BFH Urteil v. - X R 22/01

Änderung einer Steuerfestsetzung gem. § 164 Abs. 2 AO bei Bestandskraft eines rechtswidrigen Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO

Gesetze: AO § 164

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist an einer Vielzahl von Gesellschaften beteiligt, die in großer Zahl umfangreichen Grundbesitz verwalten und veräußern. Darüber hinaus ist er Alleineigentümer mehrerer Grundstücke.

Eine im Jahr 1994 beim Kläger durchgeführte Außenprüfung führte zu dem Ergebnis, dass trotz verschiedener im Prüfungszeitraum und den Jahren zuvor erworbener und veräußerter Immobilien die Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels noch nicht vorlagen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte daher den am (betreffend Einkommensteuer 1988) und am (betreffend Einkommensteuer 1990) eingereichten Steuererklärungen und erließ am bzw. am erstmals Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1988 und 1990. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO 1977 im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. weitere gerichtliche Verfahren hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen, der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und der Höhe der Kinderfreibeträge.

Im Mai 1995 erfuhr das FA durch eine Mitteilung des FA für Verkehrsteuern und Grundbesitz X von weiteren Grundstücksgeschäften des Klägers. Mit Bescheid vom hob es den Vorbehalt der Nachprüfung in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre gemäß § 164 Abs. 3 AO 1977 auf, ohne die Besteuerungsgrundlagen zu ändern. In den Erläuterungen enthielt der Bescheid folgenden Zusatz: „Im Hinblick auf Ihre Aktivitäten bezüglich An- und Verkauf von Immobilien werden die Einkommensteuerveranlagungen 1988, 1989 und 1990 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig durchgeführt”. Mit Schreiben vom kündigte das FA eine Änderung der Steuerbescheide an. Der Besteuerung sollten nun in einem bestimmten Umfang nicht mehr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern Einkünfte aus einem gewerblichen Grundstückshandel zugrunde gelegt werden. Mit Bescheiden vom änderte das FA entsprechend seiner Ankündigung u.a. die Steuerfestsetzungen für die Streitjahre. Die Bescheide waren hinsichtlich der nun angesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb (gewerblicher Grundstückshandel) und der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolgslosem Einspruchsverfahren erhobene Klage als unbegründet ab. Das FA habe zu Recht die Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels bejaht und die daraus erzielten gewerblichen Einkünfte zutreffend ermittelt. Zudem sei das FA nicht gehindert gewesen, die Änderungsbescheide auf § 165 Abs. 2 AO 1977 zu stützen.

Der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid für das Streitjahr 1990 vom betrifft die hier streitigen Rechtsfragen nicht.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Zum einen finde sich im Bescheid vom keine Anordnung der Vorläufigkeit der Steuerbescheide für die Streitjahre 1988 und 1990, sondern lediglich die Ankündigung, die nachfolgenden Bescheide für vorläufig zu erklären. Deshalb habe das FA nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Bescheid vom die Steuerfestsetzungen der Jahre 1988 und 1990 nicht mehr ändern können. Darüber hinaus habe das FA die Steuerfestsetzungen der Streitjahre auch dann nicht ändern können, wenn der Bescheid vom eine zwar rechtswidrige, aber bestandskräftig gewordene Vorläufigkeitsanordnung enthalten sollte. Da im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom keine tatsächliche Ungewissheit mehr bestanden habe, komme eine Änderung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht in Betracht.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und die angefochtenen Steuerbescheide für die Jahre 1988 und 1990 sowie insoweit die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

B. I. Das angefochtene Urteil ist —soweit es das Streitjahr 1990 betrifft— aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom an die Stelle der Einkommensteuerfestsetzung vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom trat. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu das , BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

Der Bescheid vom wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich hinsichtlich der streitigen Punkte durch die Bescheidänderung keine Änderungen ergeben haben und der Kläger auch keinen weitergehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die (partielle) Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

II. Der Senat entscheidet in der Sache selbst.

Die Revision ist unbegründet. Das FA war berechtigt, aufgrund der Vorläufigkeitserklärungen die angegriffenen Änderungsbescheide vom für die Jahre 1988 und 1990 zu erlassen.

1. Das FA hat mit Bescheid vom die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1988 und 1990 wirksam mit einer Vorläufigkeitserklärung hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung versehen. In diesem Bescheid ist —entgegen der Auffassung des Klägers— nicht lediglich die Ankündigung zu sehen, in der Folgezeit Änderungsbescheide vorläufig zu erlassen.

a) Der Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1988 und 1990 vom bzw. war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom wirksam. Zwar sind die Bescheide vom und nach abschließender Prüfung des Steuerfalls aufgrund einer zuvor abgeschlossenen Außenprüfung ergangen. Dies führt aber nicht zur Nichtigkeit des Vorbehalts der Nachprüfung in den Erstbescheiden, sondern nur zu dessen Rechtswidrigkeit (vgl. , BFHE 143, 299, BStBl II 1985, 448; vom IX R 49/82, BFH/NV 1987, 433; vom V R 135/93, BFH/NV 1995, 938; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 164 AO 1977 Rz. 50; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, § 164 Rz. 18; Sauer in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 164 AO 1977 Rz. 44; a.A. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 164 AO 1977 Rz. 39 f.). Wird der Vorbehalt der Nachprüfung —wie im Streitfall— bestandskräftig, kann das FA die Steuerfestsetzung aufgrund des Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 ändern.

b) Mit Bescheid vom hat das FA den rechtswirksamen Vorbehalt der Nachprüfung in den Einkommensteuerbescheiden vom und aufgehoben und „die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung im Hinblick auf seine Aktivitäten bezüglich An- und Verkauf von Immobilien” für vorläufig erklärt.

aa) Der durch § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 eröffneten, prinzipiell unbegrenzten Befugnis des FA zur Änderung der für die Streitjahre ursprünglich erlassenen Einkommensteuerbescheide (Erstbescheide) stand § 173 Abs. 2 AO 1977 nicht entgegen. Unmittelbar gilt diese Vorschrift —wie sich aus § 172 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ergibt— für die Änderung von Bescheiden i.S. des § 164 AO 1977 nicht. Eine Anwendung des § 173 Abs. 2 AO 1977 im Wege der extensiven Auslegung oder Analogie scheitert am begrenzten Regelungsbereich dieser Norm: Die darin angeordnete Änderungssperre gilt nur für die in § 173 Abs. 1 AO 1977 geregelten Korrekturtatbestände (Senatsurteil vom X R 123/94, BFH/NV 1997, 161, m.w.N.).

bb) Unerheblich ist auch, dass das FA den Bescheid vom nicht auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt seines Ergehens durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm gedeckt war (vgl. , BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2, m.w.N.).

cc) Der Vorläufigkeitsvermerk in dem Änderungsbescheid vom war inhaltlich hinreichend bestimmt.

Ein Vorläufigkeitsvermerk wird als unselbständige Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt in gleicher Weise wie dieser selbst mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (vgl. §§ 120, 122, 124 Abs. 1 AO 1977; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteil vom X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791). Das bedeutet, dass die Reichweite der Vorläufigkeit dem dafür im Bescheid angeführten Grund zu entnehmen oder aus sonstigen Umständen im Wege der Auslegung zu ermitteln ist (vgl. , BFHE 155, 8, BStBl II 1989, 130; vom IX R 282/87, BFH/NV 1991, 506; vom III R 59/89, BFH/NV 1992, 464; vom V R 106/91, BFH/NV 1995, 466). Dabei ist entscheidend, wie der Adressat den Vorläufigkeitsvermerk nach den ihm bekannten Umständen —seinem „objektiven Verständnishorizont"— unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. , BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282, 283, m.w.N.).

Im Streitfall waren bereits die Bescheide vom und (Erstbescheide) im Kopf mit dem Vorläufigkeitsvermerk gekennzeichnet. Da nach der Rechtsprechung des BFH eine vorläufige Steuerfestsetzung gemäß § 165 AO 1977 nur durch ausdrückliche Erklärung endgültig i.S. von § 165 Abs. 2 AO 1977 werden kann und ein Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 AO 1977 danach auch dann wirksam bleibt, wenn er in einem nachfolgenden, auf eine andere Änderungsvorschrift gestützten Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt wird (, BFHE 154, 430, BStBl II 1989, 9; vom IX R 58/85, BFH/NV 1991, 139), ist es unschädlich, dass das FA im Bescheid vom den Vorläufigkeitsvermerk nicht wiederholt, sondern lediglich in den Erläuterungen darauf hingewiesen hat, dass die Einkommensteuerveranlagungen der Streitjahre auch hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977 vorläufig durchgeführt werden. Zudem war aufgrund der dem Kläger bekannten Umstände hinreichend erkennbar, dass sich der Umfang des Vorläufigkeitsvermerks nicht nur auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erstrecken, sondern dass darüber hinaus offen bleiben sollte, in welchem Umfang Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bzw. Einkünfte im Rahmen eines gewerblichen Grundstückhandels erzielt wurden. Der Vorläufigkeitsvermerk wurde in den Bescheid vom mit der Begründung „im Hinblick auf Ihre Aktivitäten bezüglich An- und Verkauf von Grundstücken” aufgenommen. Dem Kläger waren nicht nur seine zahlreichen Grundstücksgeschäfte bekannt. Er wusste vielmehr auch, dass im Rahmen der im Jahr 1994 durchgeführten Außenprüfung geklärt werden sollte, ob es sich bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung um solche aus privater Vermögensverwaltung handele oder ob wegen der im Prüfungszeitraum und in den Jahren davor erworbenen und veräußerten Immobilien ein gewerblicher Grundstückshandel vorliege. Dem Kläger lag der Prüfungsbericht vor, der in das Ergebnis mündete, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines gewerblichen Grundstückshandels noch nicht erfüllt seien. Damit war der sachliche Umfang des Vorläufigkeitsvermerks hinreichend abgegrenzt. Der Kläger hatte keinen Anlass anzunehmen, dass das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1988 und 1990 nur wegen der Ungewissheit über die Höhe der vom Kläger erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und nicht auch wegen der erzielten Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel für vorläufig erklären wollte. Durch den Hinweis „im Hinblick auf Ihre Aktivitäten bezüglich An- und Verkauf von Grundstücken” war zudem —anders als in dem dem (BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648) zugrunde liegenden Fall— der Grund der Vorläufigkeit und ihr zeitlicher Umfang für den Kläger erkennbar hervorgehoben.

dd) Das FA hat auch im Bescheid vom die Steuerfestsetzung im Hinblick auf die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung und gewerblichem Grundstückshandel in den Streitjahren 1988 und 1990 für vorläufig erklärt und —entgegen der Auffassung des Klägers— nicht lediglich den Erlass vorläufiger Steuerbescheide angekündigt. Dies folgt bereits aus der grammatikalischen Auslegung der Erläuterung, die in der Passivform abgefasst ist. Hätte das FA in den Erläuterungen zum Bescheid vom vorläufige Steuerfestsetzungen in der Folgezeit ankündigen wollen, hätte es —grammatikalisch korrekt— wie folgt formulieren müssen: „... werden…vorläufig durchgeführt werden”. Auch wenn das Futur umgangssprachlich nicht immer präzise verwendet wird, besteht im Streitfall keine Veranlassung, die Erläuterung im Bescheid vom gegen den eindeutigen Wortlaut auszulegen, zumal es sinnwidrig wäre, einen rechtswirksamen Vorbehalt der Nachprüfung in den Erstbescheiden für die Streitjahre 1988 und 1990 vom und vom aufzuheben und gleichzeitig anzukündigen, die Steuerfestsetzungen zu einem späteren Zeitpunkt teilweise vorläufig durchzuführen, da bestandskräftige Steuerbescheide nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen für vorläufig erklärt werden können.

c) Da der Kläger keinen Einspruch gegen den Bescheid vom eingelegt hat, ist dieser Bescheid nebst dem darin enthaltenen Vorläufigkeitsvermerk bestandskräftig geworden. Die Bestandskraft hat zur Folge, dass zwar Einwendungen gegen die Wirksamkeit, nicht aber gegen die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Steuerfestsetzung erhoben werden können (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1991, 506; in BFH/NV 1992, 464; vom IX R 93/97, BFHE 192, 241, BStBl II 2001, 9). Dem Einwand des Klägers in der mündlichen Verhandlung, das FA hätte anstelle des Vorläufigkeitsvermerks im Bescheid vom weitere Ermittlungen zur Klärung des Sachverhalts durchführen können und müssen, kommt deshalb keine Bedeutung zu.

2. Das FA war berechtigt, die rechtswirksame und wegen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in vollem Umfang vorläufige Steuerfestsetzung im Bescheid vom nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zu ändern. Dies hat das FG im Ergebnis zutreffend entschieden.

a) Nach der Rechtsprechung des BFH darf nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 eine Steuer nur vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung vorliegen. Hierzu hat der BFH wiederholt entschieden, dass die von § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorausgesetzte Ungewissheit sich auf Tatsachen beziehen müsse (, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278, 280, m.w.N.) und dass eine Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden Sachverhalts kein hinreichender Grund für die Anordnung der Vorläufigkeit sei (BFH-Urteile in BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648; in BFH/NV 1991, 506; BFH-Beschlüsse vom II B 71/90, BFH/NV 1992, 719; vom I B 111/97, BFHE 186, 313, BStBl II 1998, 702).

Nach dem BFH-Urteil in BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648 ist eine Änderung eines bestandskräftigen vorläufigen Bescheides selbst dann nicht wegen einer geänderten steuerlichen Beurteilung zulässig, wenn sich der dem vorläufigen Bescheid beigefügten Erläuterung entnehmen lässt, dass sich die Vorläufigkeit auf eine bestimmte Einkunftsart insgesamt beziehen soll. Denn der Umfang der Vorläufigkeit werde durch die Tatsachen bestimmt, die die Finanzbehörde als ungewiss ansehe. Deshalb müsse im Vorläufigkeitsvermerk auch angegeben werden, wegen welcher als ungewiss angesehener Tatsachen sich die Finanzbehörde eine weitere Prüfung vorbehalte (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Sei der Vorläufigkeitsvermerk rechtswidrig, weil der Grund der Vorläufigkeit nicht angegeben worden sei, könne der —bestandskräftige— Bescheid gleichwohl nicht wegen einer veränderten rechtlichen Beurteilung geändert werden. Die Finanzbehörde könne ihren durch § 165 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 gesetzlich begrenzten Handlungsspielraum nicht durch einen erweiterten Vorläufigkeitsvermerk ausdehnen (ebenso BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 719; in BFHE 186, 313, BStBl II 1998, 702).

b) Der Senat kann offen lassen, ob er der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH in BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648 folgen könnte (vgl. hierzu auch BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 464). Denn im Streitfall ging es bei den angegriffenen Änderungsbescheiden nicht nur um eine geänderte rechtliche Beurteilung, sondern auch um die Ungewissheit von Tatsachen, die für die steuerliche Beurteilung der Grundstücksgeschäfte des Klägers Voraussetzung waren, und die abschließend erst nach Erlass der vorläufigen Steuerfestsetzungen für die Jahre 1988 und 1990 geklärt werden konnten.

Zwar war dem FA bei Erlass des Bescheids vom aufgrund der Veräußerungsanzeige des FA für Verkehrsteuern und Grundbesitz X bekannt, dass der Kläger in den Jahren 1987 bis 1990 innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Anschaffung und Verkauf weit mehr als drei Objekte veräußert hatte. Doch kann die Frage, ob ein gewerblicher Grundstückshandel zu bejahen ist, nicht nur nach der Gesamtzahl der Verkäufe beurteilt werden. Nach dem Beschluss des Großen Senats des (BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617) hat die Zahl der verkauften Objekte lediglich eine indizielle Bedeutung. Ebenso wie der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Erwerb bzw. Errichtung und Veräußerung ist die Objektzahl nur ein Beweisanzeichen, das durch andere objektive Sachverhaltsmerkmale erschüttert werden kann. Trotz Überschreitens der Drei-Objekt-Grenze ist ein gewerblicher Grundstückshandel dann nicht anzunehmen, wenn eindeutige Anhaltspunkte gegen eine von Anfang an bestehende Veräußerungsabsicht sprechen (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291). Dabei ist nicht auszuschließen, dass die Umstände im Einzelfall derart gewichtig erscheinen, dass einer im Grunde stets bestehenden bedingten Veräußerungsabsicht keine Bedeutung zukommt (Großer Senat des BFH in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291). Als solchen Umstand hat der BFH insbesondere eine vom Veräußerer selbst vorgenommene langfristige —über fünf Jahre hinausgehende— Vermietung von Objekten zu Wohnzwecken angenommen (vgl. z.B. , BFHE 201, 515, BStBl II 2003, 510, unter II.3.a cc, m.w.N.), wenn (weil) diese dadurch nur noch eingeschränkt durch Veräußerung verwertbar sind (z.B. , BFHE 151, 74, BStBl II 1988, 65). Auch die langfristige Finanzierung eines Objekts kann ein für die Zuordnung zum Bereich der Vermögensverwaltung sprechendes Indiz sein (vgl. , BFHE 200, 388, BStBl II 2003, 297). Der Kläger selbst hatte noch im Klageverfahren die Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels verneint. Im Streitfall konnte es daher bei Ergehen des vorläufigen Bescheids vom noch als ungewiss angesehen werden, ob die dem FA bekannte Zahl der Wohnungs- und Grundstücksverkäufe des Klägers für die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels ausreichte oder ob es tatsächliche Verhältnisse gab, die trotz der Zahl der Verkäufe einen gewerblichen Grundstückshandel ausschlossen.

Folgerichtig hat das FA im Schreiben vom die Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1988 und 1990 angekündigt, darauf hingewiesen, welche Grundstücke in den gewerblichen Grundstückshandel einbezogen werden sollen und dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Damit hat das FA dem Kläger rechtliches Gehör (§ 91 Abs. 1 AO 1977) gewährt und ihm Gelegenheit gegeben, gegen eine von Anfang an bestehende Veräußerungsabsicht sprechende Tatsachen darzulegen. Bei Erlass des Bescheids vom wollte sich das FA somit nicht nur eine abschließende rechtliche Beurteilung, sondern auch die Aufklärung der näheren tatsächlichen Verhältnisse bei den Grundstücksverkäufen in den Jahren 1987 bis 1990 vorbehalten. Zu diesem Zweck durfte es auch nach dem BFH-Urteil in BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648 im Bescheid vom den Vorläufigkeitsvermerk anbringen und im Zusammenhang mit der vorbehaltenen Aufklärung der tatsächlichen Ungewissheit dann erstmalig eine genauere rechtliche Beurteilung vornehmen oder eine vorherige rechtliche Beurteilung ändern (vgl. , BFHE 152, 43, BStBl II 1988, 234).

Dass das FG im klageabweisenden Urteil das Vorliegen der Voraussetzungen eines gewerblichen Grundstückshandels im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom nicht als ungewiss angesehen hat, bindet den Senat nicht. Hierbei handelt es sich um die rechtliche Bewertung (Würdigung) eines bestimmten Geschehens, d.h. um eine rechtliche Schlussfolgerung aus den ermittelten Tatsachen. Revisionsrechtlich ist dies nicht der Tatsachenfeststellung, sondern der Rechtsanwendung zuzuordnen, die vom Revisionsgericht uneingeschränkt überprüft werden kann (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 118 Rz. 23).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 322
BFH/NV 2005 S. 322 Nr. 3
HFR 2005 S. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2005 S. 3303
ZAAAB-40228