Rechtsfehler eines Strafurteils: Bewertung des Fehlens eines Strafschärfungsgrundes beim Raub; Schweigen zur Sicherungsverwahrung
Gesetze: § 46 StGB, § 66 StGB, § 66a Abs 2 StGB, § 250 Abs 1 Nr 1 Buchst b StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 267 Abs 6 S 1 StPO
Instanzenzug: Az: 12 KLs 2020 Js 57797/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, ist unbegründet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Strafausspruch und die unterbliebene Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung beschränkt ist, hat hingegen Erfolg; sowohl die verhängte Freiheitsstrafe als auch die fehlende Erörterung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung weisen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
I.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3a) Der Angeklagte ist mehrfach unter anderem wegen schweren Raubes und schwerer räuberischer Erpressung vorbestraft. So wurde er im Jahr 1993 wegen schweren Raubes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Durch Urteil des Landgerichts L. vom wurde er sodann wegen schweren Raubes in drei Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, und wegen schwerer räuberischer Erpressung in sieben Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt; daneben wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegenstand dieser Verurteilung waren Überfälle auf Supermärkte, eine Sparkasse und eine Tankstelle im Tatzeitraum zwischen dem und dem , wobei der Angeklagte stets eine Schreckschusspistole verwendet und insgesamt ca. 126.000 € erbeutet hatte. Zuletzt wurde er durch Urteil des Landgerichts F. vom wegen Anstiftung zur Gefangenenbefreiung und wegen Geiselnahme in zwei tateinheitlichen Fällen (Tatzeit: ) unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts L. vom verhängten Einzelfreiheitsstrafen unter gleichzeitiger Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt; erneut wurde die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegenstand dieser Verurteilung war ein Fluchtversuch aus der Strafhaft anlässlich einer Ausführung zum Arzt unter Einsatz einer Schreckschusspistole und eine anschließende Geiselnahme eines einjährigen Kindes und dessen Mutter. Die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe war am erledigt, diejenige der Sicherungsverwahrung endete am ; letztere wurde anschließend zur Bewährung ausgesetzt. Die eingetretene Führungsaufsicht sowie die angeordnete Sicherungsverwahrung waren - nach Ablauf der Bewährungszeit - am erledigt.
4b) Der maskierte Angeklagte betrat in den Morgenstunden des die Filiale einer Bäckerei, für die er nach seiner Haftentlassung noch bis Ende März 2020 tätig gewesen war. Er richtete einen "echt aussehenden Revolver", bei dem es sich um eine ungeladene Waffe oder eine Scheinwaffe handelte, auf die allein anwesende Verkäuferin und forderte sie auf, das am Vortag eingenommene Bargeld herauszugeben. Dem kam sie nach und übergab ihm 1.168,10 €, mit denen er vom Tatort flüchtete.
52. Das Landgericht hat die Tat als schwere räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB gewertet. Die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 2 StGB hat es nicht erörtert. Im Rahmen der Strafzumessung hat es nach Ablehnung eines minder schweren Falles neben der "schwierigen finanziellen und sozialen Situation" des Angeklagten strafmildernd gewürdigt, dass er eine "ungeladene Waffe" verwendet, keine Gewalt ausgeübt und sich im Rahmen seiner Festnahme "ruhig und kooperativ" verhalten habe.
II.
61. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend dargelegt hat, sind die Verfahrensrügen nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auch die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch oder zum Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
72. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
8a) Die Strafzumessung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9aa) Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (st. Rspr.; etwa , wistra 2021, 441 Rn. 54 mwN; vom - 3 StR 292/18, juris Rn. 7; Beschluss vom - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 mwN).
10bb) Unter Zugrundlegung dieses Maßstabs weist die Strafzumessung einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Denn die Strafkammer hat zu Unrecht die fehlende Verwirklichung des schwereren Qualifikationstatbestandes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB als strafmildernden Umstände erblickt (vgl. auch , juris Rn. 13; vom - 5 StR 536/14, juris Rn. 3). Das Fehlen eines - zumal von einem weitergehenden Qualifikationstatbestand erfassten - Strafschärfungsgrundes stellt keinen Strafmilderungsgrund dar (, juris Rn. 14; vom - 2 StR 641/96 Rn. 5; vom - 3 StR 186/73, juris Rn. 3; zum umgekehrten Fall etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 272/17, juris Rn. 9; vom - 4 StR 288/13, StraFo 2014, 28). Hätte der Angeklagte mit einem geladenen Revolver gedroht, wäre von dem erheblichen Strafrahmen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 statt Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auszugehen gewesen. Vor diesem Hintergrund bedürfen die von der Revision überdies für bedenklich gehaltenen Erwägungen keiner Erörterung (vgl. zur bloßen Umschreibung des konkreten Handlungsunrechts , juris Rn. 14).
11cc) Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Fehler, weil nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf eine höhere Strafe erkannt hätte. Der Strafausspruch unterliegt damit insgesamt der Aufhebung. Da es sich um einen bloßen Wertungsfehler der Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung handelt, können die zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten bleiben.
12b) Auch die Nichtanordnung des Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Dies gilt schon deswegen, weil das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob gegen den Angeklagten die in § 66a Abs. 2 StGB normierte Maßregel angeordnet werden kann.
13aa) Das Schweigen des Urteils zur Sicherungsverwahrung kann - ungeachtet einer verfahrensrechtlichen Erörterungspflicht (§ 267 Abs. 6 Satz 1 StPO) - einen sachlichrechtlichen Mangel darstellen, wenn das Tatgericht die Sicherungsverwahrung nicht prüft, obwohl die formellen Voraussetzungen gegeben sind und die Feststellungen die Annahme nahelegen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (, juris Rn. 7; vom - 3 StR 89/99, NJW 1999, 2606, 2606 f.). Das gilt auch für die Ablehnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 2 StGB (vgl. , NStZ-RR 2021, 240, 241; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 267 Rn. 37; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., § 66a Rn. 72). Bei der Ermessensentscheidung müssen die Urteilsgründe zudem in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das Tatgericht von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (, juris Rn. 7 mwN; Beschluss vom - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438, 439).
14bb) Es stellt zwar keinen Erörterungsmangel dar, dass die Strafkammer eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB nicht geprüft hat; denn diese kommt, wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend näher ausgeführt hat, ersichtlich nicht in Betracht.
15Jedoch hat die Strafkammer trotz der verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und der Verurteilung zu einer einschlägigen Katalogtat gemäß § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht geprüft, ob gemäß § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorliegen. Die Urteilsgründe befassen sich weder mit dem Merkmal des Hangs zu erheblichen Straftaten noch mit der Frage, ob der Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist, obwohl dies die Feststellungen - angesichts der bereits in der Vergangenheit vollstreckten Sicherungsverwahrung und der erneut einschlägigen Erpressungstat nur zwei Monate nach Ablauf der Führungsaufsicht - nahelegen.
16Das Absehen von der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung unterliegt somit der Aufhebung. Die zugehörigen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:020622U3STR472.21.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-21319