Verlustabzug; Verlust der wirtschaftlichen Identität
Leitsatz
1. § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. definiert die „wirtschaftliche Identität” einer Körperschaft in Satz 1 nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. als Regelbeispiel setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (ständige Rechtsprechung, z.B. und I R 81/02, BFHE 203, 135 und 424, BStBl II 2004, 616 und 614; vom I R 9/06, BFHE 218, 207).
2. Wenn im Zusammenhang mit der die Hälfte des gezeichneten Kapitals übersteigenden Übertragung von Geschäftsanteilen und einer Änderung des Unternehmenszwecks von einer aktiv tätigen zu einer vermögensverwaltenden Gesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (Branchenwechsel) kein neues Betriebsvermögen zugeführt worden ist, liegt eine wirtschaftlich mit dem Regelbeispiel vergleichbare Situation nicht vor.
Gesetze: KStG 1996 n.F. § 8 Abs. 4 Sätze 1 und 2
Instanzenzug: (EFG 2008, 433) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines zum festgestellten verbleibenden Verlustabzugs bzw. eines vortragsfähigen Fehlbetrags im Streitjahr 1998 entfallen sind.
Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, war die Sonderabfallentsorgung für Krankenhäuser, Kliniken und gewerbliche Betriebe. Die Klägerin nutzte dafür ein gesondert genehmigtes Abfallzwischenlager. Der Grund und Boden war in Erbpacht angepachtet. Die darauf errichteten Gebäude zur Abfallbehandlung und die dazu erforderlichen Betriebsvorrichtungen standen im Eigentum der Klägerin. Von den Geschäftsanteilen der Klägerin wurden zum insgesamt 50 %, zum weitere 25 % sowie mit Verträgen vom bzw. weitere 25 % bzw. nochmals 50 % (jeweils zum ) veräußert.
Mit Wirkung zum übertrug die Klägerin ihr operatives Geschäft auf die X-GmbH. Das Industriegrundstück verpachtete sie an die X-GmbH. Weiteres unbewegliches Anlagevermögen behielt die Klägerin zurück. Die immateriellen Wirtschaftsgüter (darunter auch eine Transportgenehmigung nach § 49 Abs. 1 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes) sowie Vorräte, Forderungen und Verbindlichkeiten veräußerte die Klägerin an die X-GmbH. Diese übernahm auch die Arbeitnehmer der Klägerin, die wesentlichen vertraglichen Verpflichtungen, den Kunden- und Lieferantenstamm sowie die erforderlichen Genehmigungen. Das bewegliche Anlagevermögen veräußerte die Klägerin an eine dritte Gesellschaft, die diese Gegenstände in der Folge an die X-GmbH verpachtete. Unternehmensgegenstand der Klägerin ist seitdem die Verwaltung und Verpachtung des Grundbesitzes und der Anlagen. Neues Betriebsvermögen ist der Klägerin im Streitjahr nicht zugeführt worden.
Nach einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) unter Hinweis darauf, dass der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer in Höhe von 6 927 295 DM bzw. der festgestellte vortragsfähige Fehlbetrag (§ 10a Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes 1991 —GewStG 1991—) in Höhe von 5 282 970 DM gemäß § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) —KStG 1996 n.F.—, hinsichtlich des Gewerbeverlustes i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 1991, nicht abzugsfähig sei, u.a. Änderungsbescheide zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer und zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Fehlbetrags auf den . Die Klage führte zur Aufhebung dieser Änderungsbescheide (Finanzgericht —FG— Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12 K 8379/03 B, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2008, 433).
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht angenommen, dass der zum festgestellte verbleibende Verlustabzug und der vortragsfähige Fehlbetrag im Streitjahr nicht gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. (i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG 1991) unberücksichtigt bleiben müssen.
1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F., der nach der Anwendungsregelung des § 54 Abs. 6 KStG 1996 n.F. i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998, 7) jedenfalls bei einem Verlust der wirtschaftlichen Identität in 1998 im Streitjahr anwendbar ist, setzt der Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1996 n.F. bei einer Körperschaft voraus, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Die erforderliche wirtschaftliche Identität liegt nach Satz 2 insbesondere dann nicht vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wieder aufnimmt. Für die Gewerbesteuer gilt dies gemäß § 10a Satz 4 GewStG 1991 (inzwischen § 10a Satz 6 GewStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom , BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) entsprechend.
2. Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. liegen im Streitfall nicht vor.
a) § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F. definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft („insbesondere"; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom I R 58/01, BFHE 197, 248, BStBl II 2002, 395; vom I R 78/01, BFH/NV 2003, 348, m.w.N.), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. als Regelbeispiel bzw. als Hauptanwendungsfall (so , BStBl I 1999, 455 Tz. 01) setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter ihren Satz 1 zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind (vgl. etwa , BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829; vom I R 29/00, BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392; Senatsbeschluss in BFH/NV 2003, 348; und I R 81/02, BFHE 203, 135 und 424, BStBl II 2004, 616 und 614; vom I R 9/06, BFHE 218, 207; Gosch, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2003, 1917, 1918; Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz 918; Roser in Gosch, KStG, § 8 Rz 1410; Schloßmacher in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz 441; kritisch Orth, Finanz-Rundschau —FR— 2004, 613, 620; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 4 KStG nF Rz 36 f. und derselbe in Gocke/Gosch/Lang, Festschrift Wassermeyer, 2005, S. 113, 130 f.).
b) Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn —erstens— bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, —zweitens— überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und —drittens— der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Nach den zwischen den Beteiligten nicht streitigen und im Revisionsverfahren bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG ist der Klägerin im Zusammenhang mit der die Hälfte des gezeichneten Kapitals übersteigenden Übertragung von Geschäftsanteilen im Streitjahr kein neues Betriebsvermögen zugeführt worden. Die Voraussetzungen des Regelbeispiels fehlender wirtschaftlicher Identität in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. sind damit nicht erfüllt.
c) Das FA nimmt an, dass die Generalklausel in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F. anzuwenden ist. Die Änderung des Unternehmenszwecks von einer aktiv tätigen zu einer vermögensverwaltenden Gesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (Branchenwechsel) führe unabhängig von der Zuführung neuen Betriebsvermögens zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität. Dem ist nicht beizupflichten.
aa) Ziel des § 8 Abs. 4 KStG 1996 n.F. ist es in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den „Handel” mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (z.B. Senatsurteile in BFHE 203, 135 und 424, BStBl II 2004, 616 und 614; vom I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; s. auch Orth, FR 2004, 613, 619 f.). Zu diesem Zweck verlangt das Gesetz die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Voraussetzung für den Verlustabzug gemäß § 10d EStG 1997. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen (Senatsurteile in BFHE 203, 135 und 424, BStBl II 2004, 616 und 614; Gosch, DStR 2003, 1917, 1918).
bb) Zur Auslegung des Begriffs des neuen Betriebsvermögens in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. hat der Senat in seinem Urteil vom I R 106/05 (BFHE 218, 195) entschieden, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht darauf abzielt, einer Verlagerung zusätzlichen Ertrags- und damit Verlustverrechnungspotentials in die Gesellschaft zu begegnen. Vielmehr sind jegliche Änderungen der Struktur, Zusammensetzung und wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebsvermögens zu erfassen (vgl. bereits Senatsurteil in BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392). Denn diese Änderungen lassen typischerweise darauf schließen, dass bei der Anteilsübertragung letztlich nicht der Geschäftsbetrieb in seiner bisherigen Form erworben werden sollte. Entscheidend ist damit die Nämlichkeit des Betriebsvermögens. Das rechtfertigt es, auf die einzelnen im Betrieb verwendeten Vermögensgegenstände abzustellen und den Begriff des Betriebsvermögens in entsprechender Weise normspezifisch zu verengen.
cc) Die Forderung nach wirtschaftlicher Identität der Kapitalgesellschaft ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Dies könnte dafür sprechen, den auch im Streitfall erkennbaren Wechsel des Unternehmensgegenstandes unter Verminderung des verfügbaren Betriebsvermögens als tatbestandsrelevant anzusehen. Im Ergebnis hält der Senat eine solche Betrachtung aber nicht für sachgerecht.
aaa) Das Merkmal der wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1996 n.F. ist —wie zu II.2.a festgehalten— mit bestimmten tatbestandlichen Vorgaben verknüpft, die aus dem Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. abzuleiten sind. Zu diesen tatbestandlichen Vorgaben gehört es, dass die Veränderung der wirtschaftlichen Identität als Folge der Nutzung neuen bzw. bisher bei der Kapitalgesellschaft nicht vorhandenen Betriebsvermögens eintritt. Insoweit wird auch in der Literatur hervorgehoben, dass § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG n.F. ermöglichen könnte, solche Fälle zu erfassen, in denen eine mit der Zuführung neuen Betriebsvermögens vergleichbare Situation vorliege (z.B. Brendt in Erle/Sauter, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 587, 616; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz 189f; Janssen in Mössner/Seeger, KStG, § 8 Rz 1244; Rengers in Blümich, a.a.O., § 8 KStG Rz 951; Schloßmacher in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 KStG Rz 426, 428; Schwedhelm in Streck, KStG, 6. Aufl., § 8 Rz 152; s. auch Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 8 Abs. 4 KStG Rz 140).
bbb) Damit wirtschaftlich nicht vergleichbar ist die Situation, dass die Kapitalgesellschaft ihre wirtschaftliche Identität durch eine Veräußerung wesentlicher Bestandteile ihres Betriebsvermögens verliert und eine andersgeartete (hier: vermögensverwaltende) Tätigkeit mit einem Restbestand des eigenen Betriebsvermögens aufnimmt. Die Ausdehnung auf diese Situation verließe den Bereich des durch § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 n.F. gesetzten Vergleichsrahmens und führte zu einer Ausdehnung der Verlustabzugsbeschränkung auf jede Form eines Branchenwechsels (gegen eine Einschränkung des Verlustabzugs in vergleichbaren Fällen auch Bock, GmbH-Rundschau 2004, 1474, 1476; Tiedchen, FR 2008, 201, 202 ff.; wohl auch Schloßmacher in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 KStG Rz 426 a.E.; B. Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz 1294; Simon in Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, 2003, § 13 Rz 16; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 8 Abs. 4 KStG nF Rz 39 a.E.). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die neu aufgenommene (hier: vermögensverwaltende) Tätigkeit einen engen Bezug zur früheren (verlustverursachenden) Tätigkeit aufweist, was gerade bei einer Betriebsaufspaltung der Fall ist.
Soweit dem Senatsurteil vom I R 112/03 (BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085, zu II.2.b bb) möglicherweise etwas anderes entnommen werden könnte, hält der Senat daran nicht fest.
3. Der Tenor der angefochtenen Entscheidung des FG war wegen eines offenbaren Schreibfehlers gemäß § 107 Abs. 1 FGO dahin gehend zu berichtigen, dass die Bescheide „... vom ...” aufgehoben werden (zur Korrekturmöglichkeit im Revisionsverfahren siehe z.B. , BFHE 191, 84, BStBl II 2000, 278).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 2129 Nr. 12
BFH/PR 2008 S. 512 Nr. 12
DB 2008 S. 2402 Nr. 44
DStR 2008 S. 2107 Nr. 44
DStRE 2008 S. 1424 Nr. 22
DStZ 2008 S. 778 Nr. 22
EStB 2008 S. 434 Nr. 12
FR 2009 S. 225 Nr. 5
GStB 2008 S. 46 Nr. 12
GmbH-StB 2008 S. 351 Nr. 12
GmbHR 2008 S. 1273 Nr. 23
KÖSDI 2008 S. 16241 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 3991
SJ 2008 S. 6 Nr. 25
StB 2008 S. 432 Nr. 12
StBW 2008 S. 6 Nr. 22
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2008 S. 852
AAAAC-93285