BFH Urteil v. - II R 10/04

Instanzenzug: BG (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die am verstorbene U und ihr Ehemann E waren je zur Hälfte Eigentümer eines bebauten Grundstücks. U wurde von E beerbt, der am ... Dezember 2000 verstarb und seinerseits von dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) beerbt wurde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte gegen E, der seine Erbschaftsteuererklärung am abgegeben hatte, mit Bescheid vom Erbschaftsteuer fest und berücksichtigte das Grundstück mit einem Wert von 913 500 DM. Gegen diesen Bescheid legte E Einspruch ein. Im Laufe des Einspruchsverfahrens erstellte das FA am einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts. Der Bescheid wurde jedoch nicht bekannt gegeben. Gleichwohl änderte das FA die Erbschaftsteuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Bescheid vom und wies sodann den Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Die daraufhin erhobene Klage ist noch beim Finanzgericht (FG) anhängig.

Mit einem an den Kläger als Rechtsnachfolger des E ergangenen Bescheid vom über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den für Zwecke der Erbschaftsteuer stellte das FA erstmals den Grundbesitzwert für das Grundstück auf 1 887 000 DM und den Anteil der U auf 943 000 DM fest. Einen Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthielt der Bescheid nicht. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom , in der es den Bescheid vom um den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ergänzte, als unbegründet zurück.

Das FG wies die Klage ab. Das FA habe den Feststellungsbescheid gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 nach Ablauf der regelmäßigen Feststellungsfrist erlassen und den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 noch in der Einspruchsentscheidung nachholen können.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 181 Abs. 5 AO 1977. Das FA habe die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer durch Erlass des gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergangenen Änderungsbescheids vom unzulässig verlängert, weil der zugrunde liegende Bescheid über die Feststellung des Bedarfswerts vom nicht bekannt gegeben und damit unwirksam gewesen sei. Die Nachholung des Hinweises nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 in der Einspruchsentscheidung sei wegen seines Regelungscharakters und mangels Anwendbarkeit des § 126 AO 1977 unzulässig.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angegriffene Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 noch nach Ablauf der Feststellungsfrist ergehen und das FA den nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 erforderlichen Hinweis in der Einspruchsentscheidung nachholen konnte.

Der angegriffene Feststellungsbescheid vom ist zwar erst nach Ablauf der für ihn geltenden Feststellungsfrist ergangen. Die für den Erlass von Feststellungsbescheiden geltende eigenständige Feststellungsfrist ist unabhängig von der Festsetzungsverjährung der Folgesteuern zu ermitteln (, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3). Nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gelten für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sinngemäß auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO 1977). Demgemäß war vorliegend die Feststellungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des abgelaufen. Der Feststellungsbescheid vom konnte jedoch gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 trotz Ablaufs der für ihn geltenden Feststellungsfrist erlassen werden. Nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch noch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.

a) Die Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 sind vorliegend in Bezug auf die für den Erwerb des E von Todes wegen festzusetzende Erbschaftsteuer gegeben. Da E gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom Einspruch eingelegt und gegen die Einspruchsentscheidung vom Klage vor dem FG eingelegt hatte, war der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer gemäß § 171 Abs. 3a AO 1977 bis zur unanfechtbaren Entscheidung über die Klage gehemmt.

Entgegen der Revision scheidet die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO 1977 nicht deshalb aus, weil das FA aufgrund des mangels Bekanntgabe unwirksamen Bescheids über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts vom den Erbschaftsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert hat. Zwar entfaltet ein mangels Bekanntgabe unwirksamer Feststellungsbescheid keine Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977 für den Folgebescheid (, BFH/NV 1994, 75, m.w.N.). Wird der Folgebescheid gleichwohl an den unwirksamen Grundlagenbescheid angepasst, sind zwar die Änderungsvoraussetzungen des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht erfüllt. Gleichwohl endet die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3a AO 1977 auch in diesem Fall erst mit Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den bereits gegen den ursprünglichen Erbschaftsteuerbescheid eingelegten Rechtsbehelf.

b) Das FA war auch befugt, den nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 erforderlichen Hinweis in der Einspruchsentscheidung vom nachzuholen.

aa) Gemäß § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 hat das FA bei Erlass eines Feststellungsbescheids nach Ablauf der Feststellungsfrist in dem Bescheid darauf hinzuweisen, dass die getroffenen Feststellungen nur noch für solche Steuerfestsetzungen Bedeutung haben sollen, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Der Hinweis hat nicht bloße Begründungsfunktion, sondern Regelungscharakter, weil mit ihm der zeitliche Geltungsbereich der getroffenen Feststellungen abweichend von § 182 Abs. 1 AO 1977 bestimmt und damit rechtsgestaltend auf das Steuerrechtsverhältnis eingewirkt wird (, BFHE 176, 444, 448, BStBl II 1995, 302; vom II R 45/96, BFHE 185, 348, BStBl II 1998, 426; vom IX R 65/95, BFHE 186, 485, BStBl II 1999, 4). Für den Steuerpflichtigen und das für den Folgebescheid zuständige FA muss erkennbar sein, dass es sich um einen Feststellungsbescheid handelt, der lediglich für solche Steuerfestsetzungen bedeutsam ist, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.

bb) Der Senat bejaht die in der bisherigen BFH-Rechtsprechung (Urteile vom IX R 76/88, BFHE 159, 398, BStBl II 1990, 411; vom II R 21/96, BFH/NV 1998, 1189) offen gebliebene Frage der Nachholungsmöglichkeit des in einem Feststellungsbescheid fehlenden Hinweises nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 in der Einspruchsentscheidung für den Fall, dass die Festsetzungsfrist für die abhängige Steuer bei Ergehen der Einspruchsentscheidung noch nicht abgelaufen war.

Da der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 nicht lediglich Begründung des Feststellungsbescheids ist, kommt allerdings eine Heilung dieses Mangels gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht in Betracht. Die Finanzbehörde hat jedoch im Einspruchsverfahren die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Fehler eines wirksamen Bescheids über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts können daher durch die Einspruchsentscheidung geheilt werden. Dazu gehört auch die Ergänzung des Regelungsinhalts eines Feststellungsbescheids um den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977. Dem steht die Begrenzung der Entscheidungsbefugnis des FA im Einspruchsverfahren durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht entgegen. Denn der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist nicht selbst eine (notwendige) Feststellung i.S. der §§ 19 und 138 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes, sondern schränkt (lediglich in zeitlicher Hinsicht) deren bindende Wirkung ein, ohne selbst die Wirkung einer Feststellung zu entfalten (BFH-Urteil in BFHE 185, 348, BStBl II 1998, 426).

Im Streitfall konnte das FA demgemäß den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 in der Einspruchsentscheidung nachholen, weil zu diesem Zeitpunkt die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer noch nicht abgelaufen war. Ob eine Nachholung des Hinweises in der Einspruchsentscheidung auch dann zulässig ist, wenn bei ihrem Erlass die Festsetzungsfrist der abhängigen Steuer bereits abgelaufen war, bleibt offen. Der Inhalt des der Einspruchsentscheidung beigefügten Hinweises nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 genügt den an diesen zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen.

cc) Im Ergebnis zutreffend hat das FG einen vorherigen Verböserungshinweis des FA gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 vor der Ergänzung der Einspruchsentscheidung um den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 als entbehrlich angesehen. Dabei kann offen bleiben, ob die Nachholung des Hinweises nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 wegen der durch ihn bewirkten Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids ein „Nachteil” i.S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ist (so Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Rz. 134; Wefers in Steuer und Wirtschaft 1997, 310) oder ob —wie das FG angenommen hat— der Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 deshalb entbehrlich war, weil der Feststellungsbescheid durch den Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 lediglich zugunsten des Steuerpflichtigen in seinem Anwendungsbereich begrenzt wird. Ein Verböserungshinweis war jedenfalls im Streitfall deshalb entbehrlich, weil der mit diesem verbundene Zweck nicht erreicht werden konnte. Das Hinweiserfordernis des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 trägt dem Umstand Rechnung, dass der Rechtsbehelf nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung nicht mehr zurückgenommen werden kann (§ 362 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Hinweis soll den Einspruchsführer aus Gründen rechtlichen Gehörs auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung aufmerksam machen, damit er einer Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs zuvorkommen kann (vgl. , BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414; vom I R 5/96, BFHE 181, 100, BStBl II 1997, 5). Dieser Zweck kann jedoch nicht erreicht werden, wenn sich die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs ohnehin nicht vermeiden lässt (so z.B. BFH in BFHE 181, 100, BStBl II 1997, 5, m.w.N.). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben, da die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer im Zeitpunkt der den Feststellungsbescheid betreffenden Einspruchsentscheidung noch nicht abgelaufen war. Die Rücknahme des Einspruchs gegen den angegriffenen Feststellungsbescheid hätte daher seine Unanfechtbarkeit und nach § 182 Abs. 1 AO 1977 —ungeachtet seiner Rechtswidrigkeit— eine Bindungswirkung für den Erbschaftsteuerbescheid herbeigeführt.

Fundstelle(n):
AO-StB 2006 S. 32 Nr. 2
BFH/NV 2006 S. 228 Nr. 2
DStRE 2006 S. 434 Nr. 7
HFR 2006 S. 117 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 42
TAAAB-72420