BFH Beschluss v. - I B 39/03

Zulässigkeit eines Richterwechsels nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung

Gesetze: FGO §§ 90, 103

Instanzenzug:

Gründe

I. In der Sache ist streitig, ob ein Forderungserlass gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bei dieser zu einem steuerfreien Sanierungsgewinn führt. Im Klageverfahren hat das Finanzgericht (FG) am in der Besetzung des Vorsitzenden Richters A, der Richter B und C und zweier ehrenamtlicher Richter mündlich verhandelt und darauf die Sache vertagt, nachdem es auf die Möglichkeit einer bestimmten rechtlichen Beurteilung des Streitfalles hingewiesen hat. In einem nachfolgenden Schriftsatz vom hat die Klägerin auf eine (weitere) mündliche Verhandlung verzichtet. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hatte bereits zuvor in seiner Stellungnahme zur Klage vom auf mündliche Verhandlung verzichtet. Mit Urteil vom wies das FG die Klage ohne mündliche Verhandlung in der Besetzung der Richter A, B und C und zwei anderer ehrenamtlicher Richter ab.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Sie rügt Verfahrensmängel der Vorinstanz (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Da das Urteil mehrheitlich von Richtern gefällt worden sei, die an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hatten, liege ein Verstoß gegen § 103 FGO vor. Die Entscheidung werde im Wesentlichen auf Umstände gestützt, die in der mündlichen Verhandlung erörtert worden seien. Im Übrigen habe das FG nicht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Der vom FA ursprünglich erklärte Verzicht sei durch die später durchgeführte Verhandlung gegenstandslos geworden. Die Tatsache, dass die Klägerin inzwischen selbst auf mündliche Verhandlung verzichtet habe, berühre ihr dahin gehendes Rügerecht nicht.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet und war daher zurückzuweisen. Das Verfahren des FG ist nicht zu beanstanden.

Das FG hat nicht gegen § 103 FGO verstoßen. Nachdem es die mündliche Verhandlung vertagt hatte, war ein Wechsel auf der Richterbank zulässig. Abweichendes kann lediglich bei einer bloßen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung gelten, wenn sich eine und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage hinzieht (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 95, 24, BStBl II 1969, 297; vom XI R 76/96, BFH/NV 1998, 468; , BFH/NV 1994, 880, m.w.N.). Das FG hat somit zutreffend in der Besetzung entschieden, die nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Beratungstag maßgebend war (, BFH/NV 1998, 67; vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 90 Anm. 18, m.w.N.).

Das FG hat auch nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) verletzt, indem sein Urteil ohne weitere mündliche Verhandlung ergangen ist. Denn die Beteiligten hatten zuvor wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 FGO), dies gilt auch für die bereits am erfolgte Verzichtserklärung des FA. Ein Wechsel in der Besetzung des Gerichts lässt die Wirksamkeit einer zuvor erklärten Verzichtserklärung grundsätzlich unberührt (, BFH/NV 1997, 292, m.w.N.). Allerdings haben die Beteiligten das Recht, ihre Verzichtserklärung zu widerrufen, wenn sich die Prozesslage wesentlich ändert. In diesem Falle kann auch eine dahin gehende Anfrage durch das Gericht geboten sein (, BFHE 160, 405, BStBl II 1990, 744; vom V R 102/98, BFH/NV 1999, 1480, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall indessen nicht vor, ein Widerruf ist auch nicht erfolgt. Die Verzichtserklärung (des FA) war vorliegend auch nicht „verbraucht„. Zwar kann von einem Verbrauch des Verzichts auf mündliche Verhandlung auszugehen sein, wenn das Gericht zwischenzeitlich eine die Endentscheidung sachlich wesentlich vorbereitende Entscheidung erlässt (, BFH/NV 1987, 651, m.w.N.; vom X R 39/93, BFHE 178, 301, BStBl II 1995, 842; in BFH/NV 1999, 1480; vgl. auch Gräber/Koch, a.a.O., § 90 Anm. 15, m.w.N.). Vorliegend hat das FG die mündliche Verhandlung vom jedoch lediglich vertagt, nachdem es auf die Möglichkeit einer bestimmten rechtlichen Würdigung des Streitfalles hingewiesen hat; eine Entscheidung im genannten Sinne ist darin nicht zu erblicken.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 350
BFH/NV 2004 S. 350 Nr. 3
UAAAB-15364