BAG Urteil v. - 4 AZR 961/11

Transformation tariflicher Regelungen nach einem Betriebsübergang

Leitsatz

Verweist ein Anerkennungshaustarifvertrag, der nach seinem Geltungsbereich für alle Arbeitnehmer und Auszubildenden des Arbeitgebers gilt, auf Verbandstarifverträge mit einem anderen räumlichen Geltungsbereich, gelten deren Normen grundsätzlich unabhängig davon, ob der räumliche Geltungsbereich des Verweisungstarifvertrags auch für die vom Haustarifvertrag erfassten Arbeitnehmer und Auszubildenden gegeben ist.

Gesetze: § 613a Abs 1 S 2 BGB, § 613a Abs 1 S 3 BGB, § 1 Abs 1 TVG, § 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 TVG, § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 8 Ca 6445/10 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 16 Sa 721/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit tariflicher Regelungen auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis.

2Der Kläger, seit 1994 Mitglied der IG Metall, ist seit 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Er war nach einem ersten Betriebsübergang zunächst bei der Compaq Computer GmbH als „Field-Servicetechniker“ tätig. Diese schloss mit der IG Metall im Jahre 1998 einen „ANERKENNUNGS-TARIFVERTRAG“, der idF vom (Anerkennungs-TV) ua. folgenden Inhalt hat:

3Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie in Südbaden (vom idF vom - MTV) sieht in §§ 9, 10 näher bestimmte Zuschläge für „Zuschlagspflichtige Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit“ vor. Nach § 3.2 Satz 1 Urlaubsabkommen für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie für die Tarifgebiete Südwürttemberg-Hohenzollern und Südbaden (vom - Urlaubsabkommen) kommt zum jährlichen Urlaubsanspruch nach einer Betriebszugehörigkeit von 25 Jahren ein „Zusatzurlaub von 1 Arbeitstag im Urlaubsjahr“ hinzu.

4Zum ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines weiteren Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene H GmbH und von dieser zum auf die ebenfalls nicht tarifgebundene Beklagte über. Bei der Beklagten besteht ua. eine „Betriebsvereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit (Arbeitszeitordnung)“ (vom - BV Arbeitszeitordnung), die Zuschlagsregelungen für Überstunden, für geleistete Arbeitszeiten im Schicht-System und für flexible Arbeitszeiten enthält. Die Beklagte lehnt eine Anwendung des MTV auf das Arbeitsverhältnis unter Hinweis auf die bestehende BV Arbeitszeitordnung ebenso ab wie die Gewährung von Zusatzurlaub für die Jahre 2010 und 2011.

5Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - die Auffassung vertreten, der Anerkennungs-TV iVm. dem MTV und dem Urlaubsabkommen gelte nach wie vor. Die BV Arbeitszeitordnung habe die aufgrund des Betriebsübergangs zum transformierten tariflichen Regelungen nicht ablösen können. Eine sog. Über-Kreuz-Ablösung durch diese Betriebsvereinbarung scheide aus.

6Der Kläger hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Feststellungsantrag sei unzulässig, weil ungeklärt bleibe, ob die in den genannten Tarifverträgen enthaltenen Regelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB geändert oder ersetzt worden seien. Im Übrigen werde das Arbeitsverhältnis des Klägers weder vom räumlichen Geltungsbereich des MTV noch von dem des Urlaubsabkommens erfasst. Zudem seien die Zuschlagsregelungen des MTV durch die BV Arbeitszeitordnung abgelöst worden.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger - nachdem er seine Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat teilweise zurückgenommen und die Parteien über weitere Streitgegenstände einen Teilvergleich geschlossen haben - seinen Feststellungsantrag weiter.

Gründe

9Die Revision des Klägers ist begründet. Der Feststellungsantrag, über den der Senat allein noch zu befinden hat, ist zulässig und begründet.

10I. Für den nach ständiger Rechtsprechung des Senats als sog. Elementenfeststellungsklage (s. nur  - Rn. 26 ff., BAGE 131, 176; - 4 AZR 784/07 - Rn. 11 mwN, BAGE 128, 165) zulässigen Feststellungsantrag über die Anwendung tariflicher Regelungen auf ein Arbeitsverhältnis ( - zu I 1 der Gründe, BAGE 99, 10) besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

111. Durch die gerichtliche Entscheidung kann der Streit der Parteien über die Anwendbarkeit des MTV und des Urlaubsabkommens, auf welche der Anerkennungs-TV verweist, insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien im Umfang des gestellten Antrags geklärt werden (zu diesem Erfordernis  - Rn. 21 mwN). Ob die Tarifverträge, deren Rechtsnormen aufgrund des zum stattgefundenen Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses wurden, danach „durch anderweitige Regelungen geändert oder ersetzt worden sind“, ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht Gegenstand des Feststellungsantrags.

122. Soweit die Beklagte unter Hinweis auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München ( - 5 Sa 848/11 -) einwendet, die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage, ob die transformierten tariflichen Regelungen nach einem möglichen weiteren Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BGB „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ seien, würde nicht geklärt, ist dies vorliegend ohne Bedeutung. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die gegenwärtige und zwischen den Parteien streitige Anwendung der im Feststellungsantrag genannten Tarifverträge zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die H GmbH (Stand ) auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis. Dies wird durch die Entscheidung geklärt.

13II. Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch begründet. Die infolge des Betriebsübergangs zum gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten tariflichen Regelungen des Anerkennungs-TV iVm. dem MTV und dem Urlaubsabkommen sind mit dem Regelungsbestand vom , dem Tag vor dem Betriebsübergang (vgl.  - zu I 3 b bb der Gründe, BAGE 99, 10), auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.

141. Die Rechtsnormen des Anerkennungs-TV iVm. dem MTV und dem Urlaubsabkommen galten zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die H P GmbH für das zwischen dem Kläger und der Compaq Computer GmbH bestehende Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

15Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es für die Geltung des MTV und des Urlaubsabkommens nicht erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Rechtsvorgängerin Compaq Computer GmbH von dem in den Verweisungstarifverträgen festgelegten räumlichen Geltungsbereich erfasst wird. Die Beklagte verkennt, dass die Tarifvertragsparteien des Anerkennungs-TV für die in Bayern ansässige Compaq Computer GmbH den räumlichen Geltungsbereich in Nr. 2 dieses Tarifvertrags ersichtlich eigenständig - „für alle in den Firmen beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden“ - und damit unabhängig von den räumlichen Geltungsbereichsregelungen der beiden Verweisungstarifverträge (dem früheren Regierungsbezirk Südbaden) vereinbart haben. Dies folgt auch aus dem Wortlaut von Nr. 3.1 Anerkennungs-TV („gelten für die unter dem jeweiligen Geltungsbereich aufgeführten Arbeitnehmer“). Der Anerkennungs-TV stellt lediglich auf den jeweiligen persönlichen, nicht aber auf den räumlichen Geltungsbereich ab.

162. Diejenigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die durch die tariflichen Regelungen des Anerkennungs-TV iVm. den Bestimmungen des MTV und des Urlaubsabkommens geregelt waren, sind nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB am Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit der H GmbH geworden. Spätere Änderungen der tariflichen Regelungen - hier in den Jahren 2004/2005 (MTV) und 2008 (Urlaubsabkommen) - haben entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinen Einfluss auf die weitere Anwendbarkeit des nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Normenbestandes für das auf einen Betriebserwerber übergegangene Arbeitsverhältnis ( - Rn. 50, BAGE 134, 130; - 4 AZR 100/08 - Rn. 83 mwN, BAGE 130, 237). Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass nach der Rechtsprechung des Senats eine nachfolgende Änderung der Tarifnormen für den Bestand oder den Inhalt der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zuvor transformierten kollektiv-rechtlichen Regelungen grundsätzlich nur zu einem Wegfall der Sperrfrist nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB für den Erwerber führen kann und die Regelungen des bisher maßgebenden Tarifvertrags einzelvertraglich dispositiv werden. Ein anderes Ergebnis kann sich allenfalls dann ergeben, wenn die Nachwirkung von Tarifnormen ausgeschlossen worden war (ausf.  - Rn. 71 bis 76, aaO). Das ist vorliegend aber weder ersichtlich noch geht das Landesarbeitsgericht davon aus.

173. Mit diesem Inhalt und unter Beibehaltung des kollektiv-rechtlichen Charakters der vormaligen tariflichen Regelungen des MTV und des Urlaubsabkommens (ausf.  - Rn. 61 ff., BAGE 130, 237; weiterhin - 4 AZR 494/09 - Rn. 67) ist das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte übergegangen.

184. Eine Ablösung der Regelungen des MTV durch die bei der Beklagten bestehende BV Arbeitszeitordnung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ist nicht erfolgt. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG diese Betriebsvereinbarung erfasst.

19a) Eine verschlechternde Ablösung der zwischen einem Veräußerer und einem Arbeitnehmer aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden tariflichen Regelungen durch Bestimmungen einer bei einem nicht tarifgebundenen Betriebserwerber geltenden Betriebsvereinbarung im Wege der Über-Kreuz-Ablösung ist jedenfalls außerhalb des Bereiches der erzwingbaren Mitbestimmung nicht möglich (ausf.  - Rn. 43 ff. mwN, BAGE 134, 130).

20b) Da im Streitfall die BV Arbeitszeitordnung aufgrund der Zuschlagsregelungen jedenfalls auch mitbestimmungsfreie Teile enthält (sog. teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung), scheidet eine Ablösung der Regelungen des MTV nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB aus. Zwar bedarf ein Verteilungs- und Leistungsplan über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Der Arbeitgeber kann aber den Dotierungsrahmen der von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei unter Beachtung von § 6 Abs. 5 ArbZG festlegen ( - Rn. 15, 21 mwN, BAGE 127, 297; s. auch - 4 AZR 768/08 - Rn. 46, BAGE 134, 130).

21III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 98 Satz 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
ZAAAI-20443