Verfahrensrecht | Beendigung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH)
Wird die Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingereicht, endet die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich erst dann, wenn die zuständige Behörde die Erklärung erhalten hat. Nur ausnahmsweise kann auch die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt genügen, um die Anlaufhemmung zu beenden (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Die Festsetzungsfrist beginnt im Regelfall gem. § 170 Abs. 1 AO mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt die Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO u.a. in den Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
Sachverhalt: Streitig ist, ob dem Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids für das Jahr 2010 (Streitjahr) am der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen steht.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des M (Insolvenzschuldner). M war Architekt in einer GbR, die er ab 2005 als Einzelunternehmen fortführte. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit wurden (weiterhin) beim FA H gesondert festgestellt. Die Einkommensteuerveranlagung erfolgte beim FA B (Beklagter).
Das FA B schätzte die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des M für 2010 (Streitjahr) auf 0 €. Das FA H schätzte die Einkünfte des M ebenfalls und ging dabei von einem Gewinn von ca. 1,5 Mio. € aus. In 2011 reichte der Kläger die Gewinnermittlung und die Einkommensteuererklärung für M beim FA H ein. Es wurde darauf hingewiesen, dass M verstorben war und die Adresse des Klägers mitgeteilt.
Daraufhin änderte das FA H die gesonderte Feststellung und legte einen Gewinn von ca. 900.000 € zugrunde. Das FA B wertete die entsprechende Mitteilung aus und erließ einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2010. Dieser ging dem Kläger allerdings nicht zu und wurde daher vom FA storniert. In 2016 erließ das FA B dann einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2010.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und machte den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG weitgehend statt (). (siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 9.12.2019)
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:
Im Streitfall richtet sich der Lauf der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, denn der Kläger hatte eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr einzureichen. Der Kläger hat am eine Einkommensteuererklärung eingereicht.
Die vom Kläger eingereichte Einkommensteuererklärung für das Streitjahr war wirksam; sie war formell und materiell ordnungsgemäß (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 150 Abs. 1, 3 AO in der im Streitjahr geltenden Fassung, § 25 Abs. 3 Satz 5 EStG) und damit grundsätzlich geeignet, den Lauf der Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in Gang zu setzen (vgl. und ).
Auch wenn § 25 EStG nicht ausdrücklich bestimmt, dass die Einkommensteuererklärung bei der zuständigen Behörde einzureichen ist, wird die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nur durch die Abgabe der wirksamen Steuerklärung beim zuständigen Finanzamt beendet.
Eine Steuererklärung i. S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist eingereicht, wenn eine wirksame Erklärung an die zuständige Finanzbehörde übermittelt worden ist. Wird die Steuererklärung bei einer unzuständigen Finanzbehörde eingereicht, wird die Anlaufhemmung erst beendet, wenn die zuständige Behörde die Erklärung erhält.
Nur ausnahmsweise kann auch die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt genügen, um die Anlaufhemmung zu beenden. Dies ist der Fall, wenn das unzuständige Finanzamt seine Fürsorgepflicht gem. § 89 AO verletzt, indem es die Erklärung lediglich zu den Akten nimmt, obwohl ihm seine eigene Unzuständigkeit ebenso bekannt ist wie die zuständige Behörde. Verletzt die Behörde ihre Fürsorgepflicht, ist der Steuerpflichtige im Rahmen des rechtlich Zulässigen so zu stellen, als wäre der Verstoß nicht passiert.
Das FG hat zutreffend entschieden, dass es die besonderen Umstände des Streitfalls rechtfertigen, die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei dem für die Einkommensteuerveranlagung unzuständigen Finanzamt H genügen zu lassen, um die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu beenden.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
IAAAI-61981