RL 2011/16/EU

Richtlinie 2011/16/EU des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (RL 2011/16/EU)

v. 15.02.2011 (ABl EU 20 11 Nr. L 64 S. 1) mit späteren Änderungen
Nichtamtliche konsolidierte Fassung der Amtshilferichtlinie einschließlich DAC7 (Richtlinie (EU) 2021/514, ABl EU 2021 Nr. L 104 S. 1) und DAC8 (Richtlinie (EU) 2023/2226, ABl EU Nr. L, 2023/2226, 24.10.2023)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 113 und 115,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments [1],

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses [2],

gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Im Zeitalter der Globalisierung wird der Bedarf der Mitgliedstaaten an gegenseitiger Amtshilfe im Bereich der Besteuerung immer vordringlicher. Durch die erhebliche Zunahme der Mobilität der Steuerpflichtigen, der Anzahl der grenzüberschreitenden Transaktionen und der Internationalisierung der Finanzinstrumente wird es für die Mitgliedstaaten immer schwieriger, die geschuldeten Steuern ordnungsgemäß festzusetzen. Diese zunehmende Schwierigkeit wirkt sich auf das Funktionieren der Steuersysteme aus und zieht Doppelbesteuerung nach sich, was wiederum zu Steuerbetrug und Steuerhinterziehung Anlass gibt, während die Kontrollbefugnisse auf nationaler Ebene verbleiben. Dadurch wird das Funktionieren des Binnenmarkts gefährdet.

(2)

Ein einzelner Mitgliedstaat ist daher nicht in der Lage, sein internes Steuersystem, insbesondere was die direkten Steuern angeht, zu verwalten, ohne Informationen aus anderen Mitgliedstaaten zu erhalten. Um die negativen Auswirkungen dieser Situation zu beseitigen, ist es unumgänglich, eine neue Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zu entwickeln. Es besteht Bedarf an Instrumenten zur Vertrauensbildung zwischen den Mitgliedstaaten, die dafür Sorge tragen, dass für alle Mitgliedstaaten dieselben Regeln, Pflichten und Rechte gelten.

(3)

Daher sollte ein völlig neuer Ansatz gemacht werden, bei dem ein neuer Text erstellt wird, der den Mitgliedstaaten die Befugnis zu einer effizienten Zusammenarbeit auf internationaler Ebene gibt und so die negativen Auswirkungen der immer weiter wachsenden Globalisierung auf den Binnenmarkt überwinden hilft.

(4)

In diesem Kontext sind die in der bestehenden Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien [3] vorgesehenen Maßnahmen nicht mehr geeignet. Die großen Schwachstellen dieser Richtlinie waren Gegenstand des Berichts einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Rates zur Bekämpfung des Steuerbetrugs vom und in jüngerer Zeit der Mitteilung der Kommission über die Verhütung und Bekämpfung von Unternehmens- und Finanzdelikten vom 27. September 2004 und der Mitteilung der Kommission hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetrugs vom .

(5)

Die Richtlinie 77/799/EWG und auch ihre nachfolgenden Änderungen wurden in einem anderen Zusammenhang als den gegenwärtigen Anforderungen des Binnenmarkts ausgearbeitet und können die neuen Anforderungen an eine Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden nicht mehr erfüllen.

(6)

Wegen der Zahl und des Umfangs der an der Richtlinie 77/799/EWG vorzunehmenden Anpassungen würde eine einfache Änderung nicht ausreichen, um die oben beschriebenen Ziele zu erfüllen. Die Richtlinie 77/799/EWG sollte daher aufgehoben werden und durch einen neuen Rechtsakt ersetzt werden. Dieser Rechtsakt sollte für direkte und indirekte Steuern gelten, die bisher noch nicht in Rechtsvorschriften der Union erfasst sind. Die vorliegende neue Richtlinie wird daher als geeignetes Instrument für eine wirksame Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden angesehen.

(7)

Diese Richtlinie baut auf dem durch die Richtlinie 77/799/EWG Erreichten auf, sieht aber klarere und präzisere Regeln für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten vor, wenn dies erforderlich ist, um, insbesondere was den Austausch von Informationen angeht, den Anwendungsbereich der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden zwischen den Mitgliedstaaten auszudehnen. Klarere Regeln sollten es auch möglich machen, sämtliche juristische und natürliche Personen in der Union zu erfassen, wobei die immer größere Zahl der Arten von Rechtsvereinbarungen, einschließlich, aber nicht nur, klassische Vereinbarungen wie Trusts, Stiftungen oder Investmentfonds wie auch neuartige Vereinbarungen, die Steuerpflichtige in den Mitgliedstaaten schließen können, zu berücksichtigen sind.

(8)

Es sollte mehr direkte Kontakte zwischen den für die Zusammenarbeit zuständigen lokalen oder nationalen Behörden der Mitgliedstaaten geben, und die Kommunikation zwischen zentralen Verbindungsbüros sollte die Regel sein. Das Fehlen direkter Kontakte beeinträchtigt die Effizienz, führt dazu, dass die vorhandenen Vereinbarungen zur Verwaltungszusammenarbeit nicht in dem möglichen Umfang genutzt werden, und verursacht Verzögerungen in der Kommunikation. Daher sollten mehr direkte Kontakte zwischen den Verwaltungsdienststellen vorgesehen werden, um die Zusammenarbeit effizienter zu machen und sie zu beschleunigen. Die Zuweisung von Zuständigkeiten an die Verbindungsstellen sollte in den nationalen Vorschriften eines jeden Mitgliedstaats geregelt werden.

(9)

Mitgliedstaaten sollten Informationen über einzelne Fälle austauschen, wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat darum ersucht werden, und sollten die notwendigen Ermittlungen durchführen, um die betreffenden Informationen zu beschaffen. Mit dem Standard der „voraussichtlichen Erheblichkeit“ soll gewährleistet werden, dass ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten im größtmöglichen Umfang stattfindet, und zugleich klargestellt werden, dass es den Mitgliedstaaten nicht gestattet ist, sich an Beweisausforschungen („fishing expeditions“) zu beteiligen oder um Informationen zu ersuchen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie für die Steuerangelegenheiten eines bestimmten Steuerpflichtigen erheblich sind. Zwar enthält Artikel 20 dieser Richtlinie Verfahrensvorschriften, aber diese müssen großzügig ausgelegt werden, damit der effiziente Informationsaustausch nicht vereitelt wird.

(10)

Es ist anerkannt, dass der verpflichtende automatische Austausch von Informationen ohne Vorbedingung das wirksamste Mittel ist, um die korrekte Festsetzung der Steuern bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu verbessern und Steuerbetrug zu bekämpfen. Zu diesem Zweck sollte daher ein stufenweiser Ansatz verfolgt werden, beginnend mit dem automatischen Austausch der verfügbaren Informationen zu fünf Einkunftsarten und einer Überprüfung der einschlägigen Bestimmungen im Anschluss an einen Bericht der Kommission.

(11)

Auch der spontane Austausch von Informationen zwischen Mitgliedstaaten sollte verstärkt und gefördert werden.

(12)

Es sollten Fristen für die Übermittlung von Informationen gemäß dieser Richtlinie festgelegt werden, um sicherzustellen, dass der Informationsaustausch zügig und damit effizient erfolgt.

(13)

Es ist wichtig, dass sich Bedienstete der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten dürfen.

(14)

Da die steuerliche Lage eines oder mehrerer in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Steuerpflichtigen häufig von gemeinsamem oder ergänzendem Interesse ist, sollte es möglich sein, bei solchen Personen in gegenseitigem Einvernehmen und auf freiwilliger Grundlage gleichzeitige Prüfungen durch zwei oder mehr Mitgliedstaaten vorzunehmen.

(15)

Da es in einigen Mitgliedstaaten gesetzlich vorgeschrieben ist, dem Steuerpflichtigen Entscheidungen und Verfügungen, die seine Steuerpflicht betreffen, zuzustellen, woraus den Steuerbehörden unter anderem in den Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger in einen anderen Mitgliedstaat umgezogen ist, Schwierigkeiten erwachsen, ist es wünschenswert, dass die Behörden in solchen Fällen die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in den der Steuerpflichtige umgezogen ist, um Zusammenarbeit ersuchen können.

(16)

Rückmeldungen in Bezug auf übermittelte Informationen werden der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten förderlich sein.

(17)

Eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission ist notwendig, um die Verfahren der Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch sowie die bewährten Praktiken auf den betreffenden Gebieten ständig zu überprüfen.

(18)

Für die Effizienz der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden ist es wichtig, dass die aufgrund dieser Richtlinie erhaltenen Informationen und Dokumente vorbehaltlich der in dieser Richtlinie festgelegten Beschränkungen in dem Empfängermitgliedstaat auch für andere Zwecke verwendet werden könnten. Es ist auch wichtig, dass die Mitgliedstaaten diese Information unter bestimmten Voraussetzungen an ein Drittland weiterleiten könnten.

(19)

Die Umstände, unter denen ein ersuchter Mitgliedstaat die Übermittlung von Informationen ablehnen kann, sollten eindeutig umschrieben und abgegrenzt sein, wobei bestimmten schützenswerten privaten Interessen ebenso Rechnung zu tragen ist wie dem öffentlichen Interesse.

(20)

Allerdings sollte ein Mitgliedstaat die Übermittlung von Informationen nicht deshalb ablehnen, weil er kein eigenes Interesse daran hat oder weil diese Informationen sich bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Vertreter oder Treuhänder befinden oder sich auf Eigentumsanteile an einer Person beziehen.

(21)

Diese Richtlinie legt Mindestnormen fest und berührt daher nicht das Recht der Mitgliedstaaten auf umfassendere Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht oder im Rahmen bi- oder multilateraler Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten.

(22)

Ein Mitgliedstaat, der mit einem Drittland eine umfassendere als die in dieser Richtlinie vorgesehene Zusammenarbeit eingeht, sollte es nicht ablehnen, eine solche umfassendere Zusammenarbeit auch mit anderen Mitgliedstaaten einzugehen, die eine solche umfassendere gegenseitige Zusammenarbeit wünschen.

(23)

Die Informationen sollten mittels einheitlicher Formblätter, Formate und Kommunikationswege ausgetauscht werden.

(24)

Die Effizienz der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden sollte insbesondere auf der Grundlage statistischer Angaben bewertet werden.

(25)

Die zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse [4] erlassen werden.

(26)

Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen.

(27)

Jeder Informationsaustausch, auf den in dieser Richtlinie Bezug genommen wird, unterliegt den Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [5] und der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr [6]. Allerdings sollten Beschränkungen bestimmter Rechte und Pflichten nach der Richtlinie 95/46/EG erwogen werden, um die in Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe e jener Richtlinie genannten Interessen zu schützen. Solche Beschränkungen sind angesichts der potenziellen Einnahmenausfälle für die Mitgliedstaaten und der wesentlichen Bedeutung der von der vorliegenden Richtlinie erfassten Informationen für eine wirksame Betrugsbekämpfung erforderlich und verhältnismäßig.

(28)

Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.

(29)

Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die wirksame Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der negativen Folgen der zunehmenden Globalisierung für den Binnenmarkt, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen der erforderlichen Einheitlichkeit und Wirksamkeit besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus –

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Änderungsdokumentation: Die Richtlinie 2011/16/EU des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG v. 15.2.2011 (ABl EU Nr. L 64 S. 1) wurde geändert durch Art. 1 Richtlinie 2014/107/EU des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl EU Nr. L 359 S. 1) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2015/2376 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl EU Nr. L 332 S. 1) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2016/881 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl EU Nr. L 146 S. 8) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2016/2258 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche (ABl EU Nr. L 342 S. 1) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen (ABl EU Nr. L 139 S. 1, ber. 2019 Nr. L 31 S. 108) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2020/876 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU, um der dringenden Notwendigkeit einer Verlängerung bestimmter Fristen für die Vorlage und den Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung infolge der COVID-19-Pandemie Rechnung zu tragen (ABl EU Nr. L 204 S. 46) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (ABl EU Nr. L 104 S. 1) ; Art. 1 Richtlinie (EU) 2023/2226 des Rates v. zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (ABl EU Nr. L, 2023/2226, 24.10.2023).

Fundstelle(n):
NAAAH-96585

1Amtl. Anm.: Stellungnahme vom (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

2Amtl. Anm.: Stellungnahme vom (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

3Amtl. Anm.: ABl L 336 vom , S. 15.

4Amtl. Anm.: ABl L 184 vom , S. 23.

5Amtl. Anm.: ABl L 281 vom , S. 31.

6Amtl. Anm.: ABl L 8 vom , S. 1.