BGH Urteil v. - 1 StR 425/21

Strafzumessung: Berücksichtigung eines Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung in anderer Sache

Gesetze: § 46 Abs 1 S 2 StGB, § 56f Abs 2 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO

Instanzenzug: LG Konstanz Az: 4 KLs 63 Js 4374/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

31. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch, zu der Einziehungsentscheidung und, soweit das Landgericht von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

42. Demgegenüber hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand.

5a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 17, BGHSt 34, 345, 349).

6Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist dagegen weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 19 und vom – 3 StR 132/12 Rn. 3). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch dann vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. Rn. 5; Urteile vom – 4 StR 552/19 Rn. 10 und vom – 3 StR 31/19 Rn. 15).

7b) Diesen Anforderungen wird die Strafzumessungsentscheidung des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht gerecht. Sie erweist sich als lückenhaft.

8aa) Die Strafkammer hat bei der Prüfung eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG, der nach der Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 30a Abs. 3 BtMG im Hinblick auf die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe des von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verdrängten Tatbestandes in Betracht zu ziehen war (vgl. Rn. 5 mwN), und im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne rechtsfehlerfrei zum Nachteil des Angeklagten die „einschlägigen, nicht allzu lange zurückliegenden Vorstrafen“ berücksichtigt (UA S. 21). Zudem hat es – ohne Rechtsfehler – die Begehung der neuerlichen Tat während laufender Bewährungszeiten aus den Urteilen des Amtsgerichts Offenburg vom und vom eingestellt.

9bb) Das Landgericht hätte indes mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), angesichts des mit Beschluss vom angeordneten Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung der mit dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auch das den Angeklagten treffende Gesamtstrafübel in den Blick nehmen und erörtern müssen (vgl. zu einem drohenden Bewährungswiderruf BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 372/20 Rn. 3; vom – 2 StR 281/20 Rn. 8; vom – 5 StR 478/14 Rn. 3; vom – 5 StR 243/09 Rn. 8 und vom – 4 StR 650/95 Rn. 12, BGHSt 41, 310, 314; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 740; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 395).

10Offenbleiben kann im vorliegenden Zusammenhang, ob der Senat hinsichtlich der strafmildernden Berücksichtigung eines drohenden Bewährungswiderrufs in anderer Sache der Auffassung des 2. Strafsenats folgen könnte, dass ein drohender Bewährungswiderruf vor dem Hintergrund, dass dieser gemäß § 56f Abs. 2 StGB keine zwingende gesetzliche Folge darstellt, im Rahmen der Strafzumessung von vornherein nur ein geringeres Gewicht hat (vgl. Rn. 25). Denn anders als in dieser Entscheidung ist die Bewährung bereits widerrufen worden.

11Nach den Urteilsfeststellungen wird die Strafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom seit dem in der Justizvollzugsanstalt K.     vollstreckt. Im Zeitpunkt der Urteilsverkündung im vorliegenden Verfahren waren daher von dieser Strafe noch ein Jahr und acht Monate offen, so dass die Gesamtverbüßungsdauer durch den Bewährungswiderruf erheblich verlängert wird (vgl. zu dem Erfordernis eines beträchtlichen Übersteigens der gesamten Länge der zu verbüßenden Haft gegenüber derjenigen der neu verhängten Strafe bei einem drohenden Bewährungswiderruf auch Rn. 26 mwN). Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

123. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das Landgericht kann weitere Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:220322U1STR425.21.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-15428