Kirchensteuer | Verfassungsmäßigkeit des besonderen Kirchgelds (FG)
Die Vorschriften über die Erhebung eines besonderen Kirchgelds bei zusammenveranlagten Steuerpflichtigen, von denen nur einer der Kirchensteuer unterliegt, sind auch in den Fällen verfassungsgemäß, in denen der kirchenangehörige Ehegatte über eigenes Einkommen verfügt. Die kirchensteuerlichen Regelungen, nach denen die Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten für die Bemessung des Kirchgelds auch dann am Einkommen beider Ehegatten gemessen wird, wenn dieser über ein eigenes Einkommen verfügt, bewegen sich innerhalb des den Religionsgemeinschaften eröffneten Gestaltungsspielraums (; NZB anhängig, BFH-Az. I B 91/21).
Sachverhalt: Die Klägerin wurde mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 2015 und 2016 veranlagt. Die Klägerin unterlag der evangelischen Kirchensteuerpflicht; ihr Ehemann gehörte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft an. Die Einkommensteuerbescheide enthielten jeweils die Festsetzung eines besonderen Kirchgelds gegen die Klägerin, das von dem zu versteuernden Einkommen der Eheleute unter Berücksichtigung von Freibeträgen für zwei Kinder ermittelt worden war. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch und beantragte die Festsetzung von Kircheneinkommensteuer nach Maßgabe ihres Einkommens gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz - KiStG BW -). Sie verfüge über eigenes Einkommen, das für die Kirchensteuer maßgeblich sei. Die Kirche dürfe nur ihre Mitglieder besteuern. Bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten einer glaubensverschiedenen Ehe müsse die Kirche dieses Einkommen besteuern. Dies ergebe sich aus , BStBl 1966 I S. 196), das für alle Behörden und Gerichte bindend sei. Dementsprechend schreibe § 19 Abs. 4 KiStG BW vor, dass sich die Kirchensteuer nach dem Anteil des Kirchenmitglieds an der gemeinsamen Einkommensteuer bemesse. Diese zwingende Vorschrift gehe der „Kann-Vorschrift“ über das besondere Kirchgeld vor.
Einspruch und Klage blieben erfolglos:
Die Festsetzung des besonderen Kirchgelds ist rechtmäßig. Die Erhebung eines besonderen Kirchgelds ist nicht nur in den Fällen zulässig, in denen der - mit seinem nichtkirchenangehörigen Ehegatten zusammenveranlagte - kirchenangehörige Ehegatte über kein eigenes Einkommen verfügt. Den Religionsgemeinschaften ist es im Rahmen ihres Besteuerungsrechts (Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung) nicht verwehrt, für die Erhebung der Kirchensteuer neben dem Einkommen andere, nach eigenen Kriterien gestaltete Besteuerungsmaßstäbe heranzuziehen. Der ihnen dabei eröffnete Gestaltungsspielraum ist grundsätzlich weit. Dieser Gestaltungsspielraum erlaubt es den Religionsgemeinschaften, die Kirchensteuer entweder als Zuschlag zur Einkommensteuer oder als besonderes Kirchgeld von Kirchensteuerpflichtigen, deren Ehegatte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, als eigenständige Steuer zu erheben.
Der Festsetzung des besonderen Kirchgelds steht das von der Klägerin angeführte nicht entgegen. Das Urteil des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde gegen eine finanzgerichtliche Entscheidung zu einer Regelung in der Hamburgischen Kirchensteuerordnung betroffen, wonach die Kirchensteuer bei getrennt veranlagten Eheleuten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wurde, wenn nur ein Ehegatte der Kirche angehörte (Halbteilungsgrundsatz). Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Nicht entschieden hat das BVerfG hingegen über die Zulässigkeit der Erhebung eines besonderen Kirchgelds. Es hat vielmehr lediglich - ohne dass es darauf für die konkrete Entscheidung ankam - angemerkt, dass es unbillig erscheinen kann, wenn ein einer steuerberechtigten Kirche angehörender Ehegatte, dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch die Ehe erhöht hat, weil sein - der Kirche nicht angehörender - Ehegatte ein hohes Einkommen bezieht, mangels eigenen Einkommens i. S. des EStG kirchensteuerfrei bleibt.
Aus dem ergibt sich nichts anderes. Das Urteil hat die Festsetzung eines besonderen Kirchgelds gegen einen kirchenangehörigen Steuerpflichtigen betroffen, der selbst keine eigenen Einkünfte erzielt hat, während der nichtkirchenangehörige Ehegatte das Familieneinkommen erwirtschaftete. Der BFH hat die Einführung des besonderen Kirchgelds im Urteilsfall für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. Eine Einschränkung, dass dies nur in den Fällen gilt, in denen der kirchenangehörige Ehegatte sonst „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei bliebe“, enthält das BFH-Urteil nicht.
Soweit der die Formulierung enthält, dass sich das besondere Kirchgeld „nur für diese Fallkonstellation“, nämlich die vom BVerfG in seinem Urteil vom benannte, der Höhe nach am „Lebensführungsaufwand“ orientiert, sollte mit dieser Formulierung ebenfalls eine Einschränkung des Inhalts, dass das besondere Kirchgeld nur im Falle eines einkommenslosen Kirchenmitglieds zulässig ist, nicht gemacht werden. Vielmehr betreffen die Ausführungen die dem Kirchensteuerrecht zu Grunde liegende strikte Trennung zwischen der - in dem BFH-Fall allein streitigen - Kircheneinkommensteuer als Annexsteuer und dem besonderen Kirchgeld als eigenständiger Steuer. Damit tritt der BFH lediglich der Auffassung des dortigen Beschwerdeführers entgegen, dass es verfassungsrechtlich geboten ist, den für das besondere Kirchgeld herangezogenen Besteuerungsmaßstab des Lebensführungsaufwandes „korrespondierend“ auch auf die Kircheneinkommensteuer zu übertragen.
Schließlich lässt sich auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom (NJW 2018 S. 3295) nicht ableiten, dass das besondere Kirchgeld nur bei einem einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten erhoben werden darf.
Die Regelungen über das besondere Kirchgeld widersprechen auch nicht dem Grundsatz der Individualbesteuerung, weil es in zulässiger Weise an den Lebensführungsaufwand des kirchenangehörigen Ehegatten und damit an die individuelle Leistungsfähigkeit anknüpft. Soweit angesichts der Schwierigkeiten, den Lebensführungsaufwand als Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bestimmen, das gemeinsame Einkommen der Ehegatten als Hilfsmaßstab herangezogen wird, führt dies nicht zu einer unzulässigen Haushaltsbesteuerung.
Hinweis:
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin hat gegen das Urteil eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die unter dem Az. I B 91/21 beim Bundesfinanzhof anhängig ist.
Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2022 v. (RD)
Fundstelle(n):
SAAAI-59001