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Artikelgenaue Programmierung oder Verdichtung nach Warengruppen in elektronischen Aufzeichnungssystemen?
Praxisprobleme mit der Einzelaufzeichnungspflicht
[i]Teutemacher/Krullmann, Verfahrensdokumentation zur Kassenführung bei elektronischen Aufzeichnungssystemen – Leitfaden mit Musterformulierungen für kleine und mittlere Unternehmen, BBK 9/2022 S. 405 NWB GAAAI-60359 Die praktische Umsetzung der Einzelaufzeichnungspflicht in den elektronischen Aufzeichnungs- und ERP-Systemen entspricht nicht immer den Anforderungen der Finanzverwaltung und bereitet gerade Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben Schwierigkeiten: zu teuer, zu kompliziert sei die detaillierte, artikelgenaue Programmierung. Zudem sei aus Sicht der Finanzverwaltung eine progressive und retrograde Prüfung bei einer reinen Warengruppenprogrammierung nicht mehr möglich. Der Beitrag zeigt aktuelle Praxisprobleme auf, setzt sich mit den gesetzlichen Anforderungen der Einzelaufzeichnungspflicht und deren Auslegung durch die Finanzverwaltung auseinander und versucht, Lösungsmöglichkeiten für die Praxis aufzuzeigen.
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I. Aktuelle Anwendungsfragen zur Einzelaufzeichnungspflicht
[i]Teutemacher, Aufschlüsselung der Zahlungswege nach Umsatzsteuersätzen? – Leserfrage, BBK 18/2020 S. 898 NWB NAAAH-57630 Die praktischen Probleme mit der Einzelaufzeichnungspflicht sind vielfältig. Die Anwender sind verunsichert im Hinblick auf Zweifel beim Ausweis der Zahlungswege (bar und unbar), auf die Einzelaufzeichnungspflicht bei Warenautomaten und Waagen oder auch bei der Aufzeichnung und beim Ausweis von Gutscheinen oder Trinkgeldern. Ein zentrales Problem der Einzelaufzeichnungspflicht bei der Nutzung elektronischer Aufzeichnungssysteme ist die Frage, ob die Artikeldaten für jeden Artikel hinterlegt werden müssen oder ob nach Warengruppen verdichtet werden kann.
Ein Spielzeugeinzelhändler hat ca. 16.500 Artikel im Verkauf, verfügt über kein Warenwirtschaftssystem und schreibt die Verkaufspreise noch mit Hand auf die S. 544vorbereiteten Preisaufkleber. In seinem elektronischen Aufzeichnungssystem mit zertifizierter technischer Sicherheitseinrichtung sind nur Warengruppen programmiert.
Oftmals [i]Einzelaufzeichnungspflicht erzeugt Aufwandführen die Unternehmer an, die Bedienung der elektronischen Aufzeichnungssysteme bei artikelgenauer Programmierung sei für das Personal zu kompliziert und die Pflege der Datenbestände bei stetig wechselnden Warenangeboten zu aufwendig. Oder die Warengruppen werden aus Bequemlichkeit aus den Alt- in die Neu(kassen)systeme übernommen.
In [i]Hinzuschätzung nur aufgrund einer Warengruppenprogrammierungeinem aktuellen Fall der Betriebsprüfung drohte ein Betriebsprüfer einem großen Unternehmen eine Zuschätzung an, weil das Unternehmen in den elektronischen Aufzeichnungssystemen keine artikelgenaue Programmierung vorgenommen hatte. Dies war die einzige Feststellung, die der Prüfer dem Leiter der Steuerabteilung des Unternehmens mitteilte.
Der Prüfer begründete die Zuschätzung damit, dass die Warengruppenprogrammierung gegen den Grundsatz der Einzelaufzeichnungspflicht verstoßen würde. Auch wäre eine progressive und retrograde Prüfung durch die Warengruppenprogrammierung nicht mehr möglich.
Die Frage ist daher, ob eine solche Zuschätzung zulässig und angemessen ist.
II. Betroffene der Einzelaufzeichnungspflicht
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt sowohl für bilanzierende Steuerpflichtige als auch für Unternehmer, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln. Sie ist nicht an die Gewinnermittlungsart gebunden und auch nicht an die Größe des Unternehmens.
[i]Teutemacher/Krullmann, Verfahrensdokumentation zur Kassenführung mittels offener Ladenkasse – Leitfaden mit Musterformulierungen für kleine und mittlere Unternehmen, BBK 10/2022 S. 456 NWB CAAAI-61341 Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt für die Kassenführung mittels offener Ladenkasse ebenso wie auch für die Kassenführung mittels elektronischer Aufzeichnungssysteme. Entscheidet sich der Unternehmer für ein elektronisches Aufzeichnungssystem i. S. des § 146a Abs. 1 Satz 1 AO i. V. mit § 1 Abs. 1 Satz 1 KassenSichV, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln, detailliert und abgesichert aufzeichnet und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglich, kommt er gerade damit der ihm obliegenden Verpflichtung zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe nach.
III. Gesetzliche Grundlagen zur Einzelaufzeichnungspflicht
1. Regelungen in der Abgabenordnung
Im Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen hat der Gesetzgeber 2016 zur Klarstellung den § 146 AO in Satz 1 um die Einzelaufzeichnungspflicht ergänzt. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen sind.
[i]Unklar ist das „wie“ der Einzelaufzeichnung Dem Gesetzeswortlaut ist jedoch nicht zu entnehmen, wie diese Einzelaufzeichnungspflicht in der Praxis umzusetzen ist. In welcher Form die Kasseneinzelaufzeichnungen zu führen sind, bestimmt die AO nicht. Die AO schreibt nur vor, dass Kasseneinnahmen und Kassenausgaben täglich festzuhalten sind (vgl. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO). S. 545
[i]Verantwortung des SteuerpflichtigenDabei bleibt es dem Steuerpflichtigen überlassen, für welche Form des Aufzeichnungsmittels er sich entscheidet, d. h. ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel wie z. B. einer elektronischen Registrierkasse erfasst.
Bei genauer Betrachtung des Aufbaus der steuerlichen Aufzeichnungspflichten (§§ 143 – 146 AO) ist festzustellen, dass die genannte Einzelaufzeichnungsverpflichtung nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO für Steuerpflichtige gilt, die eine Kassenführung mittels offener Ladenkasse führen oder die ein elektronisches Aufzeichnungssystem nutzen, das nicht unter die Regelung des § 146a Abs. 1 Satz 1 AO i. V. mit § 1 Abs. 1 Satz 1 KassenSichV fällt.
[i]Ausnahme von der Einzelaufzeichnung Eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht aus Zumutbarkeitsgründen sieht § 146 Abs. 1 Satz 3 AO für die Kassenführung mittels offener Ladenkasse vor, d. h. ohne technische Hilfsmittel. Die Ausnahme findet Anwendung bei Steuerpflichtigen, die Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung verkaufen. Die Unzumutbarkeit muss der Steuerpflichtige nicht gesondert nachweisen.
[i]Dienstleistungen Diese Ausnahmeregelung darf auch auf Dienstleistungen angewendet werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
Dienstleistungen werden
an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen
gegen Barzahlung erbracht, und
es wird kein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet.
Darüber hinaus muss bei Dienstleistungen darauf geachtet werden, dass eine Vielzahl von Kundenkontakten vorliegen muss und der Kundenkontakt des Dienstleisters und seiner Angestellten sich im Wesentlichen auf die Bestellung und den kurzen Bezahlvorgang beschränkt.