OFD Frankfurt - S 0351 A-001-St 21

Auswirkungen von Sonderprüfungen auf die Steuerfestsetzung

Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO; Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 164 Abs. 3 AO); Lohnsteuer-Haftungsbescheide (§ 42d EStG, § 191 AO)

Bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach vorausgegangener Sonderprüfung (z. B. Umsatzsteuersonderprüfung oder Lohnsteueraußenprüfung) ist folgendes zu beachten:

1. Umfang der Sonderprüfung und Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung

Eine Sonderprüfung wirkt sich nur auf die geprüfte Steuerart und die geprüfte Steuerfestsetzung aus. Wurde z. B. bei einer Umsatzsteuersonderprüfung auch ein ertragsteuerlich relevanter Sachverhalt geprüft, so ist die Finanzbehörde nicht gehindert, im Rahmen einer Außenprüfung (§§ 193 – 203 AO) denselben Sachverhalt nochmals zu prüfen und aufgrund dieser Überprüfung die Festsetzung der Ertragsteuer aufzuheben oder zu ändern.

Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Sonderprüfung die Investitionszulage betraf.

Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ist im Gesetz für den Fall, dass die Prüfung zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führt, nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Aus dem Sinn und Zweck des § 164 AO, insbesondere aus dessen Abs. 1, ist zu entnehmen, dass die geänderte Steuerfestsetzung nur dann nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen darf, wenn es sich bei der Prüfung um eine „abschließende Prüfung” im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO handelte. Eine Sonderprüfung stellt keine abschließende Prüfung dar, wenn sie sich auf einzelne Teilbereiche, z. B. Prüfung lediglich des Vorsteuerabzugs, Prüfung der Exportlieferungen usw. bei Umsatzsteuersonderprüfungen, beschränkt (, BStBl 1987 II S. 486). Ob die Prüfung beschränkt war, ergibt sich aus dem Inhalt der Prüfungsanordnung.

2. Umsatzsteuersonderprüfungen

Die für einen Voranmeldungszeitraum errechnete Umsatzsteuer ist eine Vorauszahlung. Die Voranmeldung und die abweichende Steuerfestsetzung stehen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung ist bei Umsatzsteuervoranmeldungen der Vorbehalt der Nachprüfung in keinem Fall aufzuheben (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO). Dies gilt auch dann, wenn die Sonderprüfung nicht beschränkt war und zu keiner Änderung der Umsatzsteuervoranmeldung geführt hat.

Eine Umsatzsteuersonderprüfung, die nur Voranmeldungszeiträume erfasst, wirkt sich nicht auf die Festsetzung der Jahresumsatzsteuer aus.

Bei dieser Steuerfestsetzung tritt keine Änderungssperre im Sinne des § 173 Abs. 2 AO hinsichtlich der bereits geprüften Voranmeldungszeiträume ein. Bereits geprüfte Sachverhalte können deshalb bei einer Sonderprüfung oder Außenprüfung, die die Jahresumsatzsteuer zum Gegenstand hat, nochmals überprüft werden und zu einer Änderung der Jahresumsatzsteuer führen (, BStBl 1988 II S. 307, und , BStBl 2007 II S. 420).

Die Umsatzsteuer-Jahreserklärung steht kraft Gesetzes mit ihrem Eingang bzw. nach Zustimmung der Finanzbehörde einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Ist eine solche Steueranmeldung Gegenstand einer Umsatzsteuersonderprüfung und enthält die Prüfungsanordnung für diese Sonderprüfung keine Einschränkungen, so ist der Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO aufzuheben, wenn die Sonderprüfung nicht zu einer Änderung der Steueranmeldung führt. Auch eine aufgrund der Sonderprüfung geänderte Steuerfestsetzung kann in diesem Fall nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Bei einer nachfolgenden Außenprüfung ist die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO zu beachten.

War dagegen die Prüfung der Jahresumsatzsteuer lt. Prüfungsanordnung auf einzelne Sachbereiche beschränkt (z. B. Prüfung lediglich des Vorsteuerabzugs, Prüfung der Exportlieferungen usw.), so braucht der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben zu werden, wenn die Prüfung zu keiner Änderung der Jahresumsatzsteuer führt. Auch eine geänderte Steuerfestsetzung kann in diesem Fall mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehen werden. Eine nachfolgende Außenprüfung kann eine derartige unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerfestsetzung in vollem Umfang nachprüfen; die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO tritt nicht ein.

Im Hinblick auf die eingeschränkten Änderungsmöglichkeiten im Rahmen einer späteren Außenprüfung sollen sich Umsatzsteuersonderprüfungen, die die Jahresumsatzsteuer betreffen, in der Regel nur auf einzelne Sachbereiche beschränken. Die Beschränkung ist in der Prüfungsanordnung ausdrücklich vorzusehen.

3. Lohnsteueraußenprüfungen

3.1 Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner

Auch Lohnsteueranmeldungen stehen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 AO); sie haben jedoch keinen Vorauszahlungscharakter. Bei einer Lohnsteueraußenprüfung handelt es sich stets um eine abschließende Prüfung. Führt daher die Lohnsteueraußenprüfung nicht zu einer Änderung der angemeldeten Lohnsteuer, ist der Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO aufzuheben.

Nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für die Lohnsteueranmeldungen des Prüfungszeitraums kann das Finanzamt nach dem (BStBl 1995 II S. 555) aufgrund der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO den Arbeitgeber für Lohnsteuer, die im Prüfungszeitraum entstanden ist, selbst dann nicht mehr als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen, wenn es im Prüfungsbericht auf die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme für den Fall hingewiesen hat, dass die Lohnsteuer nicht von den Arbeitnehmern gezahlt wird. Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung festgestellt wird. Nach der Rechtsprechung des BFH wird die Lohnsteueranmeldung durch den Erlass eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides „incidenter” geändert. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung steht jedoch gemäß § 164 Abs. 3 S. 2 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich (vgl. , BStBl 1993 II S. 840), so dass die Möglichkeit, den Steuerbescheid nach § 164 Abs. 2 AO jederzeit zu ändern, entfällt.

Gleiches gilt aufgrund der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO, wenn nach einer Lohnsteueraußenprüfung bereits ein Lohnsteuer-Haftungsbescheid ergangen ist und später für den gleichen Anmeldungszeitraum neue Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 AO bekannt werden.

Die Änderungssperre betrifft nur die Lohnsteueranmeldungen des geprüften Zeitraums, für die der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde.

Ergeben sich aufgrund der Lohnsteueraußenprüfung gegenüber der angemeldeten Lohnsteuer Änderungen, kann in Fällen der beabsichtigten vorrangigen Inanspruchnahme von Arbeitnehmern die Möglichkeit eines späteren Rückgriffs auf den Arbeitgeber wie folgt offengehalten werden:

Gegenüber dem Arbeitgeber ist ein Haftungsbescheid mit Leistungsgebot über die unstreitig bei ihm anzufordernden Lohnsteuerbeträge und ein weiterer – zunächst nicht mit einem Leistungsgebot im Sinne des § 219 AO versehener – Haftungsbescheid über diejenigen Beträge zu erlassen, die zunächst bei den Arbeitnehmern angefordert werden. In dem zweiten Haftungsbescheid ist der Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass er die festgesetzte Haftungsforderung vorerst nicht zu begleichen hat, da insoweit vorrangig die Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden sollen. Dieser Hinweis ist als abweichende Fälligkeitsbestimmung im Sinne des § 220 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz AO anzusehen mit der Folge, dass die Haftungsforderung nicht bereits mit der Bekanntgabe des Haftungsbescheides fällig wird.

In beiden Haftungsbescheiden ist jeweils auf den Erlass des anderen Bescheids hinzuweisen. Erst nach Erlass der Haftungsbescheide ist der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. Zudem ist die Zahlungsverjährung (§ 229 Abs. 2 AO) durch geeignete Maßnahmen zu überwachen.

Gemäß § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG bedarf es für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers keines Haftungsbescheides und keines Leistungsgebots, wenn der Arbeitgeber nach Abschluss einer Lohnsteueraußenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt. Die Anerkenntniserklärung steht einer Steueranmeldung und damit einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 167 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 168 Satz 1 AO).

3.2 Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Steuerschuldner

Führt eine Lohnsteueraußenprüfung zu einer Nachforderung an pauschalierter Lohnsteuer, so ergeht aufgrund der einkommensteuerrechtlichen Sondervorschriften über die Pauschalierung von Lohnsteuer (§§ 40, 40a, 40b EStG) ein Nachforderungsbescheid. Mit diesem Nachforderungsbescheid wird lediglich die nachzuzahlende Lohnsteuer festgesetzt.

Der Arbeitgeber ist gem. § 40 Abs. 3 EStG Schuldner der pauschalen Lohnsteuer. Der Nachforderungsbescheid ist deshalb kein Haftungsbescheid, sondern ein Steuerbescheid und unterliegt daher den Regelungen über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden.

Wurde nach einer ergebnislosen Lohnsteueraußenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben, steht einer Änderung der Lohnsteueranmeldung nach § 173 Abs. 1 AO durch Erlass eines Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides – ebenso wie durch Erlass eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides (vgl. Tz. 3.1) – die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO entgegen, es sei denn, es liegt eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Gleiches gilt, wenn nach einer Lohnsteueraußenprüfung bereits ein Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid ergangen ist und später für den gleichen Anmeldungszeitraum neue Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 AO bekannt werden (vgl. , BStBl 1993 II S. 829).

3.3 Fortbestand des Nachprüfungsvorbehalts

Der Vorbehalt der Nachprüfung kann in Ausnahmefällen nach einer Lohnsteueraußenprüfung bestehen bleiben, z. B. weil die Prüfung nicht abschließend durchgeführt werden konnte. Bei der Änderung von Steuerbescheiden bleibt der Vorbehalt der Nachprüfung auch ohne ausdrückliche Wiederholung im Änderungsbescheid bestehen. Deshalb ist der Vorbehalt der Nachprüfung weiterhin wirksam, wenn er nicht – z. B. im Rahmen der Änderung der Lohnsteueranmeldung durch Erlass eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides oder Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides – ausdrücklich aufgehoben wird. § 164 Abs. 2 AO ermöglicht daher in derartigen Fällen den Erlass weiterer Haftungs- oder Nachforderungsbescheide für den Prüfungszeitraum. Dabei ist es unbeachtlich, ob das Finanzamt rechtlich verpflichtet war, den Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben (vgl. , BStBl 1995 II S. 2).

3.4 Auswirkungen der Lohnsteueraußenprüfung auf andere Steuerarten

Auf Sachverhalte, die sich auf andere Steuerarten auswirken (z. B. Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten, Bezüge von Gesellschaftern-Geschäftsführern), findet die unter Tz. 3.1 genannte BFH-Rechtsprechung keine Anwendung. Wurde beispielsweise nach einer ergebnislosen Lohnsteueraußenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die Lohnsteueranmeldungen des Prüfungszeitraums aufgehoben, so kann gleichwohl im Rahmen einer allgemeinen Außenprüfung die Anerkennung eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses für diese Jahre noch versagt werden. Einer Änderung der Einkommensteuerbescheide für diese Jahre steht § 173 Abs. 2 AO nicht entgegen. Eine Lohnsteueraußenprüfung zielt immer nur auf die zutreffende lohnsteuerrechtliche, bezogen auf Einkommensteuerschuld und Einkommensteuerfestsetzung also in jedem Falle vorläufige Behandlung des Sachverhaltskomplexes ab. Die Änderungssperre wirkt mithin nur gegenüber dem Arbeitgeber und schließt damit eine unmittelbare Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Steuerschuldner nicht aus (vgl. , BFH/NV 1997, 161, und ).

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Fundstelle(n):
LAAAG-56546