BGH Beschluss v. - 1 StR 211/23

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung: Mitteilungspflicht über Rechtsgespräch zur Verfahrenserledigung

Gesetze: § 257c StPO

Instanzenzug: LG Aachen Az: 86 KLs 2/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.483.242,39 Euro angeordnet. Die auf eine Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensbeanstandung Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

3Nachdem eine erste Hauptverhandlung wegen der Erkrankung einer Schöffin ausgesetzt worden war, teilte der Vorsitzende zu Beginn der neuen Hauptverhandlung im Termin vom den wesentlichen Inhalt eines bereits am vor der Strafkammer mit den Verteidigern aller Angeklagten, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und des Vertreters des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung geführten Verständigungsgesprächs anhand des dazu gefertigten Gesprächsprotokolls mit. Er erörterte desweiteren, dass in der ersten Hauptverhandlung am der Sach- und Streitstand auf Initiative des Vorsitzenden erneut eingehend besprochen und eine Verständigung auf der Basis einer bewährungsfähigen Gesamtfreiheitsstrafe betreffend den Angeklagten angesprochen, eine solche jedoch nicht erzielt worden sei. Darüber hinaus informierte der Vorsitzende über einen weiteren Erörterungstermin vom , in dem er auf die engen Voraussetzungen einer bewährungsfähigen Freiheitsstrafe bei einem Steuerschaden im Millionenbereich hingewiesen, diese Voraussetzungen jedoch hier als möglich erachtet habe, sollte der Angeklagte ein Geständnis ablegen und dieses durch die Rücknahme der Klage im finanzgerichtlichen Verfahren oder Abschluss des dort vorgeschlagenen Vergleichs bekräftigen. Dieser Vorschlag habe von keiner Seite Zustimmung gefunden. Sodann gab der Verteidiger für den Angeklagten im Termin vom eine Einlassung zur Sache ab, die sich dieser vollumfänglich zu eigen machte.

4Nach dem 21. Verhandlungstag () kam es mit Blick auf den Gesundheitszustand des Angeklagten erneut zu einem Verständigungsgespräch, dessen Verlauf und Inhalt im damals noch vorläufigen Hauptverhandlungsprotokoll vom niedergelegt wurden. Danach regte der Verteidiger eine Verständigung auf der Basis an, dass der Angeklagte einen Teil der Tatvorwürfe einräumt und bezüglich des Rests seitens der Staatsanwaltschaft ein Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO gestellt wird. Dem durch die Verteidigung dabei angestrebten Gesamtstrafenkorridor in einem bewährungsfähigen Bereich konnte die Staatsanwaltschaft nicht nähertreten. Auch über ein Teilgeständnis und eine Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ohne Verständigung wurde gesprochen.

5Am nächsten Hauptverhandlungstag () informierte der Vorsitzende über vorgenanntes außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräch durch Verlesung des diesbezüglichen Auszugs aus dem damals noch vorläufigen Hauptverhandlungsprotokoll. Der Vorsitzende teilte desweiteren mit, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft habe ihn mit einer E-Mail darüber informiert, dass sie den angesprochenen Antrag nach § 154 Abs. 2 StPO nicht stellen werde; hierüber habe er den Verteidiger am telefonisch in Kenntnis gesetzt. Er fragte ferner mit Rücksicht auf eine im Termin vom gesetzte Frist an, ob weitere Beweisanträge gestellt würden oder eine Einlassung des Angeklagten beabsichtigt sei. Der Verteidiger gab hierzu eine Stellungnahme ab.

6Im darauffolgenden Hauptverhandlungstermin () beantragte der Verteidiger, das Verfahren insgesamt bzw. hilfsweise nach § 206a StPO einzustellen, sofern die Anklagevorwürfe betroffen sind, die vor dem Jahr 2020 liegen, hilfsweise, festzustellen, dass wegen überlanger Verfahrensdauer die Strafkammer zwei Drittel einer etwaigen zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt ansehe. Nach Stellungnahme aller Verfahrensbeteiligten teilte der Vorsitzende hierzu mit, dass über sämtliche Fragen, sofern es darauf ankomme, im Urteil entschieden werde. Der Verteidiger gab sodann für den Angeklagten eine Einlassung zur Sache ab, deren Richtigkeit dieser bestätigte. Dabei räumte der Angeklagte den modus operandi und einen überwiegenden Teil der Tatvorwürfe ein. Nach Schluss der Beweisaufnahme teilte der Vorsitzende mit, dass keine verfahrensverkürzenden Absprachen getroffen worden seien.

7Nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme am nächsten Hauptverhandlungstag () verlas der Verteidiger eine schriftlich vorformulierte Einlassung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten. Der Angeklagte schloss sich dieser an und äußerte sich ergänzend selbst.

8Nach abermaligem Schluss der Beweisaufnahme stellte der Vorsitzende erneut fest, dass "keine auf Verfahrensabsprache zielenden Gespräche im Sinne des § 257c StPO stattgefunden haben". Der Verteidiger wiederholte seine vorstehend näher dargelegten Anträge auf Einstellung des Verfahrens bzw. Anrechnung.

92. Die Revision rügt, das Landgericht habe gegen seine sich aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ergebenden Mitteilungspflichten verstoßen; auf der unzureichenden Transparenz eines am außerhalb der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten geführten Gesprächs beruhe das Urteil, obschon dieser von seinem Verteidiger darüber unterrichtet worden sei.

10Jedenfalls in einem Telefonat vom zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden sei das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Kontext zu einer möglichen Strafe und deren Bemessung erörtert worden. Die Revision stützt sich insoweit, da ein Aktenvermerk zu dem Telefonat nicht gefertigt wurde, auf eine E-Mail des Instanzverteidigers vom , mit der er seinen Mandanten über das Gespräch informierte. Danach habe der Instanzverteidiger den Vorsitzenden angerufen und mitgeteilt, dass über eine teilgeständige Einlassung nachgedacht werde. Es sei angefragt worden, welchen Umfang ein Geständnis aus der Sicht des Vorsitzenden haben müsse, um eine bewährungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe verhängen zu können. Hierzu habe der Vorsitzende geäußert, dass das Teilgeständnis zwei Drittel des vorgeworfenen Steuerschadens abdecken solle. Seine Kollegen und er machten sich intensiv Gedanken darüber, wie eine etwaige Bewährungsstrafe revisionssicher für den Bundesgerichtshof begründet werden könne. Wichtige Argumente seien die lange Verfahrensdauer und der Gesundheitszustand des Angeklagten. Der Verteidiger habe mitgeteilt, neben einer Bewährungsstrafe könne auch eine Geldstrafe akzeptiert werden.

113. In seinen dienstlichen Stellungnahmen vom und bestätigte der Vorsitzende, am ein Telefonat mit dem Instanzverteidiger geführt zu haben. Dieser habe ihn mit dem "großen Anliegen" kontaktiert, um zu eruieren, unter welchen Voraussetzungen für seinen Mandanten im Falle eines Schuldspruchs eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe möglich sei. Er habe die fernmündliche Unterredung aufgrund eines langjährigen Vertrauensverhältnisses mit dem Instanzverteidiger nicht sofort beendet und in einem "vertraulichen Hintergrundgespräch" erörtert, dass die Strafkammer zu der Frage des Schuldspruchs und der zu verhängenden Strafe noch keine Entscheidung getroffen habe. Es sei über einzelne potentielle Strafzumessungsgründe – darunter auch ein etwaiges Geständnis – gesprochen worden, die allesamt bereits in der Hauptverhandlung bzw. den mitgeteilten Verständigungsgesprächen erörtert worden seien. Aus seiner Sicht habe das Gespräch keinen Verständigungsbezug gehabt, weshalb er keine Veranlassung gesehen habe, hierüber nach § 243 Abs. 4 StPO zu informieren. Denn eine Verständigung sei spätestens nach dem 22. Hauptverhandlungstag () endgültig gescheitert gewesen, was für den Instanzverteidiger und ihn klar gewesen sei. Über das Thema „Absprachen und Verständigung“ sei auch nicht gesprochen worden. Ob die Möglichkeit eines Teilgeständnisses erörtert worden sei, könne er nicht mehr verlässlich erinnern.

124. Die – zulässige – Verfahrensrüge ist begründet. Das Landgericht hat seine Informationspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO dadurch verletzt, dass es in der Hauptverhandlung über das Telefonat vom nicht informiert hat. Unter den konkret gegebenen Umständen kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Rechtsverstoß beruht.

13a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 2, 1 StPO ist über Erörterungen zu berichten, die außerhalb einer laufenden Hauptverhandlung geführt worden sind und deren Gegenstand die "Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist". Der Umstand und der Inhalt des Verständigungsgesprächs sind damit auch dann mitzuteilen, wenn die Bemühungen erfolglos geblieben sind (st. Rspr.; Rn. 45; Beschlüsse vom – 2 StR 262/20 Rn. 6 und vom – 1 StR 92/21 Rn. 10; jeweils mwN). Von einem solchen Bemühen um Verständigung ist auszugehen, sobald bei den Gesprächen ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens in Verbindung zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 2/19 Rn. 10; vom – 3 StR 216/16, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 10 Rn. 12 und vom – 1 StR 92/21 Rn. 10; jeweils mwN).

14Ein bloßes Rechtsgespräch über die (vorläufige) Einschätzung der Sach-, Beweis- und Rechtslage (vgl. § 257b StPO) oder ein allgemeiner Hinweis etwa auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses zielt solange nicht auf eine einvernehmliche und damit mitteilungspflichtige Verfahrenserledigung ab, wie das Gericht nicht eine "Gegenleistung" für eine vom Angeklagten angebotene "Leistung" in Aussicht stellt (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 2/19 Rn. 11 f., 14 und vom – 5 StR 9/15 Rn. 15 f.). Es genügt indes, wenn die Erörterungen von den Verfahrensbeteiligten als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können; im Zweifel wird über das Gespräch zu berichten sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 343/18 Rn. 12; vom – 1 StR 564/17 Rn. 7 und vom – 1 StR 92/21 Rn. 11; jeweils mwN).

15b) An diesen Grundsätzen gemessen haben der Vorsitzende und der Instanzverteidiger am ein erneut mitteilungspflichtiges Verständigungsgespräch geführt, mag dieses angesichts des Scheiterns der bisherigen Bemühungen auch ersichtlich aussichtslos gewesen sein. Denn in dem durch den Vorsitzenden selbst als "vertrauliches Hintergrundgespräch" bezeichneten Telefonat wurde jedenfalls auch darüber gesprochen, dass ein (Teil-)Geständnis dazu beitragen könne, eine bewährungsfähige Strafe zu verhängen. Damit wurde ein Konnex zwischen einem Prozessverhalten des Angeklagten und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Äußerungen des Vorsitzenden konnten schon deshalb nicht als bloßer allgemeiner Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses verstanden werden, weil es das offen ausgesprochene Anliegen des Verteidigers war, die Strafkammer trotz der bislang gescheiterten Verständigungsbemühungen dazu zu bewegen, im Falle einer Verurteilung eine bewährungsfähige Strafe zu verhängen. Sinn des in § 243 Abs. 4 Satz 2, 1 StPO normierten Transparenzgebots ist es gerade, informellen "vertraulichen Hintergrundgesprächen" über ein mögliches an ein bestimmtes Prozessverhalten des Angeklagten geknüpftes Verfahrensergebnis einen "Riegel" vorzuschieben (vgl. Rn. 20 mwN). Dies gilt auch für die Konstellation, in der der Verteidiger den Angeklagten über den Inhalt eines geführten Verständigungsgespräches informiert hat (, BGHSt 60, 150, 155).

16c) Es ist nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf der unterlassenen Mitteilung beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), auch wenn der Schuldspruch für sich genommen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung gründet. Der Verstoß ist nicht etwa als gering zu werten. Denn die Mitteilung ist gänzlich unterblieben (vgl. Rn. 16).

175. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

18Sollte das neue Tatgericht zu dem Ergebnis kommen, die Einziehung des Wertes von Taterträgen sei anzuordnen, wird es zu berücksichtigen haben, dass die auf eine Steuerschuld erbrachten Zahlungen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – ungeachtet der Bestandskraft der zugrunde liegenden Verwaltungsakte – zum Erlöschen bringen können (§ 47 AO, § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. unter 1.b)).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:290823B1STR211.23.0

Fundstelle(n):
wistra 2024 S. 3 Nr. 1
FAAAJ-51831