§ 68 FGO Änderung von Verwaltungsakten während des finanzgerichtlichen Verfahrens
1. Zulässigkeit
Das FA behält auch während des gerichtlichen Verfahrens die volle Verfügungsbefugnis über den Verfahrensgegenstand. Es kann deshalb einen angefochtenen Verwaltungsakt sowohl während des Klageverfahrens, als auch während eines Revisionsverfahrens oder eines Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision (§§ 68, 121 Satz 1 FGO) durch einen anderen Verwaltungsakt ändern oder ersetzen. Die Begriffe ”Änderung” oder ”Ersetzung” i. S. des § 68 FGO sind weit auszulegen. Entscheidend ist, dass der angefochtene und geänderte Bescheid ”dieselbe Steuersache” betreffen ( BStBl 1994 II S. 836). Auch ein aufgehobener Verwaltungsakt ist als ein geänderter Bescheid i. S. des § 68 FGO anzusehen.
Die Änderung oder Ersetzung eines angefochtenen Verwaltungsakts während des gerichtlichen Verfahrens kommt z. B. gem. §§ 129, 130, 131 ( BStBl 1984 II S. 791), 164, 165 ( BStBl 1988 II S. 955, BStBl 1992 II S. 219), 172 ff. AO oder nach den Einzelsteuergesetzen (z. B. § 35b GewStG) in Betracht.
1.1 Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen
Die Verpflichtung des FA, den Sachverhalt zu ermitteln, bleibt während des gerichtlichen Verfahrens bestehen (§ 76 Abs. 4 FGO). Ergeben sich während dieses Verfahrens Feststellungen, die eine höhere Steuer rechtfertigen, kann das FA eine entsprechende Änderung des Verwaltungsakts nicht beim FG/BFH beantragen oder anregen; denn das Gericht darf den angefochtenen Bescheid nicht zum Nachteil des Stpfl. ändern (§ 96 Abs. 1 FGO). Um Steuerausfälle zu vermeiden und eine zutreffende Steuerfestsetzung zu erreichen, muss das FA die erforderlichen Änderungen selbst durchführen. Es hat deshalb auch während des Gerichtsverfahrens Änderungen, die zu einer höheren Steuer führen, vorzunehmen und insbesondere alle Mitteilungen über die Änderung von Besteuerungsgrundlagen unverzüglich auszuwerten.
1.2 Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen
Hält das FA die Klage oder Revision ganz oder teilweise für begründet, so kann es den angefochtenen Verwaltungsakt ebenfalls ändern (z. B. nach §§ 172, 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). Dies ist jedoch nur zweckmäßig, wenn dadurch der Rechtsstreit außergerichtlich erledigt werden kann und Kosten vermieden werden können.
2. Abschrift des geänderten Bescheids an das Gericht
Hat das FA den angefochtenen Bescheid nach der Klageerhebung geändert, so muss es dem Gericht eine Abschrift des neuen Bescheids vorlegen (§ 68 Satz 3 FGO).
3. Wechsel des Verfahrensgegenstands
3.1 Angefochtener Verwaltungsakt
Der ursprüngliche Verwaltungsakt muss wirksam angefochten worden sein. Ist eine Klage, eine Revision oder eine Nichtzulassungsbeschwerde (z. B. wegen Fristversäumnisse) offensichtlich unzulässig, so wird die Unzulässigkeit auch durch § 68 FGO nicht behoben. Gegen bestandskräftige Bescheide geht § 68 FGO ins Leere ( BStBl 2000 II S. 490).
§ 68 FGO wirkt nicht auf die prozessuale Situation des Klägers ändernd i. S. von heilend ein, sondern soll vielmehr - die vorgegebene Prozesslage nicht berührend - den Gegenstand der Klage ändern.
3.2 Geänderter und ersetzter Verwaltungsakt
Der ursprüngliche Verwaltungsakt muss nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt worden sein. Der Änderungsbescheid nimmt den ursprünglichen Verwaltungsakt in sich auf und suspendiert ihn in seiner Wirkung ( BStBl 1973 II S. 231).
Solange der Änderungsbescheid besteht, entfaltet der ursprüngliche Verwaltungsakt keine Wirkung mehr.
Ein Änderungsbescheid wird bereits dann Gegenstand des anhängigen Gerichtsverfahrens, wenn hinsichtlich des ursprünglichen und des neuen Verwaltungsakts Identität der Beteiligten und des Besteuerungsgegenstands besteht. Eine Identität des Streitgegenstands ist nicht erforderlich. Der ursprüngliche Verwaltungsakt muss jedoch durch den geänderten Bescheid in seiner Wirkung suspendiert sein.
3.2.1 Diese Voraussetzungen liegen insbesondere vor, wenn
ein ESt-Vorauszahlungsbescheid durch einen ESt-Jahresbescheid für denselben VZ ersetzt wird ( BStBl 1988 II S. 942),
ein GewSt-Meßbescheid für Vorauszahlungszwecke seine Wirkung verliert, nachdem für dasselbe Kj ein GewSt-Meßbescheid ergangen ist ( [BStBl 1987 II S. 28]),
während eines Rechtsstreits über die Anfechtung eines USt-Vorauszahlungsbescheids ein USt-Jahresbescheid erlassen wird ( BStBl 1991 II S. 465).
Dies gilt unabhängig davon, ob der Vorauszahlungsbescheid von der Vollziehung ausgesetzt war.
3.2.2 Die Voraussetzungen des § 68 FGO sind auch dann gegeben, wenn während eines gerichtlichen Verfahrens
der angefochtene Bescheid mit einem Vorbehaltsvermerk nach § 164 AO versehen oder den Vorbehalt aufgehoben wird,
der angefochtene Bescheid durch Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks geändert wird oder
das FA einen vorläufigen Steuerbescheid durch einen endgültigen Steuerbescheid ersetzt hat,
selbst wenn der neue Bescheid inhaltlich zu keiner Änderung der Steuerfestsetzung führt ( a. a. O.) oder wenn während eines gerichtlichen Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO der zugrundeliegende Steuerbescheid geändert oder ersetzt wird ( BFH/NV 1995 S. 611).
3.2.2 Die Frage, ob nach §§ 130, 131 AO korrigierte Haftungsbescheide nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens werden können, lässt sich nicht einheitlich beantworten.
3.2.3.1 Eine Änderung oder Ersetzung i. S. des § 68 FGO n. F. liegt z. B. auch vor, wenn im Falle der Haftung für eine Steuerart (nebst Nebenleistungen) die Haftungssumme durch einen Änderungsbescheid herabgesetzt wird, ohne dass das FA den ursprünglichen Bescheid aufhebt und der Änderungsbescheid deshalb keine von dem teilweise zurückgenommenen Bescheid abweichende Beschwer enthält ( BStBl II S. 292 u. v. , BFH/NV 1993 S. 152 u. 153; Tipke/Kruse, § 68 FGO, Tz. 12).
3.2.3.2 Eine Änderung oder Ersetzung eines Haftungsbescheides i. S. von § 68 FGO liegt ebenfalls vor, wenn der ursprüngliche Haftungsbescheid durch einen neuen Bescheid - ggf. unter ausdrücklicher Zurücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides - in vollem Umfang ersetzt wird ( a. a. O. u. v. , BFH/NV 1988 S. 82).
3.2.3.3 Bei einem Sammelhaftungsbescheid, der die Festsetzung der Haftungsschuld für zwei oder mehr verschiedene Steuerarten nebst Nebenleistungen enthält und der deshalb teilbar ist, ist für jede Steuerart ggf. zu prüfen, ob bei Korrektur des Haftungsbescheides ein Fall der Tz. 3.2.3.1 oder 3.2.3.2 gegeben ist ( BStBl 1997 II S. 79).
3.2.4 Für die Anwendung des § 68 FGO reicht es dagegen nicht aus, wenn neben den ursprünglichen Verwaltungsakt ein weiterer Verwaltungsakt tritt oder wenn der erstmalige und der geänderte Bescheid ihrer Art nach verschieden sind.
3.3 Bekanntgabe des Änderungsbescheids
Ein während des Klageverfahrens ergehender Änderungsbescheid ist dem ordnungsgemäß bestellten Prozessbevollmächtigten bekanntzugeben ( BStBl 1994 II S. 806). Auch ohne Kenntnis der Prozessvollmacht kann das FA i. d. R. davon ausgehen, dass der im Prozess auftretende Bevollmächtigte ordnungsgemäß bestellt ist; nur in Zweifelsfällen sollte sich das FA vor Erlass eines Änderungsbescheids beim Stpfl. oder beim Gericht vergewissern, wem der Bescheid bekanntzugeben ist.
4. Vertrauensschutz bei Zusagen des Finanzamts
Hat das FA in einer mündlichen Verhandlung vor dem FG den Erlass eines Änderungsbescheids zugesagt und erklären daraufhin die Beteiligten den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt, so ist das FA nach Treu und Glauben an die Zusage gebunden. Bezugspunkt des Vertrauensschutzes ist hier nicht die Verwirklichung eines Steuertatbestands, sondern die Aufgabe eines verfahrensrechtlichen Besitzstandes. Die übereinstimmenden Erledigungserklärungen sind grundsätzlich unwiderruflich. Lehnt das FA den Erlass des zugesagten Änderungsbescheids ab, kann der Kläger den Rechtsstreit in analoger Anwendung der §§ 68, 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ohne Durchführung eines Vorverfahrens mit dem Antrag fortsetzen, das FA zum Erlass des Änderungsbescheids zu verpflichten ( BStBl 1988 II S. 121).
5. Fortsetzung des Verfahrens
Der geänderte Verwaltungsakt wird nach § 68 FGO ”automatisch” Gegenstand des Klageverfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen.
Legt der Stpfl. dennoch Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ein, so ist dieser als unzulässig zu verwerfen.
OFD Hannover v. - FG 2026
Fundstelle(n):
UAAAA-85342