BFH Urteil v. - II R 48/06

Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs: Erlöschen eines grundstücksbezogenen Übereignungsanspruchs durch Bewirkung einer anderen Leistung

Leitsatz

Das Erlöschen des grundstücksbezogenen Übereignungsanspruchs nicht durch Übereignung des Grundstücks, sondern durch das Erbringen einer anderen Leistung (hier: Abtretung der Rechte und Ansprüche aus Kaufverträgen), ist einer Aufhebung des nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts gleichzustellen und entsprechend § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wie eine Rückgängigmachung durch Vereinbarung zu behandeln.

Gesetze: GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, BGB § 364

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die frühere M-AG war Eigentümerin eines mit sechs Mehrfamilienhäusern bebauten Grundbesitzes. 1993 veräußerte sie sechs mit je einem der Mehrfamilienhäuser bebaute (Teil-)Grundstücke an verschiedene Erwerber. Über die Durchführung dieser Verträge kam es in der Folgezeit zum Streit zwischen den Vertragsbeteiligten. Im Jahre 1999 wurde die E-AG (im Weiteren: Verkäuferin —V—) im Wege der Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der M-AG.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom veräußerte V den gesamten Grundbesitz an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zu einem Kaufpreis von 4 157 000 DM; ferner übernahm die Klägerin Schulden der V in Höhe von 3 743 000 DM. V bewilligte zugunsten der Klägerin eine Auflassungsvormerkung. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Durchführung der im Jahre 1993 abgeschlossenen Verträge noch immer in der Schwebe. V verpflichtete sich gegenüber der Klägerin, die Durchführung dieser Verträge in jeder Hinsicht zu fördern, und trat alle Ansprüche und Rechte aus diesen Verträgen an die Klägerin ab. Sollten die Verträge durchgeführt werden und die V deshalb ihrer Eigentumsverschaffungspflicht der Klägerin gegenüber nicht nachkommen können, sollte diese Abtretung an Erfüllungs statt erfolgen. V war ferner verpflichtet, die Auseinandersetzung mit den früheren Erwerbern in enger Abstimmung mit der Klägerin zu führen sowie rechts- und prozessgestaltende Erklärungen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten aus diesen Verträgen nur mit Zustimmung der Klägerin abzugeben.

Am einigte sich V mit drei Grundstückserwerbern und vereinbarte mit ihnen die Durchführung der Grundstückskaufverträge aus dem Jahr 1993. Die Klägerin wirkte an dieser Vereinbarung mit, weil zu ihren Gunsten zwischenzeitlich eine Auflassungsvormerkung eingetragen war, und verpflichtete sich, die Löschung zu bewilligen.

Die Erwerber aus den Verträgen des Jahres 1993 sollten den Kaufpreis direkt an die Klägerin zahlen. Am wurden die drei Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen; am selben Tag wurden die zugunsten der Klägerin eingetragenen Auflassungsvormerkungen gelöscht.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) hatte gegen die Klägerin mit Bescheid vom Grunderwerbsteuer in Höhe von 276 500 DM nach einer Bemessungsgrundlage von 7 900 000 DM (Kaufpreis 4 157 000 DM zuzüglich 3 743 000 DM übernommene Verbindlichkeiten) festgesetzt. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) durch rechtskräftiges Urteil abgewiesen.

Mit Antrag vom begehrte die Klägerin die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids gemäß § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) hinsichtlich der die drei Grundstücke betreffenden Erwerbsvorgänge. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage mit seinem in Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst 2006, 1541 veröffentlichten Urteil statt und verpflichtete das FA in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG, die Grunderwerbsteuer auf 81 383,63 € herabzusetzen. Es führte zur Begründung aus, die Eigentumsverschaffungspflicht der V habe unter der auflösenden Bedingung gestanden, dass die im Jahre 1993 über diesen Grundbesitz abgeschlossenen Kaufverträge doch noch vollzogen würden. Diese auflösende Bedingung sei mit Abschluss der Vereinbarung vom hinsichtlich der drei Grundstücke eingetreten. Mit Abgabe der Löschungsbewilligungen durch die Klägerin hinsichtlich der für sie eingetragenen Auflassungsvormerkungen sei der Vertrag vom vollständig rückgängig gemacht worden. Es liege auch eine tatsächliche Rückgängigmachung vor, weil die Vergleichsverhandlungen mit den ursprünglichen Erwerbern von V geführt worden seien. Einer Rückzahlung des von der Klägerin gezahlten Kaufpreises durch V habe es nicht bedurft. Für V habe sich aus der im Kaufvertrag vom vereinbarten Abtretung sämtlicher Ansprüche und Rechte aus den 1993 geschlossenen Verträgen ein ausreichender Rechtsgrund zur Einbehaltung des von der Klägerin empfangenen Kaufpreises ergeben.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG. Der Vertrag vom sei im Hinblick auf die Durchführung der 1993 geschlossenen Verträge nicht auflösend bedingt abgeschlossen worden. Der Vertrag sei auch nicht vollständig rückgängig gemacht worden, weil die Klägerin aufgrund ihrer aus diesem Vertrag abgeleiteten Rechtsposition tatsächlich im eigenen wirtschaftlichen Interesse unmittelbaren Einfluss auf die von ihr gewollte Durchführung der 1993 geschlossenen Vereinbarungen ausgeübt habe.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen einer Rückgängigmachung der die drei Grundstücke betreffenden Erwerbsvorgänge gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bejaht.

1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag u.a. dann aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.

a) Zur Erfüllung des Tatbestandes des § 16 Abs. 1 GrEStG reicht allein die zivilrechtliche (formale) Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts nicht aus. „Rückgängig gemacht” ist ein Erwerbsvorgang vielmehr erst dann, wenn sich die Vertragspartner über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770; vom II R 18/05, BFHE 217, 276, BStBl II 2007, 726, ständige Rechtsprechung). Die Parteien müssen sämtliche Wirkungen aus dem Erwerbsvorgang aufheben und sich so stellen, als wäre dieser nicht zustande gekommen (, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495, m.w.N.).

b) Dies gilt auch dann, wenn im Zusammenhang mit der „Rückgängigmachung” des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks erfolgt. In einem solchen Fall ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entscheidend, ob für den Erwerber des auf eine Rückgängigmachung hin zu überprüfenden Erwerbsvorgangs —trotz formaler Aufhebung des ursprünglich tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts— im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten” Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Veräußerer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war. Verblieb dem Erwerber trotz Aufhebung des mit ihm vereinbarten tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts eine derartige Verwertungsmöglichkeit und wurde diese durch die Weiterveräußerung des Grundstücks beendet, ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen, wenn der Erwerber im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung seine Rechtsposition im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse tatsächlich verwertet hat (so BFH in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770, unter II. 1. b).

2. Diese Grundsätze sind mit den auf ihn zugeschnittenen Anpassungen auch auf den Streitfall anzuwenden. Sie führen in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG dazu, dass der in der Person der Klägerin verwirklichte Erwerbsvorgang teilweise rückgängig gemacht worden ist (vgl. zur entsprechenden Anwendung: Sack in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 16 Rz 385).

a) Im Streitfall ist es nicht zu einer Vertragsauflösung gekommen, sondern lediglich zum Erlöschen des grundstücksbezogenen Übereignungsanspruchs. Das Erlöschen ist dabei nicht durch Übereignung des Grundstücks eingetreten —was überhaupt erst die Frage nach einer Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG aufwirft—, sondern durch das Erbringen einer anderen Leistung. Die andere Leistung besteht in der Abtretung der Rechte und Ansprüche aus den Kaufverträgen mit den drei Einzelerwerbern, der nach den Vereinbarungen zwischen der Klägerin und V bei Vollzug dieser Kaufverträge die Wirkung einer Leistung an Erfüllungs statt zukommen sollte (§ 364 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Der Vollzug dieser Kaufverträge ist spätestens mit Eigentumsumschreibung auf die Ersterwerber im April 2002, und damit noch innerhalb der Zweijahresfrist des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, eingetreten. Da die (rechtsgeschäftliche) Begründung eines grundstücksbezogenen Übereignungsanspruchs den nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang ausmacht, ist es gerechtfertigt, solch ein Erlöschen eines grundstücksbezogenen Übereignungsanspruchs einer Aufhebung des nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts gleichzustellen und es entsprechend § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wie eine Rückgängigmachung durch Vereinbarung zu behandeln.

b) Der Umstand, dass die Klägerin bei der Durchführung der im Jahre 1993 abgeschlossenen Kaufverträge mitgewirkt und deren Vollzug durch Bewilligung der Löschung der für sie eingetragenen Auflassungsvormerkungen spätestens im April 2002 ermöglicht hat, steht der tatsächlichen Rückgängigmachung im Streitfall nicht entgegen, weil ihre Mitwirkung nicht in Ausübung einer Verwertungsmöglichkeit aus dem sie, die Klägerin, betreffenden Grundstücksgeschäft erfolgte. Denn hierin wurde hinsichtlich der Verpflichtung der V zur Verschaffung des Eigentums den im Jahre 1993 abgeschlossenen Verträgen der Vorrang vor dem später abgeschlossenen Vertrag mit der Klägerin eingeräumt. Insoweit bildet im Streitfall der Erwerb der Klägerin nicht —wie im Regelfall einer Vertragsaufhebung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Wiederveräußerung— den Ersterwerb, sondern den Zweiterwerb. Ersterwerber waren vielmehr die drei Einzelerwerber.

Dass die Mitwirkung noch während des Bestehens des eigenen Übereignungsanspruchs stattgefunden hat, bedeutet nicht, dass sie einer Rückgängigmachung entgegensteht. Vielmehr hindert diese Mitwirkung deshalb die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht, weil sie in Ausübung der neben dem Grundstücksgeschäft übertragenen Rechte und Ansprüche aus den Kaufverträgen mit den einzelnen Ersterwerbern erfolgte. Diese Rechtspositionen sind aber nicht Ausfluss des Grundstücksgeschäfts, sondern eines weiteren, lediglich in derselben Urkunde vereinbarten (Abtretungs-)Vertrages, dem für sich allein keine grunderwerbsteuerrechtliche Bedeutung zukommt.

c) Schließlich schließen weder die im Zeitpunkt der Mitwirkung der Klägerin an der Durchführung der Verträge aus dem Jahre 1993 noch bestehenden Auflassungsvormerkungen noch der Umstand, dass der von der Klägerin entrichtete Kaufpreis nicht zurückgezahlt wurde, die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aus. Der BFH hat zwar die Löschung einer zugunsten des Erwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung verlangt, um die Rechtsfolge des § 16 Abs. 1 GrEStG zu erzielen (so Urteil in BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495, unter II. 2. b); im Streitfall kam der Vormerkung zugunsten der Klägerin jedoch von Anfang an nicht die Funktion zu, die Verwirklichung ihres Übereignungsanspruchs gegenüber den auf dieselben Grundstücke gerichteten Ansprüchen der einzelnen Ersterwerber zu sichern —deren Eigentumserwerb war auch von der Klägerin gewollt—, sondern die Funktion, sie vor einer Entwertung der ihr abgetretenen Rechte und Ansprüche gegen die Ersterwerber zu schützen. Eine Rückzahlung des Kaufpreises an V entfiel, weil V ihre „Gegenleistung” erbracht und mit dinglicher Wirkung ihre Ansprüche aus den im Jahre 1993 abgeschlossenen Kaufverträgen an die Klägerin abgetreten hatte und die Ersterwerber ihre Zahlungsverpflichtungen wegen der ihnen bekannten Abtretung der Zahlungsansprüche an die Klägerin ohnehin gegenüber dieser zu erfüllen hatten.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1524 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2008 S. 3550
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 15
VAAAC-84504