericht den vom Beschwerdeführer geschilderten Verfolgungsmaßnahmen mangels eines konkreten Strafverfolgungsinteresses die Asylrelevanz abgesprochen hat. Diese Einschätzung ist nicht entscheidungserheblich; das Verwaltungsgericht hat tragend darauf abgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Westtürkei hinreichend sicher sei vor einer Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen, also unabhängig davon, ob diese, so sie denn stattgefunden hätten, bereits asylerheblich gewesen wären.

2. Das verwaltungsgerichtliche Urteil verletzt nicht das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör.

a) Soweit mit der Verfassungsbeschwerde gerügt wird, das Verwaltungsgericht habe sich mit dem Vortrag des Beschwerdeführers, insbesondere den von ihm geschilderten Verfolgungsmaßnahmen, nicht ernsthaft auseinander gesetzt und lapidar auf den Bundesamtsbescheid "im Wesentlichen" Bezug genommen, greift der Beschwerdeführer im Gewande der Gehörsrüge allein die seiner Meinung nach falsche Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an. Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, bei der Bewertung des fluchtauslösenden Ereignisses (Auffinden des Briefes und fünftägige Festnahme der Eltern) lasse das Gericht seinen Vortrag zu seinen PKK-Aktivitäten außer Acht.

b) Dass das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Widersprüche zwischen seinem Vortrag und dem seiner Schwester in deren Asylverfahren nicht vorgehalten hat, stellt ebenfalls keine Gehörsverletzung dar, denn insoweit handelt es sich um nicht entscheidungstragende Erwägungen. Ausdrücklich hat das Gericht offen gelassen, ob den Schilderungen des Beschwerdeführers zu seiner individuellen Verfolgung zu folgen sei.

c) Die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge verletzt ebenfalls nicht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Die jeweiligen Ablehnungsgründe finden im Prozessrecht eine Stütze.

aa) Die Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens von Rechtsanwalt Osman Aydin hat das Verwaltungsgericht darauf gestützt, dass ihm zu den gestellten Beweisfragen bereits eine Vielzahl von Gutachten und anderen Erkenntnissen vorliege und nicht ersichtlich sei, warum gleichwohl zu dem angesprochenen Fragenkomplex ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden solle. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Tatsachengerichte können einen Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen (vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, z.B. Beschluss vom , Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46). Vorliegend hat das Verwaltungsgericht auf seine eigene Sachkunde, beruhend auf den vorliegenden Erkenntnismitteln, verwiesen. Erforderlich ist in einem solchen Fall, dass das Tatsachengericht seine Entscheidung nachvollziehbar begründet und insbesondere angibt, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Nachweis der eigenen Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht in dem Verfahren in Streit stehenden Einzelfragen ab; jedenfalls muss der Nachweis plausibel und nachvollziehbar sein und der Verweis auf vorhandene Gutachten und Auskünfte dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten seien (vgl. AuAS 2001, S. 263 und Beschluss vom , a.a.O.).

bb) Der Beschwerdeführer behauptet, das angegriffene Urteil enthalte zu den Beweisgegenständen 1 und 2 keine Erkenntnisse. Beim ersten Beweisgegenstand war es darum gegangen, dass schon das Auffinden von verschlüsselten Nachrichten bei einem PKK-Sympathisanten zur Einleitung eines Strafverfahrens führe, und beim zweiten darum, dass in einem Ermittlungsverfahren wegen PKK-Unterstützung die Ermittlungen landesweit geführt würden, wobei es auch andere als auf einem Haftbefehl gründende Formen landesweiter Suche gebe. Mit der Verfassungsbeschwerde wird indes nicht dargetan, dass in den vom Verwaltungsgericht verwerteten Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zu den beiden Beweisgegenständen enthalten seien. Es wird lediglich behauptet, dass das Gericht, indem es in der Beschlagnahme verschiedener Gegenstände des Beschwerdeführers noch keinen Anlass für ein Strafverfahren sehe, dessen Vortrag betreffend seine Verdächtigung und Verfolgung wegen PKK-Unterstützung nicht beachtet habe. Dieser Angriff betrifft die materiellrechtliche Würdigung und nicht das Prozessrecht.

Hinsichtlich der Beweisgegenstände 3 bis 5 hat der Beschwerdeführer ebenfalls gerügt, dass das Gericht hierzu im Urteil weder konkret Stellung genommen noch Erkenntnisse, die die Beweisfragen beantworten würden, eingeführt habe. Durch Einholung des begehrten Sachverständigengutachtens wäre seiner Auffassung nach bewiesen worden, dass es bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei eine Reihe konkreter Verdachtsmomente gebe, die ihn im Sinne der Anforderungen des Oberverwaltungsgerichts Bremen verdächtig machten und Anlass zu einer Nachfrage bei den örtlichen Sicherheitsbehörden seien. Auch dieser Einwand verfängt nicht. Hinsichtlich der Rückkehrgefährdung wegen einer etwaigen Registrierung am Heimatort hat das Verwaltungsgericht Bezug genommen auf die im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom verwerteten Erkenntnisse, die in seinem eigenen Urteil vom eingeführten Quellen sowie die aktuelle Auskunftslage. Angesichts dieser Vielzahl von Auskünften, Gutachten etc. kann die pauschale Behauptung des Beschwerdeführers, das Gericht habe im Urteil zu den Beweisfragen nicht konkret Stellung genommen und keine Erkenntnisse eingeführt, die die Beweisfragen beantworteten, nicht als ausreichend zur Widerlegung hinreichender gerichtlicher Sachkunde angesehen werden.

d) Der weitere Einwand, das Gericht missachte die in der mündlichen Verhandlung überreichte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom , ist unsubstantiiert: Es wird aus diesem Urteil lediglich die Passage herausgegriffen, in der es angeblich heißt, dass jemand, der verdächtigt wird, der PKK-Guerilla anzugehören, als Aktivist der PKK landesweit gesucht werde, wobei dann noch auf eine andere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom hingewiesen wird, in der es heiße, dass bei Angehörigen der Militärorganisation der PKK ohne Weiteres anzunehmen sei, dass ein Haftbefehl existiert. Aufgrund dieser aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate lässt sich nicht die Feststellung treffen, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht zur Kenntnis genommen und erwogen habe: Das Verwaltungsgericht hat sich in den Urteilsgründen ausdrücklich mit dem Urteil vom auseinander gesetzt; es ist dabei indes zu dem Ergebnis gelangt, dass nur für Angehörige von Aktivisten militanter staatsfeindlicher Organisationen, gegen die aktuell Strafverfolgung betrieben und nach denen landesweit gefahndet werde, eine Verfolgungsgefahr (unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft) bestehe; einen derartigen Sachverhalt, nämlich eine landesweite Suche nach dem Bruder des Beschwerdeführers aufgrund eines Haftbefehls, hat es trotz eines Verdachts, dieser habe sich der PKK-Guerilla angeschlossen, gerade ausgeschlossen. Dass das Verwaltungsgericht mit dieser - von der des Oberverwaltungsgerichts Münster möglicherweise abweichenden - Einschätzung den ihm offen stehenden Wertungsrahmen (vgl. BVerfGE 76, 143 <161 f.>) überschritten habe, wird in der Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert dargelegt.

e) Auch die Ablehnung des Antrags auf mündliche Erläuterung der Gutachten Kaya und Rumpf versagt dem Beschwerdeführer nicht das rechtliche Gehör. Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung kann die Vernehmung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ein taugliches Mittel zur Sachverhaltsaufklärung sein. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Beweisantrages aber nicht auf die Ungeeignetheit der beantragten Maßnahme gestützt, sondern auf die verspätete Antragstellung. Gegen diese Begründung hat der Beschwerdeführer keine verfassungsrechtlich beachtlichen Einwände erhoben. Die schlichte Behauptung, dass § 85 ZPO auf diesen Fall nicht anwendbar sei und die Kenntnis eines im fachgerichtlichen Verfahren ebenfalls bevollmächtigten weiteren Rechtsanwalts und dessen Verschulden ihm nicht zurechenbar seien, ist nicht geeignet, einen Grundrechtsverstoß aufzuweisen.

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten ist mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde kein Raum.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
UAAAB-87468