BGH Beschluss v. - III ZR 242/20

Klageerweiterung im Berufungsverfahren

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 524 Abs 2 S 2 ZPO, § 524 Abs 2 S 3 ZPO

Instanzenzug: Az: III ZR 242/20 Beschlussvorgehend Az: 12 U 174/19 Urteilvorgehend Az: 17 O 76/19

Gründe

I.

1Der Kläger beansprucht - in dritter Instanz nur noch - von der Beklagten zu 2 Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Porsche Macan Diesel V6 EU6 (3,0 l).

2Der Kläger kaufte am bei der früheren Beklagten zu 1 das vorstehend bezeichnete von der Beklagten zu 2 hergestellte Fahrzeug zum Preis von 81.397,14 €. Der Wagen wurde am an ihn ausgeliefert. Den darin eingebauten Motor hatte die Beklagte zu 2 nicht selbst entwickelt, sondern von ihrem Schwesterunternehmen, der Audi AG, dazu gekauft. Die Parteien streiten darüber, ob das Fahrzeug vom sogenannten "Dieselskandal" betroffen ist.

3Das Landgericht hat der Klage, soweit sie auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2 gerichtet war, teilweise stattgegeben und sie im Übrigen - in Bezug auf einen beide damalige Beklagte betreffenden Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie wegen der weiteren gegenüber der Beklagten zu 1 geltend gemachten Ansprüche - abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2 im Umfang ihrer jeweiligen Beschwer Berufung eingelegt. Innerhalb der ihm nach Eingang der Rechtsmittelbegründung des Gegners gesetzten Frist zur schriftlichen Berufungserwiderung hat der Kläger keine Anschlussberufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufungen hat der Berufungssenat unter anderem auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Feststellungsantrags hingewiesen, eine Korrektur aber wegen der mittlerweile verstrichenen Frist zur Anschließung an die Berufung der Beklagten zu 2 für nicht mehr möglich erachtet. Mit auf diesen Hinweis nachgelassenem Schriftsatz vom hat der Kläger hilfsweise einen auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs gerichteten Hilfsantrag angekündigt und - weiter hilfsweise - ergänzend die Feststellung der Schadensersatzpflicht für darüber hinausgehende Schäden begehrt.

4Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen sowie auf die Berufung der Beklagten zu 2 das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es - soweit von Interesse - ausgeführt, der Feststellungsantrag des Klägers gegen die Beklagte zu 2 sei aus verschiedenen Gründen unzulässig. Über seine Hilfsanträge sei nicht zu entscheiden, weil sie nicht innerhalb der Anschlussberufungsfrist eingegangen seien. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO sei nicht geboten.

II.

5Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit das Berufungsgericht über die Hilfsanträge des Klägers nicht entschieden hat. In diesem Umfang ist das angegriffene Urteil gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.

61. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es nach dessen Ankündigung in dem nachgelassenen Schriftsatz vom , zwei weitere auf Leistung und ergänzende Feststellung gerichtete Hilfsanträge stellen zu wollen, die mündliche Verhandlung nicht gemäß § 156 Abs. 2 ZPO wiedereröffnet hat oder gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ins schriftliche Verfahren übergegangen ist und deswegen die Hilfsanträge nicht mehr berücksichtigt hat. Zu Unrecht hat es die Hilfsanträge wegen Versäumung der Frist zur Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Sätze 2 und 3 ZPO) für unzulässig gehalten.

72. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Gehörsverletzung. Denn es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger mit den hilfsweise angekündigten Anträgen zumindest teilweise Erfolg gehabt hätte.

8a) Die Anträge waren nicht aus prozessualen Gründen unbeachtlich. Der Einlegung einer Anschlussberufung bedurfte es für die vom Kläger mit dem Hilfsantrag vorgenommene Klageerweiterung nicht. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Frist zur Einlegung und Begründung der Anschlussberufung bei Eingang des Schriftsatzes vom bereits verstrichen war. Der Kläger hatte vielmehr eine selbständige Berufung eingelegt. Dies ermöglichte es ihm, ohne Anschlussberufung und Einhaltung der für diese geltenden Frist (§ 524 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO) seine ursprünglichen Anträge durch den hilfsweisen Übergang von der (positiven) Feststellungsklage zur Leistungsklage (nebst ergänzender Feststellung) zu erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO; vgl. zB , BKR 2018, 470 Rn. 17).

9Eine solche Klageerweiterung setzt voraus, dass die in erster Instanz teilweise erfolgreiche - aber anderweitig beschwerte - Partei entweder selbst Berufung eingelegt hat und ihren Rechtsmittelangriff noch erweitern oder noch zulässig Anschlussberufung einlegen kann (vgl. aaO).

10Der Kläger hatte in erster Instanz mit seinem gegen die Beklagte zu 2 gerichteten positiven Feststellungsbegehren zwar Erfolg, war aber mit dem weiteren Antrag auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unterlegen und daher insoweit durch das landgerichtliche Urteil auch in Bezug auf die Beklagte zu 2 beschwert. Im Umfang dieser Beschwer hat er zulässig Berufung eingelegt. Der Kläger hat sich daher - was das Berufungsgericht übersehen hat - nicht darauf beschränkt, das erstinstanzliche Urteil gegen den Berufungsangriff der Beklagten zu 2 zu verteidigen, was dann, wenn er die Grenzen des Rechtsstreits neu bestimmen und zum Beispiel die Klage erweitern will, die (rechtzeitige) Einlegung einer Anschlussberufung erfordert (vgl. dazu BGH aaO sowie Urteil vom - VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812 Rn. 27 ff). Er hat vielmehr ein eigenes (selbständiges) Rechtsmittel gegen die Beklagte zu 2 erhoben. Nach allgemeinen Grundsätzen darf der Rechtsmittelführer, wenn er beschwert ist, das danach zulässige Rechtsmittel zur Erweiterung der Klage benutzen. Einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweichung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar nur zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann ( IVb ZR 318/81, BGHZ 85, 140, 143). Für die Klageerweiterung in zweiter Instanz gilt § 520 ZPO nicht, weshalb sie nicht an die Begründungsfrist gebunden ist (vgl. , NJW 1994, 944, 945 und vom - IVb ZR 45/87, NJW-RR 1988, 1465, 1466; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 520 Rn. 40; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 520 Rn. 17).

11b) Dementsprechend hätte der Kläger die Hilfsanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einführen können (vgl. zB , NJW-RR 2009, 853 Rn. 8). Dass er dies nicht getan, sondern sie erst mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom angekündigt hat, ist in der vorliegenden Konstellation unschädlich.

12Das Oberlandesgericht hat erstmals in der mündlichen Verhandlung gemäß § 139 Abs. 3 ZPO darauf hingewiesen, dass es die Feststellungsklage entgegen der Auffassung des Erstgerichts für unzulässig halte. Zu diesem Zeitpunkt wäre es dem Kläger noch möglich gewesen, die Berufung durch den später gestellten Hilfsantrag zu erweitern (vgl. o.). Der Berufungssenat hat jedoch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass eine vor dem Hintergrund seiner Hinweise denkbare Umstellung des Klageantrags von einem Feststellungs- in einen Leistungsantrag wegen der versäumten Frist zur Anschlussberufung nach seiner (vorläufigen) Einschätzung der Rechtslage zwecklos sei. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser - insoweit unzutreffende - Hinweis den Kläger davon abgehalten hat, rechtzeitig zu reagieren und seinen ursprünglichen Antrag (zumindest hilfsweise) noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu erweitern.

13Nach Eingang des dem Kläger zu den erteilten Hinweisen nachgelassenen Schriftsatzes vom hätte das Berufungsgericht seinen Fehler daher ausräumen und ihm Gelegenheit geben müssen, die darin enthaltenen nicht mehr rechtzeitigen (vgl. § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO sowie aaO) Hilfsanträge zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs wirksam zu stellen. Dazu hätte es die Verhandlung wiedereröffnen oder ins schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO übergehen müssen (vgl. , NJW-RR 2020, 574 Rn. 9).

143. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:030222BIIIZR242.20.0

Fundstelle(n):
HAAAI-62307