BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 1238/04

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 14; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 20 a; GG Art. 103

Instanzenzug: VGH Baden- Württemberg 5 S 2343/03 vom VGH Baden- Württemberg 5 S 2343/03 vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine verwaltungsgerichtliche Baunachbarklage.

I.

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, für das der Bebauungsplan ein reines Wohngebiet ausweist. Auf dem angrenzenden, ausweislich eines Teilbebauungsplans ebenfalls in einem reinen Wohngebiet belegenen Grundstück befinden sich ein Büro- sowie ein Wohngebäude; für dieses Grundstück wurde einem gewerblichen Mobilfunkbetreiber von der Stadt, der Beklagten des Ausgangsverfahrens, antragsgemäß eine Baugenehmigung für eine Funkbasisstation mit drei Antennenträgern für Mobilfunk erteilt.

Der Beschwerdeführer hat im Ausgangsverfahren die Baugenehmigung mit der Begründung angefochten, der Betrieb der Anlage schädige seine Gesundheit. Die Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Da dem Beschwerdeführer ein Gebietserhaltungsanspruch aufgrund der konkreten bauplanungsrechtlichen Situation nicht zustehe, werde Nachbarschutz nur nach den Maßstäben des Rücksichtnahmegebots gewährt. Dass das Verwaltungsgericht das Vorhaben als nicht rücksichtslos gegenüber dem Beschwerdeführer beurteilt habe, unterliege keinen ernstlichen Zweifeln. Der Feststellung, dass hochfrequente elektromagnetische Felder von Mobilfunksendeanlagen nach heutigem Stand von Forschung und Technik auch im Hinblick auf ihre athermischen Wirkungen keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorriefen, setze der Beschwerdeführer substantiell nichts entgegen. Dafür reiche insbesondere seine allgemeine Behauptung, ein beachtlicher Teil der Wissenschaft habe nachgewiesen, dass unter anderem Schlafstörungen und Konzentrationsmängel mit der Nähe von Mobilfunkanlagen in Zusammenhang gebracht werden könnten, nicht aus.

II.

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 a und Art. 103 GG durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletze sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG; hierfür genüge bereits die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit. Bei Mobilfunkstrahlungen entstünden, wie durch eine Fülle von Gutachten nachgewiesen sei, gesundheitliche Beschwerden wie Schlafstörungen, chronische Müdigkeit, Kopfschmerzen oder nervöse Störungen. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Verursachung von Gefahren für Leib und Leben zu verbieten. Da umstritten sei, bei welchem Grenzwert die gesundheitlichen Beeinträchtigungen gravierend seien, sei der Gesetzgeber, auch unter Bezugnahme auf Art. 20 a GG, verpflichtet, unterhalb der in der Sechsundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über elektromagnetische Felder - 26. BImSchV) festgelegten Grenzwerte tätig zu werden. Hinzu komme, dass in den benachbarten Ländern niedrigere Grenzwerte gälten als in Deutschland.

Die Entscheidung dürfte ferner gegen Art. 14 GG verstoßen. Die Grundstücke des Beschwerdeführers und dasjenige, auf dem die Sendeanlage errichtet worden sei, lägen im gleichen Bebauungsplangebiet; später sei ein Teilbereich mit einem neuen Bebauungsplan überbaut, als reines Wohngebiet festgesetzt und ein Grundstück an den Beschwerdeführer veräußert worden. Es könne nicht sein, dass durch die Veränderung im Bebauungsplan Ansprüche für den Beschwerdeführer gänzlich ausgeschlossen seien. Auch sei in Art. 14 GG nur durch Satzung, nicht durch Gesetz eingegriffen worden.

Die Nichtzulassung der Berufung dürfte ferner gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Zwar gewährleiste Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich keinen Instanzenzug; dieser Ansatz sei jedoch bei erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Gerichte in Zweifel zu ziehen. Denn dem Beschwerdeführer sei die Möglichkeit genommen, gravierende Grundrechtsbeschränkungen durch eine zweite Tatsacheninstanz überprüfen zu lassen.

Die Entscheidung dürfte schließlich als Überraschungsentscheidung gegen Art. 103 GG verstoßen. Obgleich der Beschwerdeführer ausführlich die Bedenken gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorgetragen habe, habe der Verwaltungsgerichtshof den Antrag auf Zulassung der Berufung abgewiesen, die vorgetragenen Beweisanträge unberücksichtigt gelassen und somit eine fehlerhafte Verfahrensgestaltung vorgenommen.

III.

Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG rügt, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Begründungsanforderungen. Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Inhalt und Grundlagen auseinander setzen, soweit diese für seine Beschwerde erheblich sein können. Der Beschwerdeführer beschränkt sich in seiner Verfassungsbeschwerde jedoch im Wesentlichen auf die Wiedergabe seiner bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertretenen Ansicht, dass Mobilfunkstrahlen vielfältige gesundheitliche Beschwerden verursachten und der Gesetzgeber daher verpflichtet sei, auch unterhalb der in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte tätig zu werden. Mit der ausführlichen und im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Erster Senat, 3. Kammer, Beschluss vom - 1 BvR 1676/01 -, NJW 2002, S. 1638) in Einklang stehenden Argumentation von Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof, dass dem Gesetz- und Verordnungsgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zustehe, dass auch im Lichte des Art. 2 Abs. 2 GG keine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen bestehe und dass hinsichtlich der zahlreichen neuen Forschungsarbeiten, die sich mit Gefährdungen durch Mobilfunkanlagen beschäftigen, noch keine abschließenden Ergebnisse vorlägen, setzt sich der Beschwerdeführer dagegen nicht auseinander.

Die Rüge des Beschwerdeführers, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Beschwerdeführer wegen der Überplanung keinen Anspruch gegenüber der Dritten erteilten Baugenehmigung geltend machen könne, verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG, geht an den Gründen des angegriffenen Beschlusses vorbei. Der Verwaltungsgerichtshof lehnt zwar aufgrund der konkreten bauplanungsrechtlichen Situation der betroffenen Grundstücke einen Gebietserhaltungsanspruch des Beschwerdeführers ab, stellt ihn deshalb jedoch nicht etwa rechtlos, sondern misst die angegriffene Baugenehmigung am Maßstab des Rücksichtnahmegebots. Dass die Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Baugenehmigung auf die Verletzung des Rücksichtnahmegebots den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzte, hat dieser nicht geltend gemacht.

Die Rüge des Beschwerdeführers, in Art. 14 GG sei nicht durch Gesetz, sondern durch eine untergesetzliche Norm, nämlich den Bebauungsplan, eingegriffen worden, geht fehl, weil Gesetze im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auch untergesetzliche, auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Normen, insbesondere auch Bebauungspläne, sein können (BVerfGE 8, 71 <79>).

Auch die Rüge des Beschwerdeführers, die Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, da dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen sei, gravierende Grundrechtsbeschränkungen durch eine zweite Tatsacheninstanz überprüfen zu lassen, hat keinen Erfolg. Zwar gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, den Zugang zur nächsten Instanz, soweit ein Instanzenweg eröffnet ist, nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323 <326 f.>; 78, 88 <99>). Der Beschwerdeführer legt jedoch nicht substantiiert dar, dass die zur Nichtannahme der Berufung führende Auslegung des § 124 VwGO durch den Verwaltungsgerichtshof in einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Weise erfolgt und dem Beschwerdeführer damit in unzumutbarer Weise der Zugang zur Berufungsinstanz erschwert worden sei.

Schließlich hat die Rüge des Beschwerdeführers, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, keinen Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs stellt keine Überraschungsentscheidung dar. Es mag zwar eine Überraschung für den Beschwerdeführer gewesen sein, dass die Berufung nicht zugelassen worden ist. Allein deshalb handelt es sich aber nicht um eine Überraschungsentscheidung. Eine Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 86, 133 <144 f.>). Hiervon kann vorliegend nicht die Rede sein angesichts des Umstands, dass die Frage, inwieweit die Baugenehmigung für den Mobilfunksender wegen von ihm ausgehender schädlicher Umwelteinwirkungen, insbesondere athermischer Wirkungen, zu Lasten des Beschwerdeführers rechtswidrig ist, zentrale Streitfrage bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht war. Dass der Verwaltungsgerichtshof in dieser Frage zu einem von der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers abweichenden Ergebnis kam, begründet keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör, denn Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nur dazu, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber dazu, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen. Auch der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Berufungsbegründung gestellte Beweisantrag blieb nicht, wie der Beschwerdeführer meint, gänzlich unbeachtet; vielmehr nahm der Verwaltungsgerichtshof den unter Beweis gestellten Vortrag, dass ein beachtlicher Teil der Wissenschaft Schlafstörungen, Konzentrationsmängel unter anderem bei so genannten athermischen Einwirkungen von Mobilfunkanlagen nachgewiesen habe, zur Kenntnis, bewertete ihn aber als zu allgemein und nicht substantiell genug. Diese für den Beschwerdeführer nachteilige Würdigung durch das Gericht stellt keine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG dar.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
GAAAB-85267