BFH Urteil v. - VI R 89/04 BStBl 2007 II S. 719

Sofortiger Zufluss von Arbeitslohn bei Überlassung einer Jahresnetzkarte

Leitsatz

Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Jahresnetzkarte, so führt dies zum sofortigen Zufluss von Arbeitslohn, wenn dem Arbeitnehmer mit der Karte ein uneingeschränktes

Nutzungsrecht eingeräumt wurde.

Gesetze: EStG § 8EStG § 11EStG § 19 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug: (EFG 2005, 524) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau wurden im Streitjahr (2001) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte unter anderem als Beamter im Ruhestand Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Als ehemaliges Führungsmitglied der Deutschen Bahn AG (DB-AG) stellte die DB-AG ihm im Streitjahr eine nicht übertragbare Fahrkarte „C” (Netzkarte) zur Verfügung, welche es ihm gestattete, ein Jahr lang sämtliche Verbindungen der DB-AG unentgeltlich zu nutzen.

Auf der Lohnsteuerkarte für das Streitjahr bescheinigte die für die Bezügeabrechnung zuständige Stelle des ehemaligen Dienstherrn des Klägers, das Bundeseisenbahnvermögen (BEV), dass in dem Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... DM steuerbegünstigte Versorgungsbezüge in Höhe von ... DM enthalten waren. Der überschießende Betrag in Höhe von 7 344 DM war für die Nutzung der Netzkarte für private Fahrten angesetzt worden. Diesen Betrag hatte das BEV ausgehend vom Tarifwert einer Jahresnetzkarte der 1. Klasse in Höhe von 10 150 DM abzüglich eines Bewertungsabschlags von vier vom Hundert und des Rabattfreibetrags in Höhe von 2 400 DM ermittelt.

Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der Kläger, die Versteuerung des geldwerten Vorteils in Gestalt der Nutzung der Netzkarte nicht durch Ansatz des Tarifwertes für die Karte als solche, sondern auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzung durchzuführen. Dazu fügte er eine Einzelaufstellung der Fahrten des Streitjahres bei und bot an, deren Vollständigkeit eidesstattlich zu versichern.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte das Begehren des Klägers nicht und setzte bei der Durchführung der Veranlagung den auf der Lohnsteuerkarte bescheinigten Bruttoarbeitslohn an.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 524 veröffentlichten Gründen statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass dem Kläger ein geldwerter Vorteil nicht bereits mit der Zur-Verfügung-Stellung der Netzkarte, sondern erst bei Inanspruchnahme der einzelnen kostenlosen Fahrten zugeflossen sei. Die Verfügungsmacht über die Netzkarte habe dem Kläger zunächst nur einen Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber verschafft. Dieser Anspruch sei erst bei Inanspruchnahme der kostenlosen Fahrten erfüllt worden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist dem Kläger bereits mit der Überlassung der Netzkarte zusätzlicher Arbeitslohn in Höhe von 7 344 DM zugeflossen.

1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und die dem Arbeitnehmer aufgrund eines früheren Dienstverhältnisses gewährt werden.

Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG ermöglichte die an den Kläger überlassene Netzkarte diesem im Streitjahr die unentgeltliche Nutzung sämtlicher Verbindungen der DB-AG. Zwischen den Beteiligten besteht daher zu Recht kein Streit darüber, dass die mit der Netzkarte verbundene Nutzungsmöglichkeit dem Grunde nach zu einem geldwerten Vorteil des Klägers geführt hat. Der geldwerte Vorteil wurde dem Kläger auch aufgrund seiner früheren Beschäftigung bei der DB-AG gewährt.

2. Arbeitslohn, der —wie im Streitfall— nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird, wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt (§ 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).

a) Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—, zuletzt Urteile vom VI R 19/03, BFHE 213, 381, BStBl II 2006, 832; vom VIII R 47/03, BFH/NV 2005, 2181; vom IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643, jeweils m.w.N.). Der Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (, BFHE 160, 447, BStBl II 1990, 711, unter 2. d der Gründe; vom VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469, unter III. 2. b).

b) Im Streitfall ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass der Zufluss nicht schon durch Einräumung von Ansprüchen durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer, sondern erst durch deren Erfüllung gegenüber dem Arbeitnehmer bewirkt wird (, BFHE 209, 549, BStBl II 2005, 766; VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl II 2005, 770; vom VI R 105/99, BFHE 195, 395, BStBl II 2001, 689).

Dem FG kann jedoch nicht darin gefolgt werden, dass der Kläger durch die Überlassung der Netzkarte lediglich einen Anspruch gegen die DB-AG erlangt habe, der erst bei Inanspruchnahme der einzelnen Freifahrten erfüllt worden sei. Mit der Überlassung der Netzkarte erhielt der Kläger vielmehr ein Wertpapier, in dem der Beförderungsanspruch gegenüber der DB-AG verbrieft war (, juris; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., § 808 Rz 1, 3; MünchKommBGB/Hüffer, 4. Aufl., § 808 Rz 2, 10; Hueck/ Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl., § 28 I 3 a). Die Netzkarte gewährte dem Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die umfassende Möglichkeit zur Nutzung der Verbindungen der DB-AG. Nach dem unbestrittenen Vortrag des FA war für die Nutzung der Netzkarte weder eine Anzeige der einzelnen Fahrten noch das Lösen weiterer Fahrausweise der DB-AG erforderlich. Die Netzkarte verschaffte dem Kläger damit das uneingeschränkte Nutzungsrecht hinsichtlich der Verbindungen der DB-AG.

3. Der dem Kläger zugeflossene geldwerte Vorteil ist gemäß § 8 Abs. 3 EStG zu bewerten und —wie bei der Veranlagung durch das FA— mit einem Betrag von 7 344 DM anzusetzen. Als Endpreis der Netzkarte ist hierbei —wovon auch das FG ausgeht— der Tarifwert einer Jahresnetzkarte der DB-AG in Höhe von 10 150 DM zugrunde zu legen. Dies gilt unabhängig davon, dass die Netzkarte nicht übertragbar war und nach Auffassung des Klägers daher keinen „Marktwert” hatte. Denn die fehlende Übertragbarkeit findet im Tarifwert ihren Niederschlag.

Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 719
BB 2007 S. 1604 Nr. 30
BBK-Kurznachricht Nr. 14/2007 S. 743
BFH/NV 2007 S. 1575 Nr. 8
BStBl II 2007 S. 719 Nr. 15
DB 2007 S. 1619 Nr. 30
DStR 2007 S. 1204 Nr. 28
DStRE 2007 S. 991 Nr. 15
DStZ 2007 S. 475 Nr. 15
EStB 2007 S. 279 Nr. 8
FR 2007 S. 1031 Nr. 21
GStB 2007 S. 30 Nr. 8
HFR 2007 S. 846 Nr. 9
KÖSDI 2007 S. 15651 Nr. 8
NJW 2007 S. 2720 Nr. 37
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2007 S. 2357
SJ 2007 S. 26 Nr. 14
SJ 2007 S. 7 Nr. 18
StB 2007 S. 283 Nr. 8
StBW 2007 S. 4 Nr. 15
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2007 S. 556
GAAAC-49141