BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 717/97

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: RBerG § 5 Nr. 1; RBerG § 1 Abs. 1; RBerG § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1; BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3; GG Art. 12 Abs. 1;

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob ein Rentenberater Prozesse gegen die Bundesanstalt für Arbeit führen darf.

I.

1. Der Beschwerdeführer hat gemäß Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Rechtsberatungsgesetzes (im Folgenden: RBerG) die Erlaubnis, geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen, einschließlich der Rechtsberatung, beschränkt auf das Gebiet der Rentenberatung. Er hat eine Mandantin im Widerspruchsverfahren gegen einen Bescheid vertreten, mit dem Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitslosengeld) wegen Erzielung von Nebeneinnahmen zurückgefordert worden sind. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen seine Zurückweisung als Verfahrensbevollmächtigter. Seine dahingehende Feststellungsklage blieb in allen Instanzen erfolglos. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (MDR 1997, S. 859) umfasst die Erlaubnis als "Rentenberater" nicht das Gebiet der Arbeitslosenversicherung. Schon der Begriff spreche dafür, dass die Tätigkeit des Rentenberaters Renten betreffen müsse. Auch eine Annexkompetenz nach Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG liege nicht vor. Eine auf den Bezug von Arbeitslosengeld gerichtete Tätigkeit sprenge den Rahmen eines notwendigen Hilfsgeschäftes für eine Rentenberatertätigkeit.

2. Mit seiner gegen das Urteil des Bundessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. In Anbetracht der immer stärkeren Verzahnung aller Rechtsgebiete im Sozialrecht könne er auf der Grundlage der angegriffenen Entscheidung seine Tätigkeit als Rentenberater nicht mehr adäquat ausüben. Seine Mandantschaft erwarte von ihm eine umfassende Würdigung ihrer gesamten Sozialleistungsansprüche. Ergänzend trägt er vor: Der Gesetzgeber habe den Rentenberater nicht als reinen "Rentenberechner", sondern als Rechtsbeistand auf dem Gebiet des Sozialrechts geschaffen. Dazu gehöre auch das Recht auf wirtschaftliche Sicherung im Falle einer Arbeitslosigkeit.

II.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, die Landesregierungen von Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, die Sächsische Staatsregierung, die Bundesanstalt für Arbeit, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, der Bundesverband Deutscher Rechtsbeistände, der Bundesverband der Rentenberater, der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Sozialverband VdK Deutschland Stellung genommen.

1. Nach den Stellungnahmen der Bundesregierung, der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und des Sozialverbandes VdK Deutschland, mit denen die Landesregierungen und der Deutsche Gewerkschaftsbund im Wesentlichen übereinstimmen, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. In der Bundesrepublik Deutschland bestünden zwar aufgrund des gegliederten Systems der Sozialversicherung zwischen dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und dem der Arbeitsförderung vielfältige Verbindungen (vgl. § 3 Satz 1 Nr. 3; § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1; § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; § 237 Sozialgesetzbuch <SGB> Sechstes Buch <VI> - Gesetzliche Rentenversicherung - im Folgenden: SGB VI). Ohne Kenntnisse auch der Arbeitslosenversicherung könne ein Rentenverfahren nicht durchgeführt werden. Im Rentenverfahren gehe es aber vornehmlich um Voraussetzungen eines rentenrechtlichen Tatbestandes. Der Rentenberater müsse Auskunft und Beratung nur unter rentenrechtlichen Aspekten leisten; insoweit dürfe er in Fragen der Arbeitsförderung auch beraten. Das Arbeitsförderungsrecht sei aber nicht sein eigentliches Arbeitsgebiet und gehöre auch nicht zum Prüfungsstoff für die Zulassung von Rentenberatern.

2. Der Bundesverband Deutscher Rechtsbeistände hat sich dahin geäußert, dass seit 1980 eine Entwicklung eingetreten sei, die in bestimmten Bereichen zu einer engeren Verzahnung der Systeme der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung geführt habe; durch das In-Kraft-Treten des Altersteilzeitgesetzes sei diese Tendenz noch verstärkt worden. Das Tätigkeitsbild des Rentenberaters müsse daher auch die Arbeitslosenversicherung umfassen. Im Übrigen ergebe sich aus den Gesetzgebungsmaterialien (BTDrucks 8/4277, S. 22), dass der Begriff Rentenberater umfassend zu verstehen sei.

3. Dem stimmt der Bundesverband der Rentenberater weitgehend zu. Rentenberater seien zur Beratung in außerrentenrechtlichen Fragen zuzulassen, soweit deren Klärung zur Beantwortung des übernommenen Auftrags unerlässlich sei. Dazu gehöre auch die Beratung im Bereich des Rechts der Arbeitsförderung. Gegenstand der Sachkundeprüfung seien allerdings seit 1990/91 nicht mehr Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (im Folgenden: SGB III).

III.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Fixierung von Berufsbildern (vgl. BVerfGE 13, 97 <106, 117>; 25, 236 <247 f.>; 54, 301 <314, 322>; 59, 302 <315>; 78, 179 <193>) und insbesondere zur Berufstätigkeit der Rechtsbeistände (BVerfGE 41, 378; 75, 246; 75, 284; 97, 12) hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden. Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes greift der Beschwerdeführer auch nicht an.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts, die es dem Beschwerdeführer verwehrt, ganz allgemein auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung tätig zu werden, greift in dessen Berufsausübungsfreiheit ein. Mit Art. 12 Abs. 1 GG ist dies nur vereinbar, wenn der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, wenn also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 94, 372 <390>; stRspr). Erfolgt der Grundrechtseingriff durch eine normauslegende und -anwendende gerichtliche Entscheidung, muss diese die Tragweite des Grundrechts der Berufsausübung hinreichend berücksichtigen, und sie darf im Ergebnis nicht zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führen (vgl. BVerfGE 85, 248 <258>).

Gemessen daran ist die Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht zu beanstanden.

a) Das Verbot der Rechtsberatung auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung beruht auf den gesetzlichen Grundlagen in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG.

Dass die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten als Rentenberater nicht das Tätigwerden auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung umfasst, ergibt sich nach Auffassung des Bundessozialgerichts aus Wortsinn (unter Bezugnahme auf BVerfGE 75, 284 <301>), Entstehungsgeschichte (unter Bezugnahme auf BTDrucks 8/4277, S. 22) sowie Sinn und Zweck des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Eine fachübergreifende Beratungs- oder Vertretungskompetenz ist dem Gesetz auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht zu entnehmen. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts berücksichtigt die Tragweite des Grundrechts auf Berufsfreiheit insoweit in dem gebotenen Maße.

b) Die getroffene Regelung zur Berufstätigkeit der Rechtsbeistände dient einem hochwertigen Gemeinschaftsgut, dem Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung und der in der Rechtspflege Tätigen vor nicht hinlänglich qualifizierten Rechtsberatern (BVerfGE 75, 246 <267>). Hierzu ist sie geeignet und auch erforderlich.

Die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RBerG berechtigt den Rechtsbeistand zur geschäftsmäßigen Rentenberechnung und -beratung (vgl. Rennen/Caliebe, RBerG, 2. Aufl. 1992, Art. 1 § 1 Rn. 88 m.w.N.). Das insoweit einschlägige Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) knüpft an Sachverhalte und Rechtsgebiete außerhalb seiner selbst an; dazu zählen berufskundliche und medizinische Tatsachen und die Gebiete des Zivil-, Gesellschafts- und Arbeitsrechts sowie des öffentlichen Dienstrechts. Auch Tatbestände der Arbeitsförderung spielen für die Rentenberatung eine Rolle; der Beschwerdeführer und diejenigen, die sich im Verfahren geäußert haben, führen hierfür zahlreiche Beispiele auf. Bei all den genannten Fällen geht es jedoch in erster Linie um die Voraussetzungen eines rentenrechtlichen Tatbestandes, also um das Zusammenspiel von Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung. In Bezug auf das Arbeitsförderungsrecht wird nur ein Teilbereich angesprochen. Umfassende Kenntnisse des ganzen Rechtsgebiets sind hierfür nicht erforderlich.

Dass für die Rentenberatung Kenntnisse über Ansprüche nach dem SGB III allenfalls am Rande eine Rolle spielen, berücksichtigen auch die Prüfungsanforderungen für die Sachkundeprüfung der Rentenberater: Nach den Stellungnahmen der Landesregierungen und auch des Bundesverbandes der Rentenberater ist Gegenstand der Sachkundeprüfung des Rentenberaters nicht das Recht der Arbeitsförderung. Die Rentenberater sind dementsprechend nach ihrer Qualifikation keine Rechtsbeistände für Sozialrecht, so dass die angegriffene Einschränkung erforderlich ist, damit sich Sachkunde und Berufsausübung decken.

c) Die Beschränkung ist dem Beschwerdeführer auch zuzumuten. Das ergibt sich aus einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Beratung in allen Fragen der Arbeitsförderung, die sich auf die rentenrechtlichen Fragen auswirken, ist dem Beschwerdeführer gestattet. Der durch die Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz eröffnete Beruf ist ihm in vollem Umfang möglich. Die Prozessvertretung, die ihm im Ausgangsverfahren verwehrt worden ist, hat gerade keinen Bezug zur Klärung von Rentenkonten oder zur Geltendmachung von Rentenansprüchen. Die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden und die Rückforderung überzahlter Leistungen setzen spezifische Kenntnisse des Arbeitsförderungsrechts voraus, das auch im Verfahrensrecht Besonderheiten im Verhältnis zum sonstigen Sozialversicherungsrecht aufweist (vgl. §§ 328 ff. SGB III).

d) Es ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das Bundessozialgericht dem Beschwerdeführer auch nicht zugestanden hat, sich auf die Annexkompetenz des Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG zu berufen. Die Annexkompetenz trägt nur so weit, wie sie zur Erfüllung des Hauptgeschäfts erforderlich ist. Insoweit gilt für das Arbeitsförderungsrecht nichts anderes als für sonstige Rechtsbereiche, mit denen sich Rentenberater zur vollständigen Dienstleistung befassen müssen. Sie werden damit nicht zu einer selbständigen Rechtsbesorgung auf diesen Gebieten befähigt.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
FAAAB-86128