Umsatzsteuer | Steuerfreie Leistungen der Verfahrenspfleger (BFH)
Die nach
§§ 276,
317 FamFG
gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und
Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach
Art.
132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen
(; veröffentlicht am
).
Hintergrund: Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (...) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit der Umsätze des Klägers als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen in 2014 und 2015 (Streitjahre).
Der Kläger war in den Streitjahren u.a. als Umgangspfleger, Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen nach § 158 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungssachen (§ 276 FamFG) und in Unterbringungssachen (§ 317 FamFG) tätig.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für 2013 ging das FA von einer Steuerpflicht der Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger aus. Hierauf gab der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung 2014 sowie in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2015 zwar steuerpflichtige Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger an, legte dagegen jedoch Einspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, diese Umsätze seien nach § 4 Nr. 25 UStG in den in den Streitjahren geltenden Fassungen sowie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei.
Das FA half den Einsprüchen nur hinsichtlich der Umsätze als Umgangspfleger ab und wies sie im Übrigen als unbegründet zurück. Mit der dagegen vor dem FG erhobenen Klage berief sich der Kläger weiterhin auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze als Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen.
Das FG wies die Klage ab, weil sämtliche Umsätze des Klägers steuerpflichtig seien ().
Der BFH hat die Revision als begründet angesehen, das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen:
Die Leistungen des Klägers als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind - wovon auch die Beteiligten zu Recht ausgehen - weder nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG noch nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit.
Die Umsätze des Klägers sind aber - entgegen der Auffassung des FG - nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. Der Kläger erbringt begünstigte Leistungen sozialen Charakters und er ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.
Das Urteil des FG widerspricht diesen Grundsätzen und ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, sondern wegen fehlender Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.
Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter im V. Senat des BFH:
Der Besprechungsfall betrifft die Leistungen der nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger und offenbart einmal mehr das Dilemma, dass das nationale Recht in Deutschland im sozialen Bereich einzelne, genau umschriebene Tätigkeiten von der Umsatzsteuer befreit, während das Unionsrecht in Art. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL recht allgemein eine Befreiung für die "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen, einschließlich derjenigen, die durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, vorsieht. Das führt immer wieder zu Verwerfungen.
Die leistungsbezogene Voraussetzung der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistung wird weder in der MwStSystRL noch vom EuGH definiert. Das stellt insofern eine Art Definition zur Verfügung als es unter Heranziehung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung darauf abstellt, ob es sich um Leistungen an körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen handelt. Diese Voraussetzung hat der BFH bei den Leistungen von Verfahrenspflegern zu Recht bejaht.
Auch das zweite – personenbezogene – Merkmal des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ist nicht klar umrissen, weil das Unionsrecht die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als soziale Einrichtung nicht festlegt. Die Rechtsprechung hat aber einen Katalog an Kriterien herausgearbeitet, anhand derer über die Anerkennung als soziale Einrichtung entschieden werden kann. Diese Entscheidung war im Besprechungsfall nicht so schwierig, denn für Verfahrenspfleger bestehen in § 276 FamFG sowie § 317 FamFG spezifische Vorschriften, die deren Tätigkeit regeln. Zudem besteht an der Tätigkeit eines Verfahrenspflegers in Betreuungs- und Unterbringungssachen ein besonderes Gemeinwohlinteresse und andere Steuerpflichtige, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben, verfügen über eine entsprechende Anerkennung. Denn der Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen nach § 158 FamFG, in Abstammungssachen nach § 174 FamFG und in Adoptionssachen nach § 191 FamFG wurde vom Gesetzgeber durch § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG mit Wirkung zum von der Umsatzsteuer befreit und damit zumindest konkludent als soziale Einrichtung i. S. des Unionsrechts anerkannt. Aus der Summe dieser Anhaltspunkte leitet der BFH die Anerkennung auch des Verfahrenspflegers ab.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
ZAAAI-58245