Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr.
Leitsatz
1. Der durch das Zweite Gesetz zur Änderung der FGO neu gefasste Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ermöglicht neben den Fällen der Divergenz auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann, weil dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.
2. Hat das FG eine für den Streitfall zweifellos einschlägige Rechtsvorschrift übersehen, ist bei der Frage, ob deshalb ein Fehler von erheblichem Gewicht vorliegt, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führt, auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang sich der Fehler des FG im Ergebnis nachteilig auf den unterlegenen Beteiligten ausgewirkt hat und in welchem Umfang die Beteiligten durch ihr eigenes Verhalten diesen Irrtum hätten vermeiden helfen und damit ein anderes Verfahrensergebnis hätten herbeiführen können.
Gesetze: AO 1977AO 1977 § 171 Abs. 14AO 1977 § 228AO 1977 § 231 Abs. 1AO 1977 § 231 Abs. 2AO 1977 § 231 Abs. 3FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Instanzenzug:
Gründe
I.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Gesamtrechtsnachfolger der am verstorbenen Frau B, die kurz vor ihrem Tod ein Grundstück erwarb. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—), welcher seinerzeit von dem Todesfall keine Kenntnis hatte, setzte mit an Frau B gerichtetem Grunderwerbsteuerbescheid vom Grunderwerbsteuer fest. Die festgesetzte Steuer wurde von den Klägern gezahlt. Mit einem am beim FA eingegangenen Telefax machte der damalige Bevollmächtigte der Kläger die Nichtigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids geltend und beantragte die Erstattung der geleisteten Zahlung. Nachdem das FA die Erstattung abgelehnt hatte, erteilte es —auf den entsprechenden zuvor gestellten Antrag— einen Abrechnungsbescheid, mit dem es einen Erstattungsanspruch von 0 DM feststellte.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass der im Hinblick auf die Nichtigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids geltend gemachte Erstattungsanspruch verwirkt sei; dem Erstattungsanspruch stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Es stehe zu seiner (des FG) Überzeugung fest, dass sich die Kläger die Umstände im Zusammenhang mit dem fehlerhaft erlassenen Grunderwerbsteuerbescheid bewusst zu Nutze gemacht hätten. Sie hätten die Grunderwerbsteuer offenbar als Nachlassverbindlichkeit angesehen und diese unter der Frau B erteilten Grunderwerbsteuernummer beglichen. Wegen dieses scheinbar glatten Verfahrensablaufs und der fehlenden Kenntnis des FA von dem Todesfall habe dieses keinen Anlass gehabt, die Steuerfestsetzung und die Erhebung zu prüfen. Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb den Klägern erst Ende 1998 aufgefallen sein sollte, dass der Grunderwerbsteuerbescheid nichtig war. Vielmehr sei zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die Kläger mit ihrem auf die Nichtigkeit des Bescheids gestützten Erstattungsantrag bis zum gewartet hätten, um das FA verfahrensrechtlich auszuspielen. Das FA habe nämlich unter diesen Umständen keine Möglichkeit mehr gehabt, noch bis zum Jahresablauf, d.h. unter Wahrung der Festsetzungsfrist, die Grunderwerbsteuer in zutreffender Weise gegen die Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der B festzusetzen, zumal ihm zu diesem Zeitpunkt die Rechtsnachfolger der B noch nicht benannt worden waren.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
Allerdings ist das FG —wie die Beschwerde zu Recht geltend macht— in seinem Urteil von unzutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Wie sich aus dem Urteil und dem in Bezug genommenen Berichterstatterhinweis ergibt, hat das FG angenommen, dass die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer mit dem ablief; davon ausgehend hat das FG des Weiteren geschlussfolgert, dass die Kläger mit der Übersendung ihres Erstattungsantrags an das FA bewusst bis zum , also bis kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist, gewartet hätten, um das FA verfahrensrechtlich auszuspielen. Dabei hat das FG die Vorschrift des § 171 Abs. 14 der Abgabenordnung (AO 1977) übersehen, wonach die Festsetzungsfrist für eine Steuer nicht vor dem Ablauf der Verjährung eines damit zusammenhängenden Erstattungsanspruchs endet.
Der auf Grund der rechtsgrundlosen Zahlung der Grunderwerbsteuer im Jahr 1994 entstandene Erstattungsanspruch unterlag nach § 228 AO 1977 der fünfjährigen Zahlungsverjährung; diese Verjährungsfrist wäre —ohne Verjährungsunterbrechung— erst mit dem abgelaufen (§§ 229 Abs. 1 Satz 1, 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977; vgl. zu einem ähnlich liegenden Fall:
VIII R 37/00, BFHE 194, 326, BStBl II 2001, 430). Da jedoch die Kläger den Erstattungsanspruch am schriftlich geltend gemacht hatten, ist die Verjährung gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 unterbrochen worden, so dass nach § 231 Abs. 3 AO 1977 erst mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem diese Unterbrechung geendet hat, eine neue fünfjährige Verjährungsfrist beginnt. Wegen der vor dem FG erhobenen Klage, mit der die Kläger ihren Erstattungsanspruch weiter verfolgen, hat aber die Verjährungsunterbrechung gemäß § 231 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bisher nicht geendet, so dass es dem FA nach § 171 Abs. 14 AO 1977 nach wie vor möglich ist (und nach Rechtskraft des Urteils für weitere fünf Jahre möglich sein wird), einen die Festsetzungsfrist wahrenden Grunderwerbsteuerbescheid an die Kläger als Rechtsnachfolger der B zu richten.
Jedoch können die Kläger hierauf ihre Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit Erfolg stützen, denn sie machen insoweit lediglich —berechtigte— Einwände gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG geltend, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).
1. Ob der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ausreichend schlüssig dargelegt ist, kann offen bleiben, da die von der Beschwerde bezeichnete Rechtsfrage, ob der Ausübung eines Rechts der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen kann, bevor die steuerrechtliche Verjährung eingetreten ist, nicht klärungsbedürftig, sondern fraglos zu bejahen ist. Es handelt sich um voneinander zu unterscheidende Rechtsinstitute, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Darüber hinaus wäre es auch sinnlos, sich gegenüber der Geltendmachung eines steuerrechtlichen Erstattungsanspruchs auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu berufen, wenn bereits Verjährung eingetreten und der Erstattungsanspruch damit erloschen ist (§ 232 AO 1977).
2. Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) ist in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen; insoweit gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. höchstrichterlich entwickelten Anforderungen fort (, BFH/NV 2002, 652). Da der Streitfall aber —wie bereits ausgeführt— klärungsbedürftige Rechtsfragen nicht aufwirft, liegt auch der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts —ungeachtet der Frage, ob den Darlegungserfordernissen insoweit genügt ist— jedenfalls nicht vor.
3. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfasst zunächst die Fälle der sog. Divergenzrevision und erfordert darüber hinaus auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann.
a) Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt, erfordert die nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO notwendige Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen, dass die Entscheidung des BFH, von der nach der Behauptung des Beschwerdeführers das Urteil des FG abweicht, genau bezeichnet wird und dass kenntlich gemacht werden muss, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Dem ist nur genügt, wenn abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakte Rechtssätze der Divergenzentscheidung(en) des BFH so genau bezeichnet und gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, 480, m.w.N.; vom X B 26/87, BFH/NV 1988, 239).
Auch insoweit kann es offen bleiben, ob die Beschwerdebegründung diesen Darlegungserfordernissen entspricht, da das FG-Urteil nicht —wie die Beschwerde meint— von der „zum Grundsatz von Treu und Glauben höchstrichterlich ergangenen Rechtsprechung” abweicht.
Mit ihrem Einwand, dass das FG die Kenntnis der Kläger von der Nichtigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids seit Juli 1998 nur vermutet habe, wendet sie sich lediglich gegen die Würdigung der tatsächlichen Umstände durch das FG. Anders als die Beschwerde meint, lässt sich dem angefochtenen Urteil auch nicht entnehmen, dass das FG hinsichtlich der Frage der Verwirkung des Erstattungsanspruchs das Zeitmoment als allein ausschlaggebend angesehen und das sog. „Umstandsmoment” nicht geprüft hat. Vielmehr hat es angenommen, dass das FA insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass die Grunderwerbsteuer von den Klägern unter der Grunderwerbsteuernummer der B entrichtet worden war, keinen Anlass gehabt habe, an der Wirksamkeit des Grunderwerbsteuerbescheids zu zweifeln. Auf einem Rechtssatz, dass es bei der Verwirkung allein auf den Zeitraum, in dem das Recht nicht geltend gemacht worden ist, ankommt, nicht aber auf das sog. „Umstandsmoment”, beruht das Urteil des FG somit nicht. Das FG musste insoweit auch nicht den konkreten auf die Wirksamkeit des Bescheids vertrauenden Finanzbeamten des FA bezeichnen, wie es die Beschwerde meint, und es ist nach den Urteilsgründen auch ausdrücklich von einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und dem FA ausgegangen. Wenn die Beschwerde schließlich einwendet, dass die Kläger kein widersprüchliches Verhalten gezeigt hätten und dass das FG es unzutreffenderweise unterstellt habe, dass sich das FA auf die Nichtgeltendmachung eines Erstattungsanspruchs wegen Unwirksamkeit des Grunderwerbsteuerbescheids eingestellt habe, so macht sie wiederum lediglich eine unzutreffende Tatsachenwürdigung durch das FG im Einzelfall geltend.
b) Die von der Beschwerde angestrebte BFH-Entscheidung ist auch weder geeignet noch notwendig, um künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die hier maßgebende Frage der Verwirkung eines Erstattungsanspruchs zu verhindern, da —wie bereits ausgeführt— das Urteil des FG zwar im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der Festsetzungsfrist von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, dieser Fehler aber nur auf dem irrtümlichen Übersehen des § 171 Abs. 14 AO 1977 beruht.
c) Zwar erfordert der neu gefasste Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO neben den Fällen der Divergenz auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann, weil beispielsweise dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Senatsbeschluss vom VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798). Im Streitfall ist es jedoch nicht ersichtlich, dass dem FG ein solcher Fehler unterlaufen ist. Zwar hat das FG eine —im Streitfall zweifellos einschlägige— Rechtsvorschrift übersehen; andererseits kann aber insoweit auch nicht unberücksichtigt bleiben, in welchem Umfang sich der Irrtum des Gerichts im Ergebnis nachteilig auf den unterlegenen Beteiligten ausgewirkt hat und in welchem Umfang die Beteiligten durch ihr eigenes Verhalten diesen Irrtum hätten vermeiden helfen und damit ein anderes Verfahrensergebnis hätten herbeiführen können.
So ist im Streitfall die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 171 Abs. 14 AO 1977 offenbar im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens auch keinem der Beteiligten aufgefallen; der Tatbestand des FG-Urteils enthält kein entsprechendes Parteivorbringen und es kann auch mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das FG-Urteil anders ausgefallen wäre, falls es zuvor einen Hinweis auf diese Vorschrift gegeben hätte. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass es nicht einmal zu einem Klageverfahren vor dem FG gekommen wäre, falls dem FA oder den fachkundig vertretenen Klägern die Bedeutung des § 171 Abs. 14 AO 1977 für den Streitfall deutlich gewesen wäre. Das FA hätte —wie bereits ausgeführt— über den hinaus einen Grunderwerbsteuerbescheid unter Wahrung der Festsetzungsfrist an die Kläger als Rechtsnachfolger der B richten können. Es hätte dann einen Abrechnungsbescheid erlassen können, in dem der streitige Erstattungsanspruch der Kläger festgestellt und hiergegen mit dem Gegenanspruch aus dem neuen Grunderwerbsteuerbescheid aufgerechnet worden wäre, so dass sich als Saldo ebenfalls 0 DM ergeben hätten. Anders würde sich die Situation für die Kläger auch dann nicht darstellen, wenn das angefochtene Urteil des FG in einem Revisionsverfahren aufgehoben und ein Erstattungsanspruch der Kläger festgestellt würde. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, hätte das FA in diesem Fall gemäß § 171 Abs. 14 i.V.m. § 231 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 AO 1977 mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Rechtskraft eintritt, weitere fünf Jahre Zeit, einen Grunderwerbsteuerbescheid gegen die Kläger zu erlassen. Unter diesen besonderen Umständen vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der dem FG unterlaufene Fehler geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 896
BB 2004 S. 1895 Nr. 35
BFH/NV 2004 S. 1478
BFH/NV 2004 S. 1478 Nr. 10
BStBl II 2004 S. 896 Nr. 20
DB 2004 S. 1869 Nr. 35
DStRE 2004 S. 1184 Nr. 19
INF 2004 S. 730 Nr. 19
KÖSDI 2004 S. 14327 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4456
StB 2004 S. 326 Nr. 9
XAAAB-25472