Untreue und Bankrott: Bemessung des Vermögensnachteils bei Verkauf von Immobilien; vom Tatbestandsmerkmal des Beiseiteschaffens erfasste Vermögensverschiebungen
Gesetze: § 266 StGB, § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 6 KLs 165 Js 111011/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 161 tateinheitlichen Fällen, wegen Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott in drei Fällen und wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott im Fall II. 6. (Tat IV) der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlossen der Angeklagte und der gesondert verfolgte D. jeweils in ihrer Eigenschaft als Vorstände der G. W. eG (im Folgenden: G. eG) am mit der L. GmbH einen Kaufvertrag über 19 Immobilien der G. eG. Ein wirksamer Beschluss der Generalversammlung lag für den Verkauf der Grundstücke nicht vor. Entsprechend dem Satzungszweck waren die Immobilien an Genossenschaftsmitglieder vermietet, die mit der G. eG sog. Optionskaufverträge – mit einem möglichen Erwerb der Immobilie in einem Zeitraum von bis zu 35 Jahren – geschlossen hatten, die zu ihren Gunsten jeweils mit Auflassungsvormerkungen im Grundbuch eingetragen waren. Für die Wertbestimmung des Immobilienpakets nahm das Landgericht – unter Zugrundelegung der Einlassung des Angeklagten – zu dessen Gunsten „die Sicht eines objektiven Investors“ ein (UA S. 187 f.). Ausgehend von den vereinbarten Optionskaufpreisen für die 19 Immobilien in Höhe von 3.687.000 Euro bezifferte das Landgericht, das sich im Wesentlichen den Ausführungen der sachverständigen Zeugin W. anschloss, den „angemessenen Kaufpreis“ des Immobilienpaketes „bei einer Renditeerwartung von 5 %“ auf 3.100.000 Euro (UA S. 189). Da die L. GmbH jedoch lediglich den vertraglich vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 1.765.000 Euro zahlte, entstand der G. eG, die bereits seit dem zahlungsunfähig war, nach der Wertung des Landgerichts ein Nachteil in Höhe von mindestens 1.335.000 Euro, den der Angeklagte billigend in Kauf nahm.
4b) Das Landgericht hat den Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB – ungeachtet der in der Veräußerung der Immobilien zu sehenden Pflichtwidrigkeit gegenüber der Genossenschaft insbesondere vor dem Hintergrund der von ihr verfolgten wirtschaftlichen Ziele – rechtsfehlerhaft nicht nach der Differenz zwischen Verkehrswert und erzieltem Kaufpreis bemessen.
5aa) Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, muss grundsätzlich durch einen aus ex-ante-Sicht vorzunehmenden Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden. Für die Bestimmung des objektiven Wertes einer Immobilie ist die Feststellung ihres Verkehrswertes der zutreffende Ansatz. Dieser bemisst sich nach dem Preis, der im maßgebenden Zeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre (vgl. § 194 BauGB; Rn. 10 mwN).
6bb) Entgegen der Ansicht des Landgerichts entbindet die zugunsten des Angeklagten eingenommene „Sicht eines objektiven Investors“ nicht davon, für die Bestimmung des Nachteils für das Vermögen des Treugebers – der G. eG – den Verkehrswert der Immobilien zu bestimmen. Hinsichtlich der im Ausgangspunkt zugrunde gelegten Optionskaufpreise stellt das Landgericht jedoch lediglich fest, dass die Basis für deren Bestimmung „zum Ankaufzeitpunkt aktuelle Wertgutachten oder bei Neubauten die Kostenkalkulation“ gewesen sei, wobei zusätzlich ein „Puffer von 5 % eingepreist worden sei“ (UA S.186 f.). Es handele sich „folglich um eine durch die Genossenschaft selbst festgelegte Summe, die sich am objektiven Wert orientierte“ (UA S. 187). Aus Sicht der sachverständigen Zeugin entsprächen „die Optionskaufpreise dem objektiven Wert der Immobilien“, lägen „eventuell noch darunter“ (UA S. 188). Diese Betrachtungsweise genügt jedoch keinem der anerkannten Wertermittlungsverfahren zur Bestimmung des Verkehrswertes (vgl. nur Rn. 11 und vom – V ZR 420/99 Rn. 9, 12; EZBK/Dieterich, BauGB, 143. EL August 2021, § 194 Rn. 136 ff.).
7Ob der durch den Verkauf der Immobilien entstandene Vermögensnachteil für die G. eG in Höhe von 1.335.000 Euro – wie vom Landgericht angenommen – ‘als absoluter Mindestschaden‘ (UA S. 197) anzusehen ist, kann vor diesem Hintergrund nicht abschließend beurteilt werden. Insbesondere die auf den Grundstücken lastenden Auflassungsvormerkungen zugunsten der sog. Optionskäufer sowie die den Käufer der Immobilien treffenden, vom Landgericht nicht näher dargestellten Verpflichtungen diesen gegenüber stellen wertmindernde Faktoren dar, die bei der Bewertung des Verkehrswertes zu berücksichtigen sind.
8c) Die Feststellungen des Landgerichts tragen ferner aus dem gleichen Grund nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals des Beiseiteschaffens im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, das nur solche Vermögensverschiebungen erfasst, die den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Wirtschaftens grob widersprechen (vgl. , BGHSt 55, 107 Rn. 29).
92. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 6. (Tat IV) der Urteilsgründe (geahndet mit einer Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe) zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Angesichts der im konkreten Fall schwierigen Beurteilung des Verkehrswertes des Immobilienpakets könnte die Anwendung des § 154 StPO naheliegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:090222B1STR384.21.0
Fundstelle(n):
wistra 2022 S. 296 Nr. 7
wistra 2022 S. 3 Nr. 6
MAAAI-61248