BFH Urteil v. - II R 74/00 BStBl 2005 II S. 99

Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Anwendung des ErbStG i. d. F. des JStG 1997 auf Erwerbsvorgänge ab

Leitsatz

Die rückwirkende Anwendung des ErbStG i.d.F. des JStG 1997 auf Erwerbsvorgänge ab ist nicht verfassungswidrig.

Gesetze: BVerfGG § 31 Abs. 1AO 1977 § 157 Abs. 1 Satz 2AO 1977 § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2FGO § 35FGO § 36FGO § 68FGO § 138 Abs. 1ErbStG i.d.F. des JStG 1997 § 12 Abs. 3ErbStG i.d.F. des JStG 1997 § 37 Abs. 1

Instanzenzug: (EFG 2000, 1344) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger sind Erben zu je 1/2 nach der am verstorbenen E.R. Diese war Alleinerbin ihres am verstorbenen Ehemannes. Für ihren Erwerb von Todes wegen nach ihrem Ehemann setzte das früher zuständige Finanzamt A gegen sie durch Bescheid vom die Erbschaftsteuer zunächst auf 363 850 DM und mit Änderungsbescheid vom auf 358 321 DM fest. Beide Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit dem Einspruch begehrte E.R. die Aufhebung der Bescheide, weil nach ihrer Auffassung die rückwirkende Anwendung des erst am in Kraft getretenen Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG 1997) vom (BGBl I 1996, 2049, BStBl I 1996, 1523) bereits auf Erwerbe ab verfassungswidrig sei. Nach alter Rechtslage hätte sich insbesondere wegen der früher maßgeblichen niedrigeren Einheitswerte lediglich eine Steuerbelastung von 45 000 DM ergeben.

Mit ihrer Klage verfolgte E.R. ihr Einspruchsbegehren weiter. Das früher zuständige Finanzamt A hat während des finanzgerichtlichen Verfahrens im Hinblick auf einen zwischenzeitlich ergangenen Wertfeststellungsbescheid bezüglich eines Nachlassgrundstücks mit (Änderungs-)Bescheid vom die Steuer auf 35 530 DM herabgesetzt. E.R. hat beantragt, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und (auch) ihn aufzuheben, weil der Anwendung des ErbStG i.d.F. des JStG 1997 das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegenstehe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass das Rückwirkungsverbot hier ausnahmsweise nicht gelte, weil das Vertrauen der Steuerpflichtigen auf den Fortbestand der früheren Rechtslage nach dem Ergehen des (BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671) nicht mehr schutzwürdig und deswegen sachlich nicht mehr gerechtfertigt sei.

Das früher zuständige Finanzamt A hat im Revisionsverfahren am erneut einen Änderungsbescheid erlassen, die Steuer auf 37 488 DM festgesetzt und den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. E.R. hat beantragt, diesen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Mit ihrer Revision machen die Kläger als Rechtsnachfolger der E.R. geltend, es habe keine Rechtfertigung für die belastende echte Rückwirkung des ErbStG i.d.F. des JStG 1997 bestanden, § 37 Abs. 1 ErbStG sei deshalb verfassungswidrig und damit als nichtig anzusehen.

Der nun zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) hat am den Bescheid unter Beibehaltung der materiell-rechtlichen Regelungen im Hinblick auf das Normenkontrollverfahren vor dem für vorläufig erklärt.

Durch weiteren Bescheid vom hat das FA den Bescheid vom wegen unvollständiger Angabe der Inhaltsadressaten wieder aufgehoben und den Bescheid vom insoweit geändert, als dieser im Hinblick auf das Normenkontrollverfahren vor dem nunmehr vorläufig sein soll. Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger bekannt gegeben und sollte für und gegen beide Kläger als Miterben nach E.R. gelten.

Die Kläger beantragen,

1. festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist,

2. festzustellen, dass der Bescheid über Erbschaftsteuer vom nichtig ist,

3. hilfsweise, das , die Bescheide vom , , , und vom sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist im Haupt- wie im Hilfsantrag unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Der Antrag der Kläger, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen, ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Kläger ist durch den Bescheid vom eine Erledigung der Hauptsache nicht eingetreten. Ein Rechtsstreit ist i.S. von § 138 Abs. 1 FGO in der Hauptsache erledigt, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch das das gesamte im Klageantrag zum Ausdruck kommende, in dem Verfahren streitige Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist (, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608, und vom I R 8/95, BFH/NV 1998, 187, m.w.N.).

Im Streitfall war das Klagebegehren der Kläger auf die Beseitigung der Erbschaftsteuerfestsetzung wegen des Erwerbs der E.R. vom gerichtet. Dieses Klagebegehren wurde durch den Erlass des (Aufhebungs-)Bescheids vom nicht gegenstandslos. Denn dieser Bescheid betraf in seinem Aufhebungsteil ausdrücklich nur den Bescheid vom , führte jedoch nicht auch zur Beseitigung der vorangegangenen (Änderungs-)Bescheide, insbesondere nicht des Bescheides vom , der Gegenstand des Revisionsverfahrens war (§ 68 FGO).

Es trifft zwar zu, dass ein Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt mit aufnimmt. Hieraus folgt aber nicht, dass mit der Aufhebung des Änderungsbescheids auch der geänderte Bescheid endgültig beseitigt ist, wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben. Vielmehr ist der ursprüngliche Bescheid in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen worden ist, lediglich für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides suspendiert; er tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid aufgehoben wird (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, 233; , BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040).

2. Die Kläger haben auch mit ihrem ursprünglichen Revisionsbegehren keinen Erfolg.

a) Der Senat ist an einer Entscheidung über das ursprüngliche Revisionsbegehren trotz der einseitigen Erledigungserklärung der Kläger nicht gehindert, weil sie dieses —was zulässig ist— hilfsweise aufrechterhalten haben (s. , BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779, und in BFH/NV 1998, 187) und keine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist (vgl. II. 1.).

b) Das FG hat ohne Rechtsverstoß erkannt, dass die Anwendung des § 12 Abs. 3 ErbStG i.d.F. des JStG 1997 und der dort in Bezug genommenen Vorschriften des Bewertungsgesetzes für die Bewertung von Grundbesitz auf den Streitfall im Hinblick auf die Rückbewirkung der Rechtsfolgen auf einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Der erkennende Senat hat diese Auffassung bereits in zwei Entscheidungen vertreten (Urteile vom II R 45/01, BFHE 204, 570, und vom II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703).

Die Zulässigkeit der Rückwirkung der erst am in Kraft getretenen Regelungen auf Erwerbe ab nach § 37 Abs. 1 ErbStG i.d.F. des JStG 1997 ergibt sich bereits aus § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) in Verbindung mit den in der Entscheidungsformel des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671 an den Gesetzgeber gerichteten Anweisungen. Danach war die Anwendung des alten, vom BVerfG für verfassungswidrig gehaltenen Rechts auf die Zeit bis zum beschränkt und der Gesetzgeber gehalten, spätestens bis zum eine Neuregelung zu treffen. Das bisherige Recht durfte für Erwerbe ab dem der Besteuerung nur noch vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zugrunde gelegt werden. Hierzu heißt es in der Begründung des Beschlusses weiter:

„Die Erbschaftsteuer wird nicht wie die Vermögensteuer bei einem Steuerpflichtigen fortlaufend erhoben. Eine nur einmalige, vorläufige Steuerfestsetzung und ihre nachträgliche Korrektur —zum Vor- oder Nachteil des Steuerpflichtigen— ist bei Berücksichtigung der Interessen der Steuerpflichtigen ebenso wie der fiskalischen Belange tragbar und angemessen.”

Danach war —für den Gesetzgeber nach § 31 Abs. 1 BVerfGG verbindlich— der einzuschlagende Weg vorgezeichnet, der bei Abwägung der Interessen der Steuerpflichtigen und des Fiskus die Möglichkeit einschloss, dass es (auch zum Nachteil der Steuerpflichtigen) für Erwerbsvorgänge im Jahre 1996 nachträglich noch zu einer höheren Steuerbelastung als bei Anwendung des verfassungswidrigen Rechts kommt. Die von den Klägern geforderte Übergangsregelung in Form einer Günstigkeitsklausel hätte den Vorgaben des BVerfG nicht entsprochen. Denn das BVerfG hat den verfassungswidrigen Zustand mit Ablauf des Jahres 1995 beenden wollen; hieran war der Gesetzgeber gebunden.

Dem steht im Übrigen auch die Rechtsprechung des BVerfG zur sog. „echten Rückwirkung” nicht entgegen. Denn die „echte Rückwirkung” eines Gesetzes, die dann vorliegt, wenn nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wird, ist nicht ausnahmslos unzulässig. Sie ist u.a. dann zulässig, wenn die bestehende Rechtslage keine ausreichende Vertrauensgrundlage darstellte und deshalb das Vertrauen des Steuerbürgers in den Fortbestand des geltenden Rechts nicht schutzbedürftig ist (vgl. hierzu Mellinghoff, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft —DStJG— 27 [2004], S. 34 f.). Das BVerfG hat deshalb auch in Fällen sog. echter Rückwirkung rückwirkend belastende Regelungen als verfassungsgemäß beurteilt, wenn es die bisherige Regelung für ungültig oder nicht mehr anwendbar erklärt hatte und der Steuerbürger deswegen mit einer Neuregelung hatte rechnen müssen (Entscheidungen vom   2 BvL 8/64, BVerfGE 19, 187, 197, und vom   2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 272).

Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit den Neuregelungen den Rahmen dessen, was zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands erforderlich war, zu Lasten der Steuerpflichtigen in grober Weise überschritten und das Gesetz in einer Weise verschärft hat, die für die Steuerpflichtigen nicht vorhersehbar war und im Hinblick auf die Rückwirkungsproblematik als unangemessen anzusehen wäre, sind im Übrigen nicht ersichtlich.

3. Soweit die Kläger darüber hinaus die Feststellung beantragt haben, dass der Bescheid über Erbschaftsteuer vom nichtig ist, sieht der Senat hierin kein selbstständiges Feststellungsbegehren, sondern einen zusätzlichen Gesichtspunkt für das im Hilfsantrag verfolgte Begehren, den Bescheid vom aufzuheben. Denn wenn es sich um ein selbstständiges Feststellungsbegehren handelte, wäre dieses im vorliegenden Revisionsverfahren als unzulässig zu behandeln, weil für eine solche Feststellungsklage nach § 41 FGO der BFH nicht zuständig ist (§ 36 FGO). Diese hätte beim FG angebracht werden müssen (§ 35 FGO).

Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Bescheid vom , soweit dieser die Regelung enthält, dass der Bescheid vom in vollem Umfang vorläufig ist, nicht deshalb nichtig, weil in ihm die Erbschaftsteuerfestsetzung nicht der Höhe nach angegeben ist. Zwar muss ein schriftlicher Steuerbescheid nach § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen; die Angabe der Steuerschuld kann aber durch eine Bezugnahme auf den geänderten Bescheid ersetzt werden (, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219, und vom IX R 6/91, BFHE 174, 4, BStBl II 1994, 599). Dies ist im vorliegenden Fall mit dem Hinweis auf den Bescheid vom geschehen.

Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 99
BB 2004 S. 2798 Nr. 51
BB 2005 S. 201 Nr. 4
BFH/NV 2005 S. 136
BFH/NV 2005 S. 136 Nr. 1
BStBl II 2005 S. 99 Nr. 2
DStRE 2005 S. 37 Nr. 1
FR 2005 S. 449 Nr. 8
HFR 2005 S. 134
INF 2005 S. 11 Nr. 1
KÖSDI 2005 S. 14462 Nr. 1
EAAAB-40274