Umsatzsteuer; Neuregelung der Steuerbefreiung für Leistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe zum durch das Jahressteuergesetz 2008
Durch Artikel 8 Nr. 4 Buchstabe c und d des Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) vom , BGBl. 2007 I S. 3150 ist § 4 Nr. 23 UStG geändert und § 4 Nr. 25 UStG neu gefasst worden. Die Änderungen sind am in Kraft getreten (Artikel 28 Abs. 4 JStG 2008).
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zur Anwendung der v. g. Steuerbefreiungsvorschriften Folgendes:
I. Neufassung des § 4 Nr. 25 UStG
1. Allgemeines
1 Durch die Neufassung des § 4 Nr. 25 UStG ist der Anwendungsbereich dieser Befreiungsvorschrift wesentlich erweitert worden. Nunmehr werden sämtliche Leistungen, die nach den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VIII – (Kinder- und Jugendhilfe) erbracht werden, unter bestimmten Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit.
2. Begünstigte Leistungen
2 Die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 25 Satz 1 UStG umfasst die Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII.
3 Unter § 2 Abs. 2 SGB VIII fallen folgende Leistungen:
Angebote der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (§§ 11 bis 14 SGB VIII);
Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 bis 21 SGB VIII);
Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege (§§ 22 bis 25 SGB VIII);
Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen (§§ 27 bis 35, 36, 37, 39, 40 SGB VIII);
Hilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und ergänzende Leistungen (§§ 35a bis 37, 39, 40 SGB VIII);
Hilfe für junge Volljährige und Nachbetreuung (§ 41 SGB VIII).
3. Begünstigte Leistungserbringer
4 Die vorgenannten Leistungen sind steuerfrei, wenn sie durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 SGB VIII) oder andere Einrichtungen mit sozialem Charakter erbracht werden. Der Begriff der „anderen Einrichtung mit sozialem Charakter” entspricht der Formulierung der maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Grundlage (Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe h Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie). Auf der Grundlage der dort eingeräumten Befugnis der Mitgliedstaaten sind insoweit anerkannt:
von der zuständigen Jugendbehörde anerkannte Träger der freien Jugendhilfe (§ 75 Abs. 1 SGB VIII), die Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie die amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege gemäß § 23 UStDV;
bestimmte weitere Einrichtungen soweit sie
für ihre Leistungen eine im SGB VIII geforderte Erlaubnis besitzen. Insoweit handelt es sich um die Erlaubnistatbestände des § 43 SGB VIII (Erlaubnis zur Kindertagespflege), § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (Erlaubnis zur Vollzeitpflege), § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung, in der Kinder oder Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut werden oder Unterkunft erhalten) und § 54 SGB VIII (Erlaubnis zur Übernahme von Pflegschaften oder Vormundschaften durch rechtsfähige Vereine);
für ihre Leistungen einer Erlaubnis gemäß SGB VIII nicht bedürfen. Dies sind die in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII geregelten Fälle der Vollzeitpflege sowie der Betrieb einer Einrichtung gemäß § 45 SGB VIII, allerdings nur, wenn es sich um eine Jugendfreizeiteinrichtung, eine Jugendausbildungseinrichtung, eine Jugendherberge oder ein Schullandheim i. S. des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII oder um ein landesgesetzlich der Schulaufsicht unterstehendes Schülerheim i. S. des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII handelt. Ausgenommen sind somit die Einrichtungen i. S. des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII, die außerhalb der Jugendhilfe liegende Aufgaben für Kinder oder Jugendliche wahrnehmen;
Leistungen erbringen, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 SGB VIII), anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe (§ 75 Abs. 1 SGB VIII), Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts oder amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gemäß § 23 UStDV vergütet wurden. Eine Vergütung durch die zuvor genannten Träger und Einrichtungen ist aber nur dann gegeben, wenn der Leistungserbringer von diesen unmittelbar bezahlt wird. Die Vergütung ist nicht um eine eventuelle Kostenbeteiligung nach §§ 90 ff. SGB VIII, z.B. der Eltern, zu mindern;
Leistungen der Kindertagespflege erbringen, für die sie nach § 24 Abs. 5 SGB VIII vermittelt werden können. Da der Befreiungstatbestand insoweit allein darauf abstellt, dass die Einrichtung für die Kindertagespflege vermittelt werden kann, im Einzelfall also nicht vermittelt werden muss, greift die Steuerbefreiung somit auch in den Fällen, in denen die Leistung „privat” nachgefragt wird.
Der Begriff „Einrichtungen” umfasst dabei auch natürliche Personen.
4. Leistungsberechtigte/-adressaten
5 Das SGB VIII unterscheidet Leistungsberechtigte und Leistungsadressaten. Leistungen der Jugendhilfe – namentlich im Eltern-Kind-Verhältnis – sind meist nicht personenorientiert, sondern systemorientiert. Sie zielen nicht nur auf die Verhaltensänderung einer bestimmten Person ab, sondern auf die Änderung bzw. Verbesserung des Eltern-Kind-Verhältnisses. Deshalb sind leistungsberechtigte Personen
in der Regel die Eltern,
darüber hinaus
Kinder im Rahmen der Förderung in Tageseinrichtungen und in Tagespflege,
Kinder und Jugendliche als Teilnehmer an Veranstaltungen der Jugendarbeit (§ 11),
Kinder und Jugendliche im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte (§ 35a),
Junge Volljährige im Rahmen von Veranstaltungen der Jugendarbeit (§ 11) und von Hilfe für junge Volljährige (§ 41).
Leistungsadressaten sind bei Hilfen für Eltern regelmäßig auch Kinder und Jugendliche.
6 Der neue § 4 Nr. 25 UStG verzichtet zudem auf eine eigenständige Definition des „Jugendlichen” (bislang alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres). Umsatzsteuerbefreit können daher auch Leistungen an Personen über 27 Jahren sein, z. B. Angebote der Jugendarbeit (§ 11 SGB VIII), die gemäß § 11 Abs. 4 SGB VIII in angemessenem Umfang auch Personen einbeziehen, die das 27. Lebensjahr vollendet haben.
5. Eng mit der Jugendhilfe verbundene Leistungen
7 Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchstabe a UStG wie bisher auch die Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, wenn die Darbietungen von den von der Jugendhilfe begünstigten Personen (Rz. 5 und 6) selbst erbracht oder die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden und diese Leistungen in engem Zusammenhang mit den in § 4 Nr. 25 Satz 1 UStG bezeichneten Leistungen (Rz. 2 und 3) stehen.
8 Abweichend vom bisherigen § 4 Nr. 25 Satz 1 Buchstabe c UStG wird im neuen § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchstabe a UStG statt der „Jugendlichen” auf „die von der Jugendhilfe begünstigten Personen” abgestellt. Danach ist die Einbeziehung von Eltern in die Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen für die Steuerbefreiung unschädlich, sofern diese Leistungen in engem Zusammenhang mit den Leistungen der Jugendhilfe stehen.
9 Nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchstabe b UStG sind auch die Beherbergung, Beköstigung und die üblichen Naturalleistungen steuerfrei, die diese Einrichtungen den Empfängern der Jugendhilfeleistungen und Mitarbeitern in der Jugendhilfe sowie den bei den Leistungen nach Satz 1 tätigen Personen als Vergütung für die geleisteten Dienste gewähren.
10 Durch das Abstellen auf den „Empfänger der Jugendhilfeleistungen” statt wie bisher auf den „Jugendlichen” wird auch insoweit eine steuerfreie Einbeziehung von Eltern ermöglicht.
II. Änderung des § 4 Nr. 23 UStG
1. Änderung in § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG
11 Durch die Streichung der Wörter „Personen und” im bisherigen § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG ist keine inhaltliche Änderung der Steuerbefreiungsvorschrift eingetreten. Nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umfasst der Begriff „Einrichtungen” auch natürliche Personen, so dass auf eine besondere Nennung von Personen verzichtet wurde.
2. Einfügung des § 4 Nr. 23 Satz 4 UStG
12 Die Vorschrift des § 4 Nr. 23 UStG befreit unter bestimmten Voraussetzungen u. a. Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen an Jugendliche bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres von der Umsatzsteuer. Der neue Satz 4 in § 4 Nr. 23 UStG regelt, dass diese Steuerbefreiungsvorschrift nicht gilt, soweit eine Leistung der Jugendhilfe nach SGB VIII erbracht wird. Die Leistungen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII (Rz. 3) und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII sind somit nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 UStG steuerfrei.
III. Anwendung
13 § 4 Nr. 23 und § 4 Nr. 25 UStG in der Fassung des JStG 2008 sind auf nach dem erbrachte Leistungen nach SGB VIII anzuwenden. Von der gesetzlichen Neuregelung abweichende Ausführungen in den Umsatzsteuer-Richtlinien – Abschnitt 117 Abs. 2 Satz 8, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 4 sowie Abschnitt 119 – sind nicht mehr anzuwenden.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt I veröffentlicht.
BMF v. - IV B 9 -
S
7183/07/10001
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2008 I Seite 690
BB 2008 S. 1647 Nr. 31
DB 2008 S. 1534 Nr. 28
DStR 2008 S. 1383 Nr. 29
StB 2008 S. 275 Nr. 8
UR 2008 S. 600 Nr. 15
UStB 2008 S. 254 Nr. 9
UVR 2008 S. 231 Nr. 8
WPg 2008 S. 795 Nr. 16
QAAAC-83820