BFH Beschluss v. - II B 31/00 BStBl 2004 II S. 237

Analoge Anwendung des § 127 FGO im NZB-Verfahren

Leitsatz

Ergeht während des Verfahrens über eine zulässige, aber unbegründete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein Änderungsbescheid zu Lasten des Steuerpflichtigen, ist die Vorentscheidung entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Gesetze: FGO § 68FGO § 127

Instanzenzug:

Gründe

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist in den Jahren 1995 und 1996 zusammen mit ihrem Ehemann unter Vorbehalt der Nachprüfung auf den bis 1992 zur Vermögensteuer veranlagt worden, und zwar in Höhe von 145 465 DM, 288 965 DM, 636 615 DM bzw. 692 590 DM. Im Dezember 1996 beantragten die Eheleute unter Hinweis auf den (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655), die Vermögensteuerbescheide gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben, da ihre, der Eheleute, steuerliche Gesamtbelastung die vom BVerfG entwickelte Belastungsobergrenze (Halbteilungsgrundsatz) übersteige. Dies lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) mit Verfügung vom ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er mit Entscheidung vom zurück. Auch die dagegen eingelegte Klage der Eheleute blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die vom BVerfG angeordnete Weitergeltung des Vermögensteuerrechts bis Ende 1996 stehe einer Berufung auf den Halbteilungsgrundsatz entgegen. Abgesehen davon sei nicht zu erkennen, dass die Eheleute in den Streitjahren über die 50 v.H.-Grenze hinaus belastet worden seien.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machten zunächst beide Eheleute geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, ob und inwieweit der Halbteilungsgrundsatz auch für die Zeit der angeordneten Weitergeltung des Vermögensteuerrechts bis zum auf die Vermögensteuer anzuwenden und was die Bezugsgröße für die Halbteilung ist.

Während des Beschwerdeverfahrens sind aus anderen Gründen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderte Vermögensteuerbescheide ergangen, und zwar auf den und 1990 am und auf den und 1992 am . Durch die Änderungsbescheide ist die Vermögensteuer auf 126 590 DM und 393 505 DM bzw. 445 276,43 € und 561 216,98 € festgesetzt worden. Zudem ist über das Vermögen des Ehemanns während des Beschwerdeverfahrens am das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das FA hat mit Schriftsatz vom beantragt, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen.

II.

A. Das Verfahren hinsichtlich der Vermögensteuer 1989 ist abgetrennt worden.

B. In dem danach verbliebenen Umfang ist die Beschwerde hinsichtlich der Vermögensteuer auf den unzulässig (geworden) und hinsichtlich der Vermögensteuer auf den und 1992 mit der Maßgabe begründet, dass die Sache in entsprechender Anwendung des § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen ist.

1. Das Beschwerdeverfahren ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Ehemanns gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen worden. Es konnte gemäß § 185 i.V.m. § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits fortgesetzt werden. Zur Aufnahme waren die Beteiligten beider Seiten berechtigt (Schumacher in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 2, 2002, § 185 Anm. 12), nachdem die Steuerforderungen im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter bestritten worden sind (§ 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 2 InsO). Das FA hat von seinem Recht zur Aufnahme des Verfahrens mit Schriftsatz vom Gebrauch gemacht.

2. Bei Unterbrechung des Beschwerdeverfahrens waren sämtliche ursprünglich angefochtenen Vermögensteuerbescheide durch Änderungsbescheide ersetzt, wobei die Änderung auf den zugunsten und die Änderungen auf den bis 1992 zu Lasten der Eheleute ausgefallen waren. Die Auswirkungen der Änderungsbescheide auf das anhängige Beschwerdeverfahren bestimmen sich nach § 68 FGO, der auch im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision Anwendung findet, und zwar unabhängig davon, ob das Beschwerdeverfahren eine Anfechtungsklage oder wie im Streitfall —wenn auch vom FG verkannt— eine Verpflichtungsklage betrifft (, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854), und unabhängig davon, ob die Änderungsbescheide noch vor In-Kraft-Treten der Neufassung des § 68 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I, 1757) oder erst danach ergangen sind (vgl. zu § 68 FGO a.F.: BFH-Beschlüsse vom X B 166/87, BFH/NV 1989, 380, sowie vom VII B 124/99, BFH/NV 2000, 604, und zu § 68 FGO n.F.: BFH-Beschlüsse vom VII B 153/02, BFH/NV 2003, 1065; vom V S 13/02, juris-Dokument Nr. StRE 200350566, sowie vom IV B 184/01, juris-Dokument Nr. StRE 200351020). Allerdings hatten die Änderungsbescheide unterschiedliche Rechtsfolgen für das Beschwerdeverfahren, je nachdem, ob sie noch zur Zeit der Geltung des § 68 FGO a.F. oder erst zur Zeit der Geltung des § 68 FGO n.F. ergangen sind (vgl. , BFH/NV 2002, 672).

a) Der Änderungsbescheid auf den vom ist nicht zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Nach § 68 FGO a.F. wurden nach Klageerhebung ergangene Änderungsbescheide nur auf Antrag der Klägerseite zum Gegenstand des Verfahrens. Der Antrag war innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der neuen Verwaltungsakte zu stellen, worauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen war. Unterblieb der Hinweis auf die Monatsfrist, verlängerte sich die Antragsfrist entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO auf ein Jahr (, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Im Streitfall enthielt der Änderungsbescheid auf den keinen Hinweis auf § 68 Satz 3 FGO a.F. Die Kläger haben jedoch weder innerhalb eines Monats noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Bescheide einen Antrag nach Satz 1 der Vorschrift gestellt. Da sie stattdessen Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt und diesen aber später —nämlich mit Schriftsatz vom — wieder zurückgenommen haben, ist dieser Änderungsbescheid bestandskräftig geworden. Der geänderte ursprüngliche Bescheid ist mangels eines Antrags nach § 68 Satz 1 FGO a.F. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geblieben. Allerdings ist insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für das Beschwerdeverfahren entfallen, weil dem geänderten Bescheid keine Rechtswirkung mehr zukommt (Entscheidung des Großen Senats des , BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, unter III. 3.). Damit ist die Beschwerde insoweit unzulässig geworden.

b) Dagegen sind die Änderungsbescheide auf den und 1992 vom gemäß § 68 Satz 1 FGO n.F. zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Die durch sie bewirkte Verböserung für die Eheleute ist bisher jedoch erstinstanzlich noch nicht überprüft worden. Selbst wenn sich insoweit nur rechtliche Einwendungen vorbringen ließen, deren Beurteilung keine weiteren tatsächlichen Feststellungen erforderte, könnte diese Beurteilung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgenommen werden. Diesem Umstand, der für sich genommen keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO darstellt, ist für den Fall, dass die Beschwerde —wie im Streitfall— ansonsten unbegründet wäre, auf zweierlei denkbare Weise abzuhelfen. So könnte trotz fehlendem Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO eine Zulassung der Revision erwogen werden, um eine rechtliche Überprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Diese Vorgehensweise eröffnete für den Fall, dass weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich werden, gemäß § 127 FGO auch die Möglichkeit einer Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz. Als Alternative bietet sich eine entsprechende Anwendung des § 127 FGO auf das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision an, um die infolge des § 68 FGO n.F. aufgerissene Gesetzeslücke im Bereich des Revisionszulassungsrechts zu füllen. Der Senat befürwortet diese zweite Alternative (vgl. auch Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 127 FGO Anm. 13 i.V.m. Anm. 7). Sie hat den Vorzug, dass den Beschwerdeführern bezüglich der durch den Erlass eines Änderungsbescheides aufgeworfenen Rechtsfragen keine Instanz genommen wird und dass das Revisionsverfahren vermieden wird, wenn bereits im Beschwerdeverfahren die Notwendigkeit weiterer Tatsachenfeststellungen infolge der Änderungsbescheide erkennbar ist. Sie führt im Streitfall zur Aufhebung der Vorentscheidung insoweit, als diese die Vermögensteuer auf den und 1992 betrifft, sowie zur Zurückverweisung an das FG.

3. Der Senat weist informatorisch auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach für die Dauer der befristeten Weitergeltung des Vermögensteuerrechts ein im Einzelfall sich ergebendes Überschreiten der vom BVerfG mit Beschluss in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 entwickelten Belastungsobergrenze jedenfalls im Rahmen einer Veranlagung zur Vermögensteuer hinzunehmen ist (so BFH-Entscheidungen vom II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom II B 53/98, BFH/NV 1999, 228; vom II R 47/97, BFH/NV 1999, 452; vom II B 110/98, BFH/NV 1999, 1653, sowie vom II B 157/99, BFH/NV 2001, 498). Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats in BFH/NV 1999, 452, dem diese Auffassung des Senats zugrunde liegt, ist vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluss vom   1 BvR 2136/98).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 237
BB 2004 S. 426 Nr. 8
BB 2004 S. 480 Nr. 9
BFH/NV 2004 S. 433
BFH/NV 2004 S. 433 Nr. 3
BStBl II 2004 S. 237 Nr. 6
DB 2004 S. 1026 Nr. 19
DStRE 2004 S. 362 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4459
StB 2004 S. 126 Nr. 4
MAAAB-16074