BSG Beschluss v. - B 7 AS 21/22 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Recht auf den gesetzlichen Richter - Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit nach Beendigung der Instanz

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 60 Abs 1 S 1 SGG, § 42 ZPO, § 43 ZPO, §§ 43ff ZPO, § 48 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Instanzenzug: Az: S 65 AS 14295/17 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 18 AS 672/18 Urteil

Gründe

1Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger behauptet zwar ua, das Urteil des LSG verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG), weil der zuständige Richter - wie erst aus den Entscheidungsgründen des Urteils erkennbar gewesen sei - befangen gewesen sei und es unterlassen habe, seine Befangenheit anzuzeigen. Der behauptete Verfahrensmangel liegt aber nicht vor.

2Nach der gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG entsprechend geltenden Regelung der ZPO über die Ablehnung von Gerichtspersonen kann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Grundsatz nur in der Weise geltend gemacht werden, dass ein Ablehnungsgesuch gemäß § 44 ZPO bei dem Gericht, dem der betreffende Richter angehört, angebracht wird. Aus Sinn und Zweck der §§ 43 bis 45 ZPO ergibt sich zudem, dass ein Ablehnungsgesuch nur bis zum Erlass der Endentscheidung des Gerichts zulässigerweise angebracht werden kann, dem der abgelehnte Richter angehört. Denn Art 101 Abs 1 Satz 2 GG gewährleistet nicht nur eine Entscheidung durch den zuständigen Richter, sondern auch, dass dem Richter nicht die notwendige Neutralität fehlt (). Dieser Zweck ist nach Beendigung der Instanz nicht mehr erreichbar. Ein Ablehnungsgesuch kann dann folglich nicht mehr zulässig gestellt werden (vgl nur - RdNr 9 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn der Betreffende den Ablehnungsgrund erst nach Erlass der Endentscheidung des Gerichts, dem der abgelehnte Richter angehört, erfahren hat (vgl ; ).

3Einen Ablehnungsantrag vor Beendigung der Instanz gestellt zu haben, behauptet der Kläger nicht; der Verlust des Rechts zur Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit kann auch nicht durch die vom Kläger vorgebrachte Rüge umgangen werden, der Richter hätte sich gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 48 ZPO selbst ablehnen müssen ( VI CB 43.74 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr 17). Die Bestimmungen über den Verlust des Ablehnungsrechts nach beendeter Instanz liefen leer, wenn statt dessen die versäumte Selbstablehnung gerügt werden bzw unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters für das Beschwerdeverfahren mittelbar Erheblichkeit erlangen könnte ( - BSGE 68, 132 = SozR 3-2400; - juris RdNr 35).

4Ausnahmsweise kann aber auch nach Beendigung der Instanz ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise angebracht werden, wenn sich erst aus den Entscheidungsgründen Hinweise auf die Befangenheit eines an der Entscheidung mitwirkenden Richters ergeben. Voraussetzung für die erfolgreiche Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ist in diesem Fall, dass der Richter der Vorinstanz tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erscheint; dann läge zugleich ein Verstoß unmittelbar gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG vor ( 6 B 53.16 - unter Verweis auf 6 C 19.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 412 RdNr 18 und vom - 6 C 9.95 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 382 S 186; - BFH/NV 2008, 1510 <1511>; - NJW-RR 2007, 1653; - HVBG-INFO 2000, 1978). Hierfür ist im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts ersichtlich.

5Der Kläger trägt insoweit vor, der Richter habe ihm auf Seite 6 der Entscheidung "Standesdünkel" unterstellt, was ein Zeichen für Ablehnung und Voreingenommenheit sei. Die Verwendung des Begriffs "Standesdünkel" in der Entscheidung des LSG greift der Kläger zwar zurecht kritisch auf. Die Ausführungen des LSG müssen aber im inhaltlichen Kontext der Entscheidung wie auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Verfahrens im Übrigen gewürdigt werden und tragen im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht den Schluss, der Richter sei befangen.

6Der Kläger beruft sich zur Zulässigkeit der von ihm verfolgten Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG) ua darauf, ihm stehe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes wegen eines Rehabilitierungsinteresses zu (zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage vgl nur - BSGE 121, 32 = SozR 4-3250 § 17 Nr 4, RdNr 29 mwN). Zur Begründung hat er schriftsätzlich vorgetragen, er sehe die "Rechtsanwendung des SGB II durch den Beschwerdegegner in vielen Fällen als problematisch - und rechtwidrig" an. "Wer meint, einen während eines Aufbaustudiums in London in finanzielle Nöte geratenen Juristen und Biologen durchweg wie einen arbeitslosen Taxifahrer mit Migrationshintergrund behandeln zu müssen, verstößt nicht nur gegen die Grundsätze des SGB II, sondern auch gegen Verfassungsrecht. Insbesondere der Gleichheitssatz sieht vor, dass nicht nur wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist, sondern eben auch wesentlich Ungleiches ungleich. Und genau darum geht es im Kern: die Verweigerung der Betrachtung meiner Person als Individuum".

7Diesen Vortrag aufgreifend führt das LSG im Rahmen der erforderlichen rechtlichen Würdigung des Vorgetragenen für das behauptete Rehabilitierungsinteresse auf Seite 6 seines Urteils ua aus, es sei nicht ersichtlich, dass von der bloßen Ablehnung einer Darlehenszusage eine den Kläger diskriminierende Wirkung ausgehen könne. Soweit dieser bemängele, er könne als promovierter Jurist und Biologe nicht wie ein "arbeitsloser Taxifahrer mit Migrationshintergrund" behandelt werden, deute dies eher auf das Vorliegen eines gewissen "Standesdünkels" bei dem Kläger hin, als dass sich daraus ein Hinweis auf eine diskriminierende "unwürdige" Behandlung ergeben könne. Unabhängig von der Wortwahl im Einzelnen nimmt das LSG in seinen Ausführungen also lediglich notwendig wertend Bezug auf die Ausführungen des Klägers und prüft diese auf ihre Tragfähigkeit und Schlüssigkeit für das behauptete Rehabilitierungsinteresse. Berücksichtigt man zudem die weiteren Ausführungen im Urteil des LSG, die sich umfassend, in der gebotenen Form und detailliert mit dem vom Kläger als stigmatisierend empfundenen Verhalten des beklagten Jobcenters auseinandersetzen und auch auf den "eindringlichen Vortrag" des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung eingehen (dessen Verlauf offenbar auch für den Kläger keinen Anlass gegeben hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln), ist auch unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrensablaufs vor dem LSG, ua dem höflich-wertschätzenden und ausführlichen richterlichen Hinweisschreiben vom , nichts dafür erkennbar, dass der Richter trotz der Verwendung des Begriffs "Standesdünkel" in der Sache bei seiner Entscheidungsfindung tatsächlich die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen mit der Konsequenz, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erschiene.

8Die weiteren behaupteten Verfahrensmängel hat der Kläger schon nicht ordnungsgemäß dargelegt. Wenn er die Besorgnis der Befangenheit auch damit begründen will, das Urteil sei bereits vor der mündlichen Verhandlung geschrieben worden und bereits deshalb sei sein Vortrag in der Verhandlung nicht mehr berücksichtigt worden, benennt er schon keine Anknüpfungstatsachen, auf die sich diese Behauptung stützen ließe, sondern beschränkt sich auf eine bloße Spekulation. Nichts anderes gilt, soweit der Kläger meint, die Entbindung des Beklagtenvertreters von seiner Pflicht zum Erscheinen zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG sei geeignet, die Befangenheit des Gerichts zu begründen.

9Soweit er vorträgt, das Urteil verletze sein Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), denn wäre sein Vortrag zur Präjudizialität, zum Rehabilitationsinteresse und zur wesentlichen Grundrechtsbeeinträchtigung so berücksichtigt worden wie vorgetragen, hätte das Urteil zu seinen Gunsten ausgehen müssen, ist auch damit ein Verfahrensmangel nicht formgerecht gerügt. Denn nach seinem eigenen Vortrag hat das LSG sein Vorbringen berücksichtigt, wenn auch inhaltlich nicht in der von ihm für geboten erachteten Art und Weise gewürdigt. Allein der Umstand, dass das LSG der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt ist, begründet aber keinen Gehörsverstoß und auch keinen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (vgl - und vom - B 13 R 112/11 B), dass ihm also inhaltlich gefolgt wird.

10Wenn der Kläger zudem meint, das LSG habe die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu Unrecht verneint, liegt hierin ebenfalls keine ordnungsgemäße Rüge eines Gehörsverstoßes. Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl nur - SozR 1500 § 160a Nr 7). Deshalb vermögen die vom Kläger im Beschwerdeverfahren erneut vorgetragenen Beeinträchtigungen wesentlicher Grundrechtspositionen durch das behauptete Verhalten der Beklagtenmitarbeiter in Wiederholung seines Sachvortrags vor dem LSG die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen; der Vortrag ist zudem nicht geeignet, einen der Revisionszulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG ordnungsgemäß zu bezeichnen.

11Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.                S. Knickrehm                Neumann                Siefert

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:130722BB7AS2122B0

Fundstelle(n):
KAAAJ-21605