Trinkgelder anlässlich einer Kur keine agw. Bel.
Leitsatz
Trinkgelder, die im Zusammenhang mit der ärztlich angeordneten Behandlung einer Krankheit hingegeben werden, sind nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (Änderung der Rechtsprechung im Urteil vom III R 240/94, BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346).
Gesetze: EStG § 33
Instanzenzug: (EFG 2002, 1045) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, machten für das Streitjahr 1995 Aufwendungen für eine Badekur in Abano (Italien), die sie in der Zeit vom bis zum durchgeführt haben, in Höhe von 6 657,99 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Darin enthalten waren Trinkgelder in Höhe von 255,79 DM, die sie während der Kur dem dortigen medizinischen Hilfspersonal gegeben haben wollen. Die Reise wurde über ein Reisebüro gebucht. Die Krankenkassen der Kläger haben die Kur jeweils mit 15 DM je Tag bezuschusst.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte diese Kosten im Einkommensteuerbescheid 1995 nicht, weil die medizinische Notwendigkeit der Kur nicht durch den medizinischen Dienst oder den Amtsarzt bestätigt worden sei. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde zurückgewiesen.
Während des Klageverfahrens erging auf Anregung des Gerichts ein geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem die Kosten für die Kur, nicht aber die Aufwendungen für die Trinkgelder anerkannt wurden. Die insoweit und wegen weiterer Streitpunkte aufrechterhaltene Klage hatte hinsichtlich der Trinkgelder Erfolg. Das Gericht war unter Hinweis auf das (BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346) der Auffassung, dass Trinkgelder, die im Zusammenhang mit einer ärztlich angeordneten Behandlung einer Krankheit hingegeben würden, ihrer Art nach zu den unmittelbaren Krankheitskosten rechneten und daher als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1045 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Unabhängig davon, ob dem Urteil des BFH in BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346 zu folgen sei, müsse die Revision deshalb erfolgreich sein, weil die Kläger die Hingabe der Trinkgelder nicht in der vom BFH geforderten Weise nachgewiesen hätten.
Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als Trinkgelder in Höhe von 255,79 DM als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurden, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF), das dem Verfahren beigetreten ist, hält Trinkgelder für nicht nach § 33 Abs. 1 EStG abziehbar. Es fehle an der Zwangsläufigkeit.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat zu Unrecht die von den Klägern geltend gemachten Trinkgelder als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt.
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG ermäßigt sich die Einkommensteuer, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlassten Aufwendungen regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglicher zu machen. Auch Aufwendungen für eine Kurreise sind als Krankheitskosten abziehbar, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum Erfolg versprechend erscheint (, BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614).
Zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit ist es jedoch regelmäßig erforderlich, dass der Steuerpflichtige ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares Attest vorlegt und sich am Zielort einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterzieht. Der Senat hält dies wegen der im Allgemeinen schwierigen Abgrenzung zu Erholungsreisen und zur Verhinderung von Missbräuchen für erforderlich.
Von den strengen Anforderungen an den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Kurreise lässt die Rechtsprechung jedoch Ausnahmen zu und erkennt statt eines amtsärztlichen Gutachtens die Bescheinigung einer Versicherungsanstalt oder die Bestätigung einer Behörde an, wenn sich aus dieser zweifelsfrei ergibt, dass der Steuerpflichtige krank und der Aufenthalt an einem bestimmten Kurort für einen gewissen Zeitraum medizinisch angezeigt ist. Der Senat hält ein Absehen von der Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten Attestes auch dann für gerechtfertigt, wenn feststeht, dass die medizinische Notwendigkeit der Kurmaßnahmen vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung geprüft und bejaht worden ist (Urteil in BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614). Das wird in der Regel dann der Fall sein, wenn eine gesetzliche Krankenkasse (§ 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch —SGB V—) nicht nur eine ambulante Behandlung, sondern zusätzlich Unterkunft und Verpflegung in einer Versorgungseinrichtung für erforderlich erachtet (§§ 23 Abs. 4, 24 SGB V). Entsprechendes gilt bei einer stationären Unterbringung in einer Rehabilitationseinrichtung nach § 40 Abs. 2 SGB V oder § 41 SGB V. Denn in diesen Fällen kann unterstellt werden, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme zuvor überprüft hat (§ 275 Abs. 2 Nr. 1 SGB V). Soweit Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit dieser Unterbringung Kosten entstehen, sind diese nach § 33 Abs. 1 EStG abziehbar.
Ob im Streitfall —wie zum Nachweis der Notwendigkeit der Kur in Abano erforderlich— tatsächlich vor Antritt der Kur eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen der Kläger eingeholt wurde, ist vom FG nicht festgestellt worden. Dies kann hier jedoch offen bleiben, weil Trinkgelder, die im Zusammenhang mit der ärztlich angeordneten Behandlung einer Krankheit hingegeben werden, bereits dem Grunde nach nicht zwangsläufig sind. Sie können daher nicht nach § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt werden. Der Senat hält an seiner gegenteiligen Auffassung im Urteil in BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346 nicht mehr fest.
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten —ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung— dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dabei sind alle Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Die Rechtsprechung will damit vermeiden, bei einem so höchst persönlichen Rechtsgut wie der Gesundheit des Menschen in dessen Intimsphäre einzudringen (, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom III R 36/01, BFHE 203, 295, BFH/NV 2004, 114).
Von der nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung an sich erforderlichen Prüfung der Zwangsläufigkeit jeder einzelnen Ausgabe ist jedoch nur in Bereichen abzusehen, die die Intimsphäre berühren. Dies kommt regelmäßig nur bei Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung in Betracht. In allen anderen Fällen besteht kein Grund, vom Gesetzeswortlaut abzuweichen und die Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach nicht zu prüfen. Dementsprechend untersucht der BFH z.B. Fahrtkosten, die anlässlich einer medizinischen Behandlung anfallen, ebenso auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit (Urteil vom III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227), wie etwa die krankheitsbedingte Notwendigkeit von Aufwendungen für eine Zweitwohnung (Urteil vom III R 296/84, BFHE 151, 443, BStBl II 1988, 137; s. auch , BFH/NV 2001, 1562).
Bei der Überprüfung, ob Trinkgelder anlässlich von Heilbehandlungen zwangsläufig anfallen, bedarf es keines Eindringens in die Intimspähre des Steuerpflichtigen, so dass für eine einschränkende Gesetzesauslegung kein Raum ist.
Trinkgelder sind nicht zwangsläufig i.S. des § 33 EStG, und zwar unabhängig davon, ob die zugrunde liegende Leistung selbst als außergewöhnliche Belastung zu beurteilen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Ausgabe i.S. des § 33 Abs. 2 EStG nur zwangsläufig, wenn auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in der Weise Gründe von außen einwirken, dass er ihr nicht ausweichen kann (z.B. , BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Der Steuerpflichtige ist zwar aus tatsächlichen Gründen gezwungen, bei Krankheiten medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daher erwachsen ihm die hierfür geschuldeten Entgelte zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 1 EStG. Trinkgeld wird aber zivilrechtlich nicht geschuldet. Vielmehr ist Trinkgeld „das einem Arbeitnehmer oder sonstigen Dienstleistenden anlässlich einer Dienstleistung über die hierfür zu beanspruchende Vergütung hinaus freiwillig gewährte Entgelt„ (Brockhaus, Die Enzyklopädie). Auch wenn kein Trinkgeld erbracht wird, hat der Steuerpflichtige Anspruch auf eine sachgemäße Behandlung seiner Krankheit und kann diese auch erwarten. Dies gilt unabhängig davon, ob zivilrechtlich Trinkgeld als eine Art Zusatzvergütung für gute Vertragserfüllung gilt und daher vom Empfänger als Einkommen versteuert werden muss (Kollhosser in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, herausgegeben von Rebmann/Säcker, 3. Aufl., § 516 Rz. 19, m.w.N.; , BFHE 184, 474, BStBl II 1999, 323). Denn gleichwohl handelt es sich um ein von der eigentlichen Leistungsvergütung zu trennendes zusätzliches Entgelt, das im Rahmen des § 33 EStG gesondert zu prüfen ist (so zutreffend , EFG 2003, 1096).
3. Eine Saldierung zugunsten der Kläger kommt nicht in Betracht. Zu Recht hat das FG die Aufwendungen für eine Reisetasche und einen Kurzreisekoffer nach § 12 Abs. 1 Satz 2 EStG als sog. gemischten Aufwand nicht anerkannt. Die Erstattungen der Krankenkasse im Folgejahr 1996 in Höhe von 660 DM hat es ebenfalls zutreffend nach dem Prinzip der Vorteilsanrechnung bereits im Streitjahr 1995 gegengerechnet (Senatsurteil vom III R 8/95, BFHE 189, 371, BStBl II 1999, 766) .
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO. Soweit die im Klageverfahren ergangenen Änderungsbescheide dem Klagebegehren entsprochen und zu einer Teilerledigung geführt haben, sind dem FA die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO; , BFH/NV 1999, 1396, und vom I R 85/98, BFH/NV 2000, 1247). Die Kosten bis zum Erlass der Änderungsbescheide sind vom FA zu 48 v.H. und von den Klägern zu 52 v.H. zu tragen; die weiteren bis zum Abschluss des Klageverfahrens entstandenen Kosten und die Kosten des Revisionsverfahrens sind den Klägern aufzuerlegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 270
BFH/NV 2004 S. 564
BFH/NV 2004 S. 564 Nr. 4
BStBl II 2004 S. 270 Nr. 7
DB 2004 S. 1397 Nr. 26
DB 2004 S. 522 Nr. 10
DStR 2004 S. 1174 Nr. 28
DStR 2004 S. 419 Nr. 10
DStRE 2004 S. 367 Nr. 6
FR 2004 S. 425 Nr. 7
FR 2004 S. 799 Nr. 13
INF 2004 S. 205 Nr. 6
KÖSDI 2004 S. 14137 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4460
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2005 S. 4061
StB 2004 S. 121 Nr. 4
WAAAB-16597