Strafverfahren wegen Steuerhinterziehungen im sog. Cum-Ex-Skandal: Erlöschen der Steuerschuld trotz Rechtsmittel gegen den Steuerbescheid und/oder Vorbehaltszahlung; Einziehung von Taterträgen trotz Rückzahlung zu Unrecht erstatteter Steuern
Gesetze: § 73 Abs 1 Alt 2 StGB, § 73c S 1 StGB, § 47 AO, § 71 AO
Instanzenzug: Az: 62 KLs 1/20nachgehend Az: 1 StR 466/21 Beschlussnachgehend Az: 2 BvR 1122/22 Nichtannahmebeschluss
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. a) Zwar ist das Landgericht bei seiner Einziehungsentscheidung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die „unter Vorbehalt der Rückforderung“ (UA S. 379) geleisteten Steuernachzahlungen der W. Bank bzw. Gruppe nicht zum Erlöschen der Steuerschuld nach § 47 AO geführt haben, weil die zugrunde liegenden Änderungsbescheide von Seiten der W. Bank bzw. Gruppe angefochten worden seien; deswegen sei der dem „durch die Tat“ verletzten Steuerfiskus nach § 71 AO gegen den Angeklagten zustehende Anspruch nicht erloschen und die Einziehung nicht nach § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB ausgeschlossen (UA S. 392).
b) Insbesondere § 361 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach durch Einlegung des Einspruchs die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nicht gehemmt wird, belegt, dass der Steuerpflichtige - entgegen der Auffassung des Landgerichts - auf eine Steuerschuld auch dann wirksam zahlen kann, wenn er den zugrunde liegenden Verwaltungsakt angefochten hat; auch die Zahlung unter Vorbehalt hat zur Folge, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 47 AO erloschen ist (vgl. etwa Rn. 7).
c) Das Urteil beruht aber nicht auf diesem Rechtsfehler, weil die Vorschrift des § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB aus einem anderen Grund nicht anzuwenden ist. Das Landgericht hat den Wert des vom Angeklagten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln erlangten Etwas zutreffend nach § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB („für die Tat“) eingezogen. Diese Einziehungsentscheidung bleibt durch die Steuernachzahlungen unberührt. Denn § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB betrifft allein das Rückabwicklungsverhältnis des Fiskus zur W. Bank bzw. Gruppe („soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat“). Gegen den Angeklagten hatte der Fiskus zu keinem Zeitpunkt einen „quasi-bereicherungsrechtlichen“ Anspruch (vgl. BT-Drucks. 18/11640, S. 86) auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten in Bezug auf den von der W. Bank bzw. Gruppe geleisteten Tatlohn in Höhe von 100.000 Euro (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 50 f.). Die Zahlungen der W. Bank bzw. Gruppe erfüllen den Steueranspruch gemäß § 47 AO; sie bringen aber nicht den auf die Abschöpfung des vom Angeklagten erlangten Tatlohns gerichteten Einziehungsanspruch des Staates aus § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB zum Erlöschen. Dieser steht als strafrechtlicher Anspruch des Staates neben dem Anspruch auf Rückzahlung der erschlichenen Steuergelder und ist überdies genauso wenig ein Anspruch im Sinne des § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB, der allein dem Fiskus aus der Tat erwachsen ist, wie der Haftungsanspruch aus § 71 AO (vgl. dazu Rn. 31).
2. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten auch ausdrücklich eingestellt, dass das Erfolgsunrecht der Steuerhinterziehungen durch die Steuernachzahlungen ausgeglichen ist (UA S. 379); auch insoweit kann der Senat ausschließen, dass sich der Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
Raum
Fischer
Bär
Hohoff
Leplow
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:060422B1STR466.21.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 288 Nr. 9
BB 2022 S. 1301 Nr. 23
BFH/NV 2022 S. 895 Nr. 8
DStR-Aktuell 2022 S. 10 Nr. 22
wistra 2022 S. 291 Nr. 7
GAAAJ-16856