Steuer auf den Verkehrswert dieser Immobilien
Leitsatz
Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom steht nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, wonach Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union von der streitigen Steuer befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines zum Europäischen Wirtschaftsraum gehörenden Drittstaats vom Bestehen eines zwischen dem genannten Mitgliedstaat und diesem Drittstaat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaften.
Instanzenzug:
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Établissements Rimbaud SA (im Folgenden: Rimbaud) einerseits und dem Directeur général des impôts sowie dem Directeur des services fiscaux d'Aix-en-Provence (im Folgenden: französische Steuerverwaltung) andererseits über die Verpflichtung von Rimbaud zur Entrichtung der Steuer auf den Verkehrswert von in Frankreich belegenen Immobilien im Besitz juristischer Personen (im Folgenden: streitige Steuer).
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
Art. 40 des EWR-Abkommens bestimmt:
"Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den ... Mitgliedstaaten [der Europäischen Gemeinschaft] oder den ... Staaten [der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten."
Anhang XII ("Freier Kapitalverkehr") des EWR-Abkommens nimmt auf die Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) Bezug. Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in ihrem Anhang I gegliedert.
Nationales Recht
Die Art. 990 D ff. des französischen Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) sind Teil der Maßnahmen, die der französische Gesetzgeber zur Bekämpfung bestimmter Formen der Steuerflucht erlassen hat.
Art. 990 D CGI sieht vor:
"Juristische Personen, die direkt oder über eine andere Person eine oder mehrere in Frankreich belegene Immobilien besitzen oder Inhaber dinglicher Rechte an solchen Grundstücken sind, haben darauf eine jährliche Steuer in Höhe von 3 % des Verkehrswerts dieser Immobilien oder Rechte zu entrichten.
Als jemand, der über eine andere Person in Frankreich Immobilien oder Immobiliarrechte besitzt, gilt jede juristische Person, die eine Beteiligung, unabhängig von deren Form und Umfang, an einer juristischen Person hält, die ihrerseits Eigentümer dieser Güter oder Inhaber dieser Rechte ist oder eine Beteiligung an einer dritten juristischen Person hält, die selbst Eigentümer der Güter oder Inhaber der Rechte oder andere Person innerhalb der Kette der Beteiligungen ist. Diese Bestimmung findet unabhängig von der Zahl der beteiligten juristischen Personen Anwendung."
Art. 990 E CGI bestimmt:
"Die in Art. 990 D vorgesehene Steuer wird nicht erhoben:
1. von juristischen Personen, deren in Frankreich belegenes unbewegliches Vermögen im Sinne des Art. 990 D weniger als 50 % ihres in Frankreich befindlichen Vermögens ausmacht. Für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung bleiben bei der Feststellung des unbeweglichen Vermögens die Vermögensgegenstände außer Betracht, die die in Art. 990 D genannten juristischen Personen oder die beteiligten Personen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit zuweisen, soweit sich diese nicht auf Immobiliengeschäfte bezieht;
2. von juristischen Personen, deren Sitz sich in einem Land oder Gebiet befindet, das mit Frankreich ein Amtshilfeabkommen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossen hat, und die spätestens zum 15. Mai jedes Jahres der Stelle, die durch die in Art. 990 F genannte Verordnung festgelegt wurde, Lage, Zusammensetzung und Wert der am 1. Januar in ihrem Besitz stehenden Immobilien, Identität und Anschrift ihrer Mitglieder zu diesem Zeitpunkt sowie die Anzahl der den einzelnen Mitgliedern zustehenden Anteile angeben;
3. von juristischen Personen, die den Sitz ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung in Frankreich haben, und von anderen juristischen Personen, die aufgrund eines Staatsvertrags nicht höher besteuert werden dürfen, wenn sie jedes Jahr der Steuerbehörde auf deren Aufforderung Lage und Zusammensetzung der am 1. Januar in ihrem Besitz stehenden Immobilien, die Identität und die Anschrift ihrer Anteilseigner, Teilhaber oder sonstigen Mitglieder, die Anzahl der diesen jeweils zustehenden Anteile oder sonstigen Rechte sowie einen Nachweis für deren Wohnsitz für Steuerzwecke mitteilen bzw. sich zu einer solchen Mitteilung verpflichten und dieser Verpflichtung nachkommen. Die Verpflichtung wird an dem Tag eingegangen, an dem die juristische Person die Immobilie oder das Immobiliarrecht oder die Beteiligung im Sinne von Art. 990 D erworben hat, oder, für die bereits am in ihrem Besitz stehenden Güter, Rechte oder Beteiligungen, spätestens am ..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Rimbaud, die ihren Gesellschaftssitz in Liechtenstein hat, besitzt eine Immobilie in Frankreich. Sie unterliegt daher grundsätzlich der streitigen Steuer.
Die französische Finanzverwaltung führte zunächst für die Jahre 1988 bis 1997 und sodann für die Jahre 1998 bis 2000 die Beitreibung der betreffenden Steuer bei Rimbaud durch.
Nach Zurückweisung ihrer Einsprüche erhob Rimbaud Klagen gegen die französische Steuerbehörde. Nachdem die Cour d'appel Aix-en-Provence am ein Urteil zu ihren Ungunsten erlassen hatte, legte Rimbaud bei der Cour de cassation Rechtsmittel ein.
Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 40 des EWR-Abkommens einer Regelung wie den Art. 990 D ff. CGI in ihrer seinerzeit geltenden Fassung entgegen, wonach in Frankreich belegene Immobilien von Gesellschaften mit Sitz in Frankreich von der Verkehrswertsteuer in Höhe von 3 % befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft, die in einem nicht zur Europäischen Union gehörenden Land des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig ist, vom Bestehen eines zwischen der Französischen Republik und diesem Staat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als in Frankreich ansässige Gesellschaften?
Zur Vorlagefrage
Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 40 des EWR-Abkommens dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats von der streitigen Steuer befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines zum Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR) gehörenden Drittstaats vom Bestehen eines zwischen dem genannten Mitgliedstaat und diesem Drittstaat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als in diesem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften.
Vorab ist festzustellen, dass Art. 40 des EWR-Abkommens in Liechtenstein aufgrund des Beschlusses des EWR-Rates Nr. 1/95 vom über das Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum für das Fürstentum Liechtenstein (ABl. L 86, S. 58) am in Kraft getreten ist. Die Auslegung dieses Artikels wirkt sich daher auf vor diesem Tag liegende, die streitige Steuer auslösende Tatbestände nicht aus.
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung vom Gerichtshof bereits im Urteil vom , ELISA (C-451/05, Slg. 2007, I-8251), im Hinblick auf die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 336, S. 15) in der durch die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom (ABl. L 76, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 77/799) und auf Art. 63 AEUV geprüft worden ist.
Im Ausgangsverfahren unterliegt Rimbaud als Eigentümerin einer in Frankreich belegenen Immobilie nach Art. 990 D CGI grundsätzlich der streitigen Steuer.
Hinsichtlich der einschlägigen Kategorie von Kapitalbewegungen bestimmt Art. 40 des EWR-Abkommens, dass die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel in Anhang XII des Abkommens enthalten sind. Dieser Anhang erklärt die Richtlinie 88/361 und deren Anhang I für auf den EWR anwendbar.
Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Kapitalverkehr die Vorgänge, durch die Personen im Gebiet eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ihren Wohnsitz haben, Investitionen in Immobilien tätigen; dies ergibt sich aus der Nomenklatur für den Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361, die ihren Hinweischarakter für die Definition des Begriffs des Kapitalverkehrs behält (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Trummer und Mayer, C-222/97, Slg. 1999, I-1661, Randnr. 21, vom , Stefan, C-464/98, Slg. 2001, I-173, Randnr. 5, vom , Reisch u. a., C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99, Slg. 2002, I-2157, Randnr. 30, und vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer, C-386/04, Slg. 2006, I-8203, Randnr. 22).
Es steht fest, dass Rimbaud Investitionen in Immobilien in Frankreich getätigt hat. Eine solche grenzüberschreitende Investition stellt eine Kapitalbewegung im Sinne dieser Nomenklatur dar (vgl. in diesem Sinne Urteil ELISA, Randnr. 60).
Demgemäß sind die Bestimmungen von Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem es um eine Transaktion zwischen Staatsangehörigen von Vertragsstaaten dieses Abkommens geht, anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof sie auslegen, da er von einem Gericht eines Mitgliedstaats zu der Tragweite befragt wird, die das EWR-Abkommen, das integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist, in diesem Staat hat (vgl. Urteile vom , Andersson und Wåkerås-Andersson, C-321/97, Slg. 1999, I-3551, Randnrn. 26 bis 31, vom , Salzmann, C-300/01, Slg. 2003, I-4899, Randnr. 65, und vom , Ospelt und Schlössle Weissenberg, C-452/01, Slg. 2003, I-9743, Randnr. 27).
Eines der Hauptziele des EWR-Abkommens ist die möglichst umfassende Verwirklichung der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs im gesamten EWR, so dass der innerhalb des Unionsgebiets verwirklichte Binnenmarkt auf die EFTA-Staaten ausgeweitet wird. Im Hinblick darauf dienen mehrere Bestimmungen des EWR-Abkommens dazu, dessen möglichst einheitliche Auslegung im gesamten EWR sicherzustellen (vgl. Gutachten 1/92 vom , Slg. 1992, I-2821). In diesem Rahmen ist es Sache des Gerichtshofs, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des AEU-Vertrags identisch sind, innerhalb der Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden (Urteil Ospelt und Schlössle Weissenberg, Randnr. 29).
Aus Art. 40 des EWR-Abkommens ergibt sich, dass die Regeln, nach denen Beschränkungen des Kapitalverkehrs und die dadurch bewirkte Diskriminierung untersagt sind, in den Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten des EWR-Abkommens - unabhängig davon, ob es sich um Mitglieder der Union oder der EFTA handelt - mit denen identisch sind, die das Unionsrecht für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten aufstellt (vgl. Urteil Ospelt und Schlössle Weissenberg, Randnr. 28).
Sind Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs zwischen Staatsangehörigen von Vertragsstaaten des EWR-Abkommens anhand von Art. 40 und Anhang XII des EWR-Abkommens zu beurteilen, haben diese Vorschriften folglich dieselbe rechtliche Tragweite wie die Bestimmungen des Art. 63 AEUV (vgl. Urteil vom , Kommission/Niederlande, C-521/07, Slg. 2009, I-4873, Randnr. 33).
Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, jedoch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (vgl. u. a. Urteile vom , Manninen, C-319/02, Slg. 2004, I-7477, Randnr. 19, vom , Meilicke u. a., C-292/04, Slg. 2007, I-1835, Randnr. 19, vom , Holböck, C-157/05, Slg. 2007, I-4051, Randnr. 21, und ELISA, Randnr. 68). Im selben Sinne erlaubt diese Befugnis den Mitgliedstaaten nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die durch entsprechende Bestimmungen des EWR-Abkommens garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des Kapitalverkehrs
Zu der Frage, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche den Kapitalverkehr beschränkt, ist bereits im Urteil ELISA festgestellt worden, dass diese Regelung eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs darstellt, die nach Art. 63 AEUV verboten ist.
Der Gerichtshof hat befunden, dass juristische Personen ohne Geschäftsleitungssitz in Frankreich, die die Befreiung von der streitigen Steuer in Anspruch nehmen wollen, im Gegensatz zu anderen Steuerpflichtigen nach Art. 990 E Nrn. 2 und 3 CGI einer zusätzlichen Voraussetzung unterliegen, nämlich derjenigen des Bestehens eines Abkommens zwischen der Französischen Republik und dem beteiligten Staat. Ohne ein solches Abkommen hat eine juristische Person, die den Sitz ihrer Geschäftsleitung nicht in Frankreich hat, keine Möglichkeit, mit Erfolg die Befreiung von der streitigen Steuer nach den Art. 990 D und 990 E Nrn. 2 und 3 CGI zu verlangen. Da es aber allein Sache der beteiligten Staaten ist, sich durch den Abschluss eines Abkommens zu verpflichten, ergibt sich, dass das Erfordernis des Bestehens eines Amtshilfeabkommens oder eines Staatsvertrags für diese Kategorie juristischer Personen faktisch zu einer Regelung führen kann, nach der eine Befreiung von der streitigen Steuer auf Dauer ausgeschlossen ist und durch die Investitionen in Immobilien in Frankreich für gebietsfremde Gesellschaften weniger attraktiv gemacht werden (vgl. Urteil ELISA, Randnrn. 75 bis 77).
In der vorliegenden Rechtssache ist die Befreiung von der streitigen Steuer zugunsten der im betreffenden Drittstaat ansässigen Gesellschaften nach Art. 990 E CGI vom Abschluss eines Amtshilfeabkommens oder eines Staatsvertrags zwischen der Französischen Republik und dem Fürstentum Liechtenstein abhängig.
In Bezug auf die Steuerbefreiung nach Art. 990 E Nr. 2 CGI ist jedoch zwischen diesen beiden Staaten kein Amtshilfeabkommen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht unterzeichnet worden. Auch was die Befreiung nach Art. 990 E Nr. 3 CGI angeht, haben die Französische Republik und das Fürstentum Liechtenstein bis heute keinen Staatsvertrag unterzeichnet, nach dem die betroffenen juristischen Personen keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürften als juristische Personen mit Gesellschaftssitz in Frankreich.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Befreiung von der streitigen Steuer, die in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung vorgesehen sind, schließen somit automatisch gebietsfremde, in Liechtenstein ansässige Gesellschaften von der Befreiung aus und machen Investitionen in Immobilien in Frankreich für diese Gesellschaften weniger attraktiv.
Daher stellt diese Regelung in einem Rechtsstreit wie dem Ausgangsverfahren für juristische Personen eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Kapitalverkehrs dar, die nach Art. 40 des EWR-Abkommens ebenso wie nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verboten ist.
Die französische Regierung führt aus, die streitige Steuer habe zum Ziel, die ihr unterliegenden Steuerpflichtigen davon abzubringen, sich der Besteuerung dadurch zu entziehen, dass sie in Staaten, die mit der Französischen Republik kein Abkommen mit einer Amtshilfebestimmung zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossen hätten, Gesellschaften gründeten, die Eigentümer von in Frankreich belegenen Grundstücken würden. Das maßgebliche Kriterium für eine Steuerbefreiung sei, dass sichergestellt sei, dass die französische Steuerverwaltung von ausländischen Steuerbehörden auf unmittelbarem Weg alle Auskünfte verlangen könne, die sie für einen Abgleich zwischen den Erklärungen gemäß Art. 990 E CGI von Gesellschaften, die Eigentumsrechte oder andere dingliche Rechte an in Frankreich belegenen Immobilien innehätten, und den Erklärungen natürlicher Personen mit steuerlichem Wohnsitz in Frankreich über ihre der Steuer unterliegenden Immobilien benötige.
Im Gegensatz zu den im rechtlichen Kontext der Union begründeten Verpflichtungen zur gegenseitigen Amtshilfe seien die dem EWR angehörenden Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien, zur Umsetzung der Richtlinie 77/799 nicht verpflichtet. Daher könnten die französischen Steuerbehörden mangels eines eine Amtshilfebestimmung enthaltenden Abkommens oder eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Diskriminierungsverbot in Steuerangelegenheiten enthalte, von den Steuerbehörden des Fürstentums Liechtenstein nicht unmittelbar alle erforderlichen Auskünfte verlangen.
Es ist daher zu prüfen, ob die fragliche Beschränkung durch den im Allgemeininteresse liegenden Grund der Bekämpfung von Steuerhinterziehung sowie die Notwendigkeit, die Wirksamkeit von Steuerprüfungen zu wahren, gerechtfertigt ist.
Zu den Rechtfertigungsgründen der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und der Notwendigkeit der Wahrung der Wirksamkeit von Steuerprüfungen
Zu den Rechtfertigungsgründen der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und der Notwendigkeit, die Wirksamkeit von Steuerprüfungen zu wahren, ist daran zu erinnern, dass eine Beschränkung des Kapitalverkehrs insoweit nur statthaft ist, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was dazu erforderlich ist (Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C-446/03, Slg. 2005, I-10837, Randnr. 35, vom , Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Randnr. 47, vom , Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 64, und vom , A, C-101/05, Slg. 2007, I-11531, Randnr. 55).
So kann die Bekämpfung von Steuerhinterziehung nur dann als Rechtfertigungsgrund angeführt werden, wenn sie auf rein künstliche Gestaltungen abzielt, die auf eine Umgehung des Steuerrechts gerichtet sind, was jede allgemeine Vermutung einer Steuerhinterziehung ausschließt. Eine allgemeine Vermutung der Steuerflucht oder der Steuerhinterziehung genügt also nicht, um eine steuerliche Maßnahme zu rechtfertigen, die die Ziele des Vertrags beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kommission/Belgien, C-478/98, Slg. 2000, I-7587, Randnr. 45, sowie Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ein Mitgliedstaat kann nämlich die Maßnahmen ergreifen, die die klare und eindeutige Feststellung der Höhe des von den Steuerpflichtigen geschuldeten Betrags ermöglichen (vgl. Urteil vom , Laboratoires Fournier, C-39/04, Slg. 2005, I-2057, Randnr. 24).
Zur fraglichen nationalen Regelung hat der Gerichtshof bereits im Urteil ELISA festgestellt, dass diese geeignet ist, das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu erreichen, da sie es ermöglicht, Praktiken zu bekämpfen oder zumindest weniger attraktiv zu machen, die nur dem Zweck dienen, es natürlichen Personen zu ermöglichen, sich der Zahlung der Steuer vom Vermögen in Frankreich zu entziehen.
Der Gerichtshof hat jedoch befunden, dass die französischen Steuerbehörden dann, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf der Grundlage eines mit dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die betreffende juristische Person den Sitz ihrer Geschäftsleitung hat, geschlossenen Abkommens die Zusammenarbeit der Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats zu verlangen, durch nichts daran gehindert wären, von den Steuerpflichtigen die Nachweise zu verlangen, die sie für die zutreffende Festsetzung der betreffenden Steuern als erforderlich ansehen, und gegebenenfalls bei Nichtvorlage dieser Nachweise die beantragte Steuerbefreiung zu verweigern.
Wie festgestellt worden ist, erlaubt es die im Ausgangsverfahren fragliche französische Regelung den Gesellschaften, die vom Anwendungsbereich eines Amtshilfeabkommens ausgeschlossen sind und nicht unter einen eine Bestimmung über ein Diskriminierungsverbot in Steuerangelegenheiten enthaltenden Staatsvertrag fallen, die aber Immobilieninvestitionen in Frankreich tätigen, weder, Belege zur Feststellung ihrer Anteilseigner einzureichen, noch, sonstige Angaben zu machen, die die französischen Steuerbehörden für erforderlich erachten. Der Gerichtshof hat daher befunden, dass diese Regelung es diesen Gesellschaften unter jedweden Umständen verwehrt, den Nachweis zu erbringen, dass sie keine betrügerischen Ziele verfolgen. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die französische Regierung weniger restriktive Maßnahmen hätte ergreifen können, um das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung zu erreichen, so dass die streitige Steuer nicht mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt werden kann (vgl. Urteil ELISA, Randnrn. 99 bis 101).
In der Rechtssache ELISA ging es jedoch um einen Sachverhalt, der nur Mitgliedstaaten und keine Drittstaaten betraf. Infolgedessen galten, wie in Randnr. 19 des Urteils ELISA ausgeführt worden ist, die in diesem Urteil auf die Vorlagefragen erteilten Antworten nur für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Union.
Die Rechtsprechung, die sich auf Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Union bezieht, kann aber nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten übertragen werden, da sich dieser in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (vgl. Urteile A, Randnr. 60, und vom , Kommission/Italien, C-540/07, Slg. 2009, I-10983, Randnr. 69).
Dazu ist festzustellen, dass der durch die Richtlinie 77/799 geschaffene Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zwischen diesen und den zuständigen Behörden eines Drittstaats nicht besteht, wenn dieser keine Verpflichtung zur gegenseitigen Amtshilfe eingegangen ist (vgl. Urteil Kommission/Italien, Randnr. 70).
Zwar sieht Anhang XXII des EWR-Abkommens vor, dass die dem EWR angehörenden Staaten die Richtlinien zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, insbesondere diejenigen zur Buchführung von Gesellschaften, in ihr nationales Recht umsetzen müssen. Diese Maßnahmen bieten den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, verlässliche und nachprüfbare Angaben über eine in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens ansässige Gesellschaft vorzulegen. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Richtlinie 77/799 im Verhältnis zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und denen des Fürstentums Liechtenstein nicht anwendbar ist.
Im Ausgangsverfahren ist es den französischen Steuerbehörden somit nicht möglich, von den Steuerbehörden des Fürstentums Liechtenstein die Auskünfte zu erhalten, die für die Vornahme einer wirksamen Überprüfung der Angaben der steuerpflichtigen Gesellschaften notwendig wären.
Wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Verpflichtungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines dem EWR angehörenden Drittstaats eingeholt werden, ist es folglich grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils verweigert, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Auskunftserteilung, als unmöglich erweist, die Auskünfte von diesem Staat zu erhalten.
Insbesondere zur Frage, ob, wie die Kommission vorträgt, die französischen Steuerbehörden eine Einzelfallprüfung im Hinblick auf die Beweismittel vornehmen müssen, die von einer Gesellschaft vorgelegt werden, die in einem dem EWR angehörenden Staat ansässig ist, geht nämlich aus dem Urteil ELISA hervor, dass in der Union die kategorische Verweigerung eines Steuervorteils nicht gerechtfertigt ist, da die zuständigen Steuerbehörden durch nichts daran gehindert wären, von den Steuerpflichtigen die Nachweise zu verlangen, die sie für die zutreffende Festsetzung der betreffenden Abgaben als erforderlich ansehen, und gegebenenfalls bei Nichtvorlage dieser Nachweise die beantragte Steuerbefreiung zu verweigern.
Diese Rechtsprechung ist jedoch auf die unterschiedliche Situation einer im Fürstentum Liechtenstein ansässigen Gesellschaft nicht übertragbar. Selbst wenn nämlich in der Situation, die Gegenstand des Urteils ELISA war, die luxemburgischen Behörden nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 grundsätzlich nicht zur Erteilung der Auskünfte verpflichtet waren, ist doch der rechtliche Rahmen ein ganz anderer.
Zunächst haben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 77/799 einander alle Auskünfte, die für die korrekte Festsetzung der Einkommen- und Vermögensteuern geeignet sein können, sowie alle Auskünfte in Bezug auf die Festsetzung der Steuern auf Versicherungsprämien zu erteilen. Zur Durchführung des Auskunftsaustauschs wird mit dieser Richtlinie ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der in Art. 3 den automatischen und in Art. 4 den spontanen Auskunftsaustausch vorsieht. Außerdem schreibt die Richtlinie eine beschleunigte Übermittlung (Art. 5), die Hinzuziehung von Bediensteten der Staaten (Art. 6), Konsultationen (Art. 9) und einen Erfahrungsaustausch (Art. 10) vor.
Nur als Abweichung sieht daher Art. 8 ("Grenzen des Auskunftsaustausches") der Richtlinie 77/799 Ausnahmen vom Auskunftsaustausch vor. Als abweichende Bestimmung ist er eng auszulegen. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedstaaten zudem verpflichtet, den mit der Richtlinie 77/799 eingeführten Auskunftsaustausch wirksam zu handhaben.
In diesem rechtlichen Rahmen erweist sich also die im Urteil ELISA dem Steuerpflichtigen zuerkannte Möglichkeit, den französischen Steuerbehörden Beweismittel vorzulegen, die diese zu prüfen haben, als eine Maßnahme, die verhindern soll, dass sich die mit dem allgemeinen System des Auskunftsaustauschs eingeführte Schranke, wie sie sich aus der Anwendung dieses Art. 8 ergibt, zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirkt.
Zwar beruht diese Möglichkeit auf dem Bestehen eines allgemeinen Systems des Auskunftsaustauschs, wie es mit der Richtlinie 77/799 eingeführt worden ist, weshalb sie von diesem System abhängig ist, doch kann ein solches Recht dem Steuerpflichtigen nicht unter Umständen eingeräumt werden, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegen und die durch das Fehlen einer Verpflichtung zur Amtshilfe durch die Steuerbehörden des Fürstentums Liechtenstein gekennzeichnet sind.
Daher sind Rechtsvorschriften, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, gegenüber dem Vertragsstaat des EWR-Abkommens als aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die sich auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und die Notwendigkeit der Wahrung der Wirksamkeit von Steuerprüfungen beziehen, gerechtfertigt und als geeignet anzusehen, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was hierzu erforderlich ist.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass Art. 40 des EWR-Abkommens nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, wonach Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats der Union von der streitigen Steuer befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines dem EWR angehörenden Drittstaats vom Bestehen eines zwischen dem genannten Mitgliedstaat und diesem Drittstaat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als im Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässige Gesellschaften.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom steht nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, wonach Gesellschaften mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union von der streitigen Steuer befreit sind, während diese Befreiung für eine Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz im Gebiet eines zum Europäischen Wirtschaftsraum gehörenden Drittstaats vom Bestehen eines zwischen dem genannten Mitgliedstaat und diesem Drittstaat zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig ist, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaften.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAD-55582