Erhöhung der Umsatzsteuer von 16 v.H. auf 19 v.H. verletzt nicht Art. 6 Abs. 1 GG
Leitsatz
1. Die Erhöhung der Umsatzsteuer zum von 16 v.H. auf 19 v.H. verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.
2. Die relativ stärkere Belastung der Familien mit Kindern gegenüber Kinderlosen durch die Umsatzsteuererhöhung ist im System der indirekten Steuern notwendig angelegt und gesetzessystematisch folgerichtig. Sie muss eine Kompensation bei der direkten Besteuerung durch die Einkommensteuer nach Maßgabe des wesentlich dort verankerten Systems des Familienlastenausgleichs zur Folge haben.
3. Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die nicht unterschritten werden darf. Es wird verbrauchsbezogen ermittelt und berücksichtigt den existenznotwendigen Mindestbedarf, der auch die in die Verbraucherpreise eingegangene Umsatzsteuer umfasst.
4. Die Besteuerung der von zu Kindererziehungszwecken verbrauchten Güter und Leistungen ist der Art und der Höhe nach durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom europarechtlich vorgegeben. Dem nationalen Gesetzgeber steht demnach kein Spielraum zu, diese Güter von der Umsatzsteuer gänzlich freizustellen oder zumindest generell mit einem ermäßigten Steuersatz zu versehen.
(Leitsätze nicht amtlich)
Gesetze: GG Art. 6 Abs. 1HBeglG 2006 Art. 4 Nr. 1UStG § 12 Abs. 1UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1EGRL 2006/112
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die mit Wirkung vom 1. Januar 2007 erfolgte Erhöhung der Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer).
Die Beschwerdeführer - ein Ehepaar und eines ihrer insgesamt sechs Kinder - greifen mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar Art. 4 und 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 (HBeglG 2006) vom (BGBl I S. 1402) an, durch die der Umsatzsteuernormalsatz des § 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) sowie der Versicherungsteuersatz nach § 6 Abs. 1 Versicherungsteuergesetz (VersStG) zum von 16% auf 19% erhöht worden sind.
Der Beschwerdeführer zu 2) erzielt als Arbeitnehmer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Beschwerdeführerin zu 1), seine Ehefrau, ist wegen der Kindererziehung nicht erwerbstätig. Die Kinder - darunter die Beschwerdeführerin zu 3) - befinden sich noch in Ausbildung. Das Nettoeinkommen der Familie beläuft sich unter Berücksichtigung des monatlichen Kindergeldes von 641 € auf ca. 53.400 € im Jahr. Nach eigenen Angaben der Beschwerdeführer beträgt ihre zusätzliche Belastung durch die Umsatzsteuererhöhung pro Monat ca. 68 € bis 73 €.
II.
Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 sowie des Sozialstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG.
Durch die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes sei das Prinzip der Steuergerechtigkeit verletzt. Eine Familie mit Kindern werde durch die Steuererhöhung mehr belastet als Kinderlose gleichen Einkommens. Je mehr sich der Gesetzgeber der Verbrauchsteuern als staatliche Einnahmequelle bediene, umso mehr verletze er die Belastungsgerechtigkeit. Das Gebot der Steuergerechtigkeit sei aber auch bei den indirekten Steuern zu berücksichtigen.
Zudem habe der Gesetzgeber es unterlassen, nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer im Bereich des Einkommensteuerrechts und des Kindergeldes die Mehrbelastung finanziell auszugleichen. Es sei eine vollständige Befreiung der Kinderkosten, mindestens aber des Kinderexistenzminimums, von indirekter Besteuerung oder zumindest die Ermöglichung einer Rückerstattung durch entsprechende Freibeträge bei den direkten Steuern erforderlich, um den Geboten von Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen.
III.
Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie den Anforderungen an die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen ein Gesetz erhobenen Verfassungsbeschwerde (vgl. dazuBVerfGE 1, 97 <101 ff.>; 109, 279 <305> ; stRspr) genügt. Die Verfassungsbeschwerde hat jedenfalls weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt; teilweise nimmt das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungskompetenz insoweit auch zurück.
a) Die mit der Verfassungsbeschwerde angesprochenen Fragen nach der Familienbesteuerung und insbesondere nach der "Familiengerechtigkeit" auch der Umsatzsteuer sind in verfassungsrechtlicher Hinsicht durch die Beschlüsse des Zweiten Senats des entschieden (vgl.BVerfGE 99, 246; 99, 268; 99, 273 ). Die 3. Kammer des Ersten Senats hat in einem Beschluss vom (1 BvR 2164/98, NJW 1999, S. 3478) aus Anlass der Umsatzsteuererhöhung von 15% auf 16% zum auf der Grundlage dieser Senatsrechtsprechung ausgeführt, dass zwar bei der Einkommensteuer eine Berücksichtigung der Familienverhältnisse möglich und nach dem gegenwärtigen System des Familienlastenausgleichs auch geboten sei, nicht hingegen bei der indirekt das Steuergut erfassenden Umsatzsteuer. Es treffe auch zu, dass die Erhöhung der indirekt erhobenen Umsatzsteuer Familien mit Kindern stärker belaste als Kinderlose, weil sie wegen ihres höheren Bedarfs mehr Waren und Leistungen erwerben müssten. Diese relativ stärkere Belastung der Familien sei jedoch im System der indirekten Steuern notwendig angelegt und gesetzessystematisch folgerichtig. Sie müsse deshalb eine Kompensation bei der direkten Besteuerung durch die Einkommensteuer nach Maßgabe des wesentlich dort verankerten Systems des Familienlastenausgleichs zur Folge haben (vgl. 3. Kammer des Ersten Senats, a.a.O., S. 3478). Diese Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für die hier angegriffene Erhöhung der Umsatzsteuer. Der Steuergesetzgeber hat danach stets darauf zu achten, dass eine Erhöhung indirekter Steuern und Abgaben den Lebensbedarf vermehrt und die existenzsichernden Abzüge bei der Einkommensteuer diesem erhöhten Bedarf anzupassen sind.
Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang beanstanden, dass das von der Einkommensteuer frei bleibende Existenzminimum für Kinder nicht entsprechend erhöht worden sei, können sie dies im Rahmen ihres Angriffs gegen die Vorschriften des Umsatzsteuerrechts nicht mit Erfolg geltend machen. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber der Belastung existenznotwendiger Güter mit Umsatzsteuer bereits dadurch teilweise Rechnung trägt, dass er diese Güter entweder nur ermäßigt besteuert (zum Beispiel Lebensmittel nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit der Anlage 2 zum UStG) oder sie gänzlich von der Umsatzsteuer befreit (zum Beispiel die Überlassung von Wohnraum nach § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG).
Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) besteht kein weitergehender verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet, bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen. Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die nicht unterschritten werden darf. Das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum wird verbrauchsbezogen ermittelt (vgl.BVerfGE 99, 246 <260 ff.>; 99, 268 <271>; 99, 273 <277> ). Es berücksichtigt den existenznotwendigen Mindestbedarf, der auch die in die Verbraucherpreise eingegangene Umsatzsteuer umfasst (vgl. 3. Kammer des Ersten Senats, a.a.O., S. 3478).
b) Mit ihrem Begehren, die zu Kindererziehungszwecken verbrauchten Güter und Leistungen generell von der Umsatzsteuer freizustellen, verkennen die Beschwerdeführer schließlich, dass der nationale Gesetzgeber auf diesem Gebiet dies ausschließenden Bindungen durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unterliegt. Die Besteuerung derartiger Güter der Art und der Höhe nach ist durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom (ABl EU Nr. L 347 S. 1, "Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie") europarechtlich vorgegeben. Dem nationalen Gesetzgeber steht nach den einschlägigen Regelungen der Richtlinie kein Spielraum zu, zu Kindererziehungszwecken verbrauchte Güter von der Umsatzsteuer gänzlich freizustellen oder zumindest generell mit einem ermäßigten Steuersatz zu versehen. Soweit der Gesetzgeber damit im Umsatzsteuerrecht Gemeinschaftsrecht umsetzt, das ihm keinen eigenen Gestaltungsspielraum lässt, prüft das Bundesverfassungsgericht die Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes (vgl. - NVwZ 2007, S. 937 <938 f.>).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Dass die Beschwerdeführer infolge der Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht in der Lage sind, ihren existenznotwendigen Mindestbedarf zu bestreiten, wird von ihnen nicht vorgetragen. Für eine existenzielle Betroffenheit der Beschwerdeführer, die die finanziellen Auswirkungen der Erhöhung des Umsatzsteuernormalsatzes mit ca. 68 € bis 73 € monatlich beziffern, ist bei einer Familie mit vier unterhaltsberechtigten Kindern, die über ein Nettogehalt einschließlich Kindergeld von ca. 53.400 € im Jahr und damit über ein Pro-Kopf-Einkommen von 8.900 € verfügt, auch nichts ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2008 S. 166 Nr. 2
DStZ 2008 S. 54 Nr. 3
HFR 2008 S. 173 Nr. 2
HFR 2008 S. 279 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 12/2008 S. 1013
StBW 2008 S. 1 Nr. 1
BAAAC-66520