BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2553/08

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 14; SGB III § 358 Abs. 2; SGB III § 361

Instanzenzug: BGH, B 11a AL 61/06 R vom

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Arbeitsförderungsrecht. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Insolvenzgeld-Umlage nach dem bis zum geltenden Recht.

I.

Das nach Maßgabe der §§ 183 ff. - Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) an Arbeitnehmer zu zahlende Insolvenzgeld wird im Wege einer Umlage bei den Arbeitgebern finanziert.

1.

Nach dem noch bis zum geltenden Recht (§ 358 ff. SGB III) erstatten die Unfallversicherungsträger der Bundesagentur für Arbeit die Aufwendungen für das Insolvenzgeld jeweils bis zum 30. Juni des nachfolgenden Jahres. Der Anteil jeder gewerblichen Berufsgenossenschaft entspricht dem Verhältnis ihrer Entgeltsumme zu der Gesamtentgeltsumme der Unfallversicherungsträger. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften legen den von ihnen aufzubringen Anteil auf die Unternehmer in ihrem Zuständigkeitsbereich um. Nach § 360 Abs. 1 Satz 3 SGB III entspricht der hierbei auf den einzelnen Unternehmer umzulegende Anteil dem Verhältnis der Entgeltsumme bei diesem Unternehmer zur Gesamtentgeltsumme aller Unternehmer im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Berufsgenossenschaft.

Die Satzung des jeweiligen Unfallversicherungsträgers kann bestimmen, dass der Anteil nach der Zahl der Versicherten statt nach Entgelten umgelegt wird, dass die durch die Umlage auf die Unternehmer entstehenden Verwaltungskosten und Kreditzinsen mit umgelegt werden oder dass von einer besonderen Umlage abgesehen wird (§ 360 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 SGB III). Im Übrigen gelten die Vorschriften über den Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend (§ 360 Abs. 2 Satz 2 SGB III).

2.

Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung vom (Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz - UVMG, BGBl. I S. 2130) sind die Regelungen über die Finanzierung des Insolvenzgeldes mit Wirkung zum geändert worden. Die nunmehr monatliche Umlage wird nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts erhoben, den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Wege einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festsetzt (§ 358 Abs. 2 Satz 1, § 361 Satz 1 SGB III in der ab dem geltenden Fassung). Der Einzug der Umlage geht von den Unfallversicherungsträgern auf die Einzugsstellen, das heißt die Krankenkassen, über, an die die Umlage zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen ist und die sie arbeitstäglich an die Bundesagentur für Arbeit weiterleiten (§ 359 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB III in der ab dem geltenden Fassung).

II.

Die Beschwerdeführerin, ein Reiseunternehmen, wandte sich vor den Sozialgerichten erfolglos gegen einen im Beitragsbescheid der zuständigen Berufsgenossenschaft für das Jahr 2002 enthaltenen Anteil der Insolvenzgeld-Umlage in Höhe von 11.490,29 EUR.

Das Bundessozialgericht führte in seinem angegriffenen Urteil aus, die Vorschriften (§ 359 Abs. 1, § 360 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB III in der bis zum geltenden Fassung) stellten eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Insolvenzgeld-Umlage dar. Eine unzulässige Sonderabgabe liege nicht vor. Die Regelung beruhe auf der Bundeskompetenz für die Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG), die auch die Finanzierung umfasse. Ebenso wenig habe die Insolvenzgeld-Umlage konfiskatorischen Charakter, da trotz eines erheblichen Anstiegs des Beitragssatzes im Jahr 2002 keine Existenzgefährdung ersichtlich sei. Eine objektiv berufsregelnde Tendenz liege trotz der Neuausrichtung des Insolvenzverfahrens auf Unternehmensfortführung nicht vor, da es sich bei dem Insolvenzgeld um eine berufsgruppenunabhängige Sozialleistung handele.

Auch Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Der alleinigen Verantwortung des Arbeitgebers für den Entgeltausfall, der den Insolvenzgeld-Anspruch auslöst, sei nicht dadurch der Boden entzogen, dass das Insolvenzgeld mittelbar auch zur Mitfinanzierung insolventer Mitbewerber führen könne.

III.

Die Beschwerdeführerin sieht sich in verschiedenen Grundrechten verletzt.

Es fehle entgegen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Umlage. Es sei möglicherweise zulässig, die Ausgestaltung der Aufbringung von Beiträgen zur Unfallversicherung dem Satzungsrecht zu überlassen, für eine "Fremdumlage", die in Wahrheit ein Sonderopfer darstelle, sei dies jedoch nicht zulässig.

Weiterhin sei sie in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, da das Insolvenzgeld gleichheitswidrig allein von den Arbeitgebern finanziert werde, die entsprechende Umlage im Jahr 2002 erheblich angestiegen sei und das Insolvenzgeld zu einer Subvention insolventer Marktkonkurrenten auf Kosten der solventen führe.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin Verletzungen von Art. 12 Abs. 1 sowie von Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG jeweils in Verbindung mit dem Parlamentsvorbehalt rügt. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt insoweit nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.

Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG rügt, hat sie das Vorliegen einer objektiv berufsregelnden Tendenz zwar behauptet, nicht aber näher dargelegt.

Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot abgeleiteten Parlamentsvorbehalt rügt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Begründung.

Der parlamentarische Gesetzgeber hat in den einschlägigen Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts und des Unfallversicherungsrechts selbst geregelt, dass die Mittel zur Finanzierung der Umlage von den Arbeitgebern aufzubringen sind und nach welchen Umständen sich die Umlagelast des einzelnen Unternehmers richtet. Angesichts dessen hätte es näherer Darlegungen bedurft, welche grundrechtswesentlichen Fragen der Gesetzgeber unter Verstoß gegen die Verfassung den Satzungen der Unfallversicherungsträger überlassen haben soll.

V.

Im Übrigen bestehen erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, die sich insbesondere nicht mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Konkursausfallgeld-Umlage auseinandersetzt. Die Entscheidung dieser Frage kann jedoch offen bleiben, denn die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg.

1.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Regelungen betreffend die Umlage zur Finanzierung des Konkursausfallgeldes als Vorläufer des Insolvenzgeldes auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung) beruhten und die Umlage keine Sonderabgabe darstellte (vgl. BVerfGE 89, 132 <144> ). Änderungen der Sach- und Rechtslage, die ein Abweichen von dieser Entscheidung angezeigt erscheinen lassen, sind weder dargetan noch ersichtlich.

2.

Grundrechte sind durch die Auferlegung dieser Geldleistungspflicht nicht verletzt. Sie schützen nur vor Abgaben, welche den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben (vgl. BVerfGE 95, 267 <300> m.w.N.).

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Konkursausfallgeld-Umlage als Vorläuferin der Insolvenzgeld-Umlage bereits entschieden, dass die hierdurch in typischen Fällen ausgelösten Zahlungspflichten weder nach ihrer absoluten Höhe noch in ihrer Relation zur Lohnhöhe wirtschaftlich von besonderem Gewicht waren (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 638/78 -, SozR 4100 § 186b Nr. 2). Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Umlage zwischenzeitlich ein erdrosselndes Ausmaß angenommen hätte. Soweit die Beschwerdeführerin auf den Anstieg des Beitragssatzes der Umlage im Jahr 2002 hinweist, genügt dies nicht. Ausgehend von den Darlegungen des Landessozialgerichts fiel der Beitragssatz mit 4,767 EUR je 1.000 EUR des Bruttoarbeitsentgelts im Jahr 2002 zwar höher aus als in den Jahren davor und danach. Insgesamt stand jedoch der streitige Beitrag von knapp 11.500 EUR einer Lohnsumme von etwas über 2,4 Mio. EUR gegenüber.

3.

Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.

a)

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 42, 64 <72> ; stRspr). Er ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfGE 55, 114 <128>; stRspr). Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will. Allerdings muss er seine Auswahl sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 53, 313 <329>).

b)

Die Heranziehung nur der Arbeitgeber zur Insolvenzgeld-Umlage ist nach diesen Vorgaben nicht zu beanstanden.

aa)

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Belastung allein der Arbeitgeber mit der Finanzierung des Konkursausfallgeldes nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil sie Verantwortung für die Einhaltung ihrer Pflichten aus dem Arbeitsvertrag gegenüber ihren regelmäßig vorleistenden Arbeitnehmern tragen und das Ausfallgeld sie lediglich durch eine versicherungsmäßige Risikenverteilung zwischen den Arbeitgebern belastet (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 638/78 -, SozR 4100 § 186b Nr. 2). Auch eine willkürlich ungleiche Behandlung der Arbeitgeber untereinander besteht nicht, insbesondere nicht in Form einer grundsätzlichen Benachteiligung umsichtig wirtschaftender Arbeitgeber; eine Versicherung beruht nämlich typischerweise auf der Tragung individuell eintretender Risiken durch die Gemeinschaft aller Versicherten.

Änderungen der Sach- oder Rechtslage durch den Übergang vom Konkursausfall- zum Insolvenzgeld, die für ein Abweichen von diesen Grundsätzen sprechen, sind nicht ersichtlich. Beide Arten der Absicherung gleichen sich strukturell. Nach wie vor können die Ursachen einer Insolvenz vielfältiger Natur sein und sind nicht pauschal in einer unsorgfältigen Wirtschaftsführung des insolvent gewordenen Arbeitgebers zu suchen. Ebenso erscheint es nach wie vor nicht sachwidrig, wenn der Gesetzgeber speziell die Gruppe der Arbeitgeber zu einer besonderen (und zugleich eng begrenzten) Absicherung gegen dieses Risiko heranzieht, denn der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner Vorleistungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber einem erheblichen Risiko ausgesetzt, das vertraglich geschuldete Entgelt für seine Arbeitsleistung nicht zu erhalten.

bb)

Eine wesentliche Änderung der Rechtslage ist nicht dadurch eingetreten, dass nach § 1 Satz 1 a.E. der seit dem geltenden Insolvenzordnung das Insolvenzverfahren unter anderem auch dazu dienen kann, mit einem Insolvenzplan den Erhalt eines Unternehmens anzustreben und dann das Insolvenzgeld zur weiteren Entlohnung der Belegschaft eingesetzt wird.

Zunächst lässt sich nur sehr mittelbar und in sehr beschränktem Umfang von einer mit der Insolvenzgeld-Umlage einhergehenden Unterstützung von insolventen Marktkonkurrenten sprechen. Im Gegensatz insbesondere zur gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt sich diese Hilfe nicht auf eine Gruppe von Unternehmern, die sich auf einem identischen Markt bewegen, sondern auf alle Unternehmer ohne Begrenzung auf eine bestimmte Branche oder Sparte. Die Beschwerdeführerin finanziert mit ihrem Umlageanteil nicht ausschließlich das Insolvenzgeld für Reiseunternehmen oder für andere Mitgliedsunternehmen desselben Unfallversicherungsträgers.

Soweit die Heranziehung wirtschaftlich solider Unternehmer objektiv unter anderem zu einer kurzfristigen Fortführung insolventer Konkurrenzunternehmen führt, verstößt sie nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Nachteil, der in einer wirtschaftlichen Unterstützung des unter Marktgesichtspunkten unliebsamen Konkurrenten liegt, hat seinen Grund letztlich in den Vorleistungspflichten der Arbeitnehmer, die allen Arbeitgebern zugute kommt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
ZIP 2009 S. 680 Nr. 14
GAAAD-17820