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infoCenter (Stand: Januar 2024)

Schätzung

Alexander v. Wedelstädt

I. Definition

Die Finanzbehörde hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festzustellen. Lässt sich dies trotz Erfüllung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde und der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Ausschöpfung aller Beweismittel nicht erreichen, greift § 162 Abs. 1 Satz 1 AO und verpflichtet die Finanzbehörde, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Dies hebt die Ermittlungspflichten der Finanzbehörde und die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht auf, sondern greift, wenn diese keine Aufklärung bringen. § 162 Abs. 2 AO zählt die Schätzungsanlässe auf, § 162 Abs. 3 AO regelt die Schätzung bei internationalen Sachverhalten, § 162 Abs. 4 AO die Festsetzung eines Zuschlags bei verspäteter oder unterlassener Vorlage verwertbarer Unterlagen und § 162 Abs. 5 AO die Zulässigkeit der Schätzung von gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen vor Ergehen eines Grundlagenbescheids.

Auf den ausführlichen zur Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung wird hingewiesen.

II. Anwendungsbereich

Die Schätzungsbefugnis steht der Finanzbehörde im Festsetzungs- und Feststellungsverfahren einschließlich des Außenprüfungsverfahrens und auch im Rechtsbehelfsverfahren gegen Festsetzungs- und Feststellungsbescheide zu, nicht dem Steuerpflichtigen. Eine Schätzung ist auch möglich, um den Haftungsanspruch festzulegen. Zur Schätzung als Folge der Betriebsprüfung s. Nöcker, unter II.

Bei bestimmten Besteuerungsgrundlagen verbietet die entsprechende gesetzliche Regelung eine Schätzung, wie z.B. in Fällen strenger Aufzeichnungs- und Nachweispflichten.

Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht eine eigene Schätzungsbefugnis bzw. Schätzungspflicht (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wenn das FG die Schätzung durch das Finanzamt für rechtswidrig hält. Dies gilt nicht für das Revisionsverfahren.

Im Besteuerungsverfahren können die Besteuerungsgrundlagen vom Finanzamt auch dann geschätzt werden, wenn gegen den Steuerpflichtigen ein Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat eingeleitet worden ist. Im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich grundsätzlich die Rechte und Pflichten von Steuerpflichtigem und Finanzbehörde nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Der (beschuldigte) Steuerpflichtige hat im Besteuerungsverfahren die von der AO vorgeschriebenen Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Obwohl im Besteuerungsverfahren die steuerlichen Verfahrensregeln auch insoweit gelten, als es um das Vorliegen einer Steuerhinterziehung geht, z.B. in den Fällen der §§ 71, 169 Abs. 2 Satz 2, 235 AO, wendet die Rechtsprechung insoweit den Grundsatz in dubio pro reo an. Schätzungen sind im Steuerstraf- und -ordnungswiderkeitsverfahren nicht grundsätzlich unzulässig. Sie sind zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, dessen steuerliche Höhe aber ungewiss ist. Die Besteuerungsgrundlagen können im Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitsverfahren nicht geschätzt werden, nur die Höhe der Besteuerung, Auf die Aufsatzserie „Die Schätzung im Steuerstrafrecht“ wird verwiesen.

Die Schätzung ist kein Mittel, um die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren oder die Erfüllung der Steuererklärungspflicht durchzusetzen.

Die Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung setzt nicht voraus, dass das Finanzamt zuvor Zwangsmittel i.S. der §§ 328 ff. AO zur Erfüllung der Steuererklärungspflicht angewendet hat. Auch nach einer Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung bleibt der Steuerpflichtige zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO) ; insoweit ist auch weiterhin die Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln zulässig. Dazu Nr. 4.

Zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Bezug auf Mitwirkungspflichten sowie die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen wird auf die „“ verwiesen.

Nicht anwendbar ist § 162 AO

  • im Straf- und Bußgeldverfahren. Der Tatrichter kann aber das Ergebnis einer Schätzung nach ihrer Überprüfung zu seiner Überzeugung als erwiesen ansehen (dazu , im Übrigen s. ),

  • im Verfahren der Steuererhebung und der Vollstreckung,

  • bei Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, da Art. 28 ff. ZK bzw. ab Art. 69 ff. UZK die Ermittlung des Zollwerts detailliert regeln und § 162 AO verdrängen.

Eine weitere Schätzungsvorschrift findet sich in § 64 Abs. 5 AO. Danach können Überschüsse wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe aus der Verwertung unentgeltlich erworbenen Altmaterials außerhalb einer ständig dafür vorgehaltenen Verkaufsstelle, die der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegen, in Höhe des branchenüblichen Reingewinns geschätzt werden. Die Anwendung des § 64 Abs. 5 AO setzt voraus, dass die Überschüsse in einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einer Körperschaft anfallen, die steuerbegünstigte Zwecke i.S. des § 51 AO verfolgt.

III. Schätzungsgegenstand

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Besteuerungsgrundlagen sind die „tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind”. Sie sind nicht auf Tatsachen beschränkt, sondern schließen rechtliche Wertungen von Tatsachen mit ein, wie z.B. im Fall der Gewinnschätzung. Sie erfassen nicht nur bloße quantitative Größen wie Höhe der Umsätze, des Gewinns oder der Einkünfte usw., sondern auch sog. qualitative Tatsachen, d.h. Grundsachverhalte wie z.B. das Vorliegen von Einkünften und Umsätzen. Geschätzt werden kann auch ein Unsicherheitsabschlag von den geltend gemachten Betriebsausgaben. Die Schätzungsbefugnis ist nicht davon abhängig, dass der Steuerpflichtige zu einer förmlichen Aufzeichnung von Betriebseinnahmen und -ausgaben verpflichtet ist.

Reine Rechtsfragen wie z.B. die Frage, ob ein Gewerbebetrieb vorliegt, können nicht Gegenstand einer Schätzung sein . Dasselbe gilt für die Steuer, es sei denn, sie ist selbst Besteuerungsgrundlage wie bei der Umsatzsteuer bezüglich der Vorsteuer; dadurch darf aber der Mangel der fehlenden Rechnung nicht behoben werden.

Geschätzt werden können die anzurechnende Körperschaftsteuer und die einbehaltene Kapitalertragsteuer in entsprechender Anwendung des § 162 AO, die einbehaltene Lohnsteuer, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass Lohnsteuer tatsächlich einbehalten worden ist . Dazu ausführlich Nr. 2 und vom , Nr. 2.

Bei Nichtabgabe der Lohnsteuer-Anmeldung kann das Finanzamt die Lohnsteuer auch durch Schätzungsbescheid festsetzen.

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