BFH Beschluss v. - V B 103/05

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Rechtsanwalt selbständig tätig. In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1999 machte er u.a. Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 21 936,44 DM aus Rechnungen der Rechtsanwälte B (12 671,41 DM) und H (9 265,03 DM) geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) folgte dem zunächst.

Im Anschluss an eine beim Kläger durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung versagte das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Rechtsanwälte B und H, weil diese gegenüber dem Kläger nicht selbständig tätig gewesen seien, und änderte die Umsatzsteuerfestsetzung 1999 mit Bescheid vom entsprechend. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) aus, B und H seien keine Unternehmer gewesen. Eine nicht selbständige Tätigkeit liege vor, wenn die betreffende Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers stehe oder im geschäftlichen Organismus dessen Weisungen zu folgen verpflichtet sei. Dabei seien die Umstände im Verhältnis des Beschäftigten zum Empfänger der Dienstleistung zu beurteilen. Maßgebend sei das Gesamtbild der Verhältnisse. Bei der dabei gebotenen Abwägung seien die Tätigkeiten der Rechtsanwälte B und H in der Kanzlei des Klägers als nicht selbständig zu beurteilen.

Zwar seien beide in der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Weisungen des Klägers nicht eingeschränkt und auch hinsichtlich der Arbeitszeit und der Art und Weise, wie sie ihre Aufgaben erledigten, frei gewesen. Diesen Gesichtspunkten könne aber keine besondere Bedeutung zukommen, weil ein Rechtsanwalt bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Organ der Rechtspflege typischerweise unabhängig sei. Die Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber könne auf der Grundlage dieser Kriterien nicht beantwortet werden. Entscheidend sei, dass B und H kein Unternehmerrisiko getragen hätten, Honorare nur vom Kläger bezogen hätten und dies auch während ihres Urlaubs der Fall gewesen sei.

Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung. Auch die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Tätigkeit von Rechtsanwälten könne nicht allein auf der Grundlage des Unternehmerrisikos entschieden werden; berücksichtigt werden müsse vielmehr das Gesamtbild der Verhältnisse.

Außerdem habe die Frage der Bindungswirkung von Entscheidungen der Sozialversicherungsträger im finanzgerichtlichen Verfahren Bedeutung für eine einheitliche Anwendung des Rechts.

Diese Bindungswirkung sei in den Urteilen des (BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34) und vom VI 142/64 U (BFHE 84, 53, BStBl III 1966, 19) festgestellt worden. Da das FG diese Bindungswirkung nicht anerkenne, verstoße es gegen diese Entscheidungen.

Der Kläger macht außerdem Verfahrensfehler geltend. Das FG habe seine Pflicht zu umfassender Sachverhaltsermittlung verletzt, indem es die Akten aus den arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren der Herren B und H gegen ihn, den Kläger, nicht zum finanzgerichtlichen Verfahren beigezogen habe.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Der Kläger hat keine grundsätzliche Bedeutung der Sache dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschlüsse vom II B 12/97, BFHE 184, 118, BStBl II 1998, 56; vom V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443; vom I B 151/01, BFH/NV 2003, 60; vom VII B 44/01, BFH/NV 2002, 655, 656). Dabei muss die grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, deren Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, gegeben sein (BFH-Beschlüsse vom IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760; vom I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254) und die Bedeutung der Sache darf sich nicht in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpfen, sondern muss eine Vielzahl gleichartiger Fälle betreffen (, BFH/NV 2002, 1350).

a) Eine grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache danach nicht zu, weil die umsatzsteuerrechtliche Abgrenzung selbständiger von nichtselbständiger Tätigkeit geklärt ist. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG folgt, dass die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt wird, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind. Für die Beurteilung, ob jemand selbständig oder unselbständig tätig ist, kommt es auf das Gesamtbild der Verhältnisse an. Maßgeblich hierfür ist die Würdigung der für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, wie sie sich nach den vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlichen Durchführung ergeben (, BStBl II 1995, 559).

b) Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage einer Bindungswirkung sozial- oder arbeitsrechtlicher Entscheidungen für das finanzgerichtliche Verfahren bedarf keiner erneuten Entscheidung durch den BFH, weil die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft und die damit verbundene Selbständigkeit geklärt ist. Eine derartige Bindung gibt es weder für die Einordnung einer Tätigkeit nach sozialversicherungsrechtlichen noch nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen (, BStBl II 1999, 534, 537; vom I R 17/78, BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303, 304; vom X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, 807; vom X R 34/82, BFH/NV 1989, 541, 543). Aus den Urteilen des BFH in BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34 und in BFHE 84, 53, BStBl III 1966, 19 ergibt sich nichts anderes. Der BFH hat in diesen Urteilen entschieden, dass Rechtsakte anderer Verwaltungen grundsätzlich zu respektieren sind, wenn sie nicht offensichtlich rechtswidrig sind. Das bezog sich u.a. auf Entscheidungen des zuständigen Sozialversicherungsträgers über die Sozialversicherungspflicht von Beschäftigungsverhältnissen. Daraus lässt sich kein Rechtssatz dahin gehend herleiten, dass das FA oder das FG bei der Subsumtion eines Sachverhaltes unter die Tatbestandsmerkmale des § 2 UStG durch die Feststellungen einer anderen Verwaltungsbehörde gebunden ist. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen können arbeitsrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Verwaltungsakte keine Regelungen treffen; sie können deshalb auch keine diesbezügliche Bindungswirkung entfalten. Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat klargestellt, dass grundsätzlich keine Bindung des Steuerrechts an arbeits- und sozialrechtliche Beurteilungen, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliege, besteht (vgl. Urteil vom B 12 RA 1/04 R, zur Veröffentlichung bestimmt).

c) Darüber hinaus geht es vorliegend nur um die Frage im konkreten Einzelfall, ob die Sachverhaltsgestaltung die Unternehmereigenschaft der Rechtsanwälte B und H begründet. Das reicht für die Zulassung der Revision nicht aus (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1350).

2. Der Kläger rügt zu Unrecht eine Abweichung der Entscheidung des FG von den Urteilen des (BFH/NV 2001, 1307) und vom V R 67/00 (BFH/NV 2002, 223). Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH (BFH-Beschlüsse vom XI R 10/00, BFH/NV 2000, 1239; vom XI B 71/99, BFH/NV 2000, 1180). Eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen genügt nicht (, BFH/NV 1994, 718). Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschlüsse vom III B 43/98, BFH/NV 1999, 1477; vom I B 121/99, BFH/NV 2000, 1477; vom VIII B 78/99, BFH/NV 2000, 1201). Der Kläger hat nicht dargelegt, von welchem einer Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Rechtssatz das FG in seiner Entscheidung abgewichen sein soll.

Soweit er geltend macht, das FG habe sich bei seiner Würdigung ausschließlich auf das Kriterium des Unternehmerrisikos gestützt, trifft dies nicht zu. Das FG hat ausdrücklich auf das Gesamtbild der Verhältnisse abgestellt und dabei auch gewürdigt, dass die Rechtsanwälte B und H Honorare nur vom Kläger erhalten haben, also nur für einen Vertragspartner tätig geworden sind und während ihres Urlaubs unverändert Honorare in gleich bleibender Höhe erhalten haben.

3. Soweit der Kläger mit der Beschwerde eine fehlerhafte Rechtsanwendung und Beweiswürdigung durch das FG geltend macht, kann die Beschwerde nicht zum Erfolg führen. Selbst wenn dem FG bei der Beweiswürdigung sowie bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen sein sollten, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (BFH-Beschlüsse in BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443; vom V B 184/01, BFH/NV 2003, 1071).

4. Auch die Behauptung des Klägers, das FG habe seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, indem es die Akten aus dem sozialgerichtlichen und dem arbeitsrechtlichen Verfahren nicht beigezogen habe, führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung gehört zu den verzichtbaren Verfahrensmängeln. Da der Kläger diesen Verfahrensfehler ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem nicht gerügt hat, hat er das Rügerecht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verloren.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1361 Nr. 7
SAAAB-83228