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Online-Nachricht - Donnerstag, 07.07.2022

Erbschaftsteuer | Beendigung der Selbstnutzung eines Familienheims (BFH)

Der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims ist aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung für ein Familienheim mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (sog. Nachversteuerungstatbestand).

Sachverhalt: Die Klägerin erbte im Jahr 2009 von ihrem Vater eine im Jahr 1951 bebaute Immobilie, in welcher der Vater bis zu seinem Tod gewohnt hatte. Sie bewohnte fortan das Obergeschoss des Hauses. Im August 2016 zog die Klägerin aus dem Haus aus und ließ es abreißen. Das beklagte Finanzamt erließ daraufhin einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in dem es die ursprüngliche Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG rückgängig machte. Es vertrat die Ansicht, dass der Klägerin die Gewährung der Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit zu versagen sei. Die Klägerin wandte dagegen ein, dass sie das Haus aufgrund vieler - insbesondere altersbedingter - Mängel nicht mehr bewohnbar und eine Sanierung nicht wirtschaftlich gewesen sei. Außerdem sei sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen, die Treppen in das Obergeschoss zu steigen. Mit ihrer Klage hatte sie in erster Instanz keinen Erfolg (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.12.2020).

Die Richter des BFH wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück:

  • Die Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ist eng auszulegen.

  • Der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims ist aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist.

  • Es reicht nicht aus, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen an der Selbstnutzung gehindert fühlt.

  • Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unzumutbar machen.

  • Das FG hat entsprechende Feststellungen im zweiten Rechtsgang zu treffen.

Anmerkung von Prof. Dr. Matthias Loose, Richter im II. Senat des BFH:

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG bleibt der Erwerb von Todes wegen, also insbesondere Erbanfall oder Vermächtniserwerb, eines sog. „Familienheims“ durch Kinder oder Enkel des Erblassers steuerfrei, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 m² nicht übersteigt. Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen (!) an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (sog. Nachversteuerungstatbestand). Tritt der Nachversteuerungstatbestand ein, ist der Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend zu ändern und die gewährte Steuerbefreiung wieder zu versagen.

Der BFH hat nun erstmals ausgeführt, dass sich das Merkmal „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims bezieht. Ob der Erwerber an einem anderen Ort selbständig einen Haushalt führen kann, ist danach unerheblich.

Zwingende Gründe liegen nach Auffassung des BFH vor, wenn dem Erwerber die Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich wird oder ihm die Selbstnutzung aus objektiven Gründen nicht (mehr) zuzumuten ist. Subjektive Vorstellungen oder Befindlichkeiten des Erwerbers spielen keine Rolle. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat das FG im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen zu beurteilen. Die Feststellungslast für die Umstände, die eine Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder aus objektiven Gründen unzumutbar erscheinen lassen, trägt der Erwerber.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Nachricht aufgrund einer Berichtigungsanzeige des am korrigiert und im vierten Spiegelstrich das Wort "unmöglich" gegen das Wort "unzumutbar" ersetzt. (il)

Fundstelle(n):
ZAAAJ-16987