BVerwG Beschluss v. - 4 C 2/10

Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz bei Musterverfahren

Gesetze: § 108 Abs 2 VwGO, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 2 GG, § 142 Abs 1 S 2 VwGO

Gründe

I

1Die Kläger haben neben einer Vielzahl anderer klagender Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom für den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main erhoben. Von diesen Verfahren hat der Verwaltungsgerichtshof insgesamt zwölf Verfahren - unter anderem dasjenige der Kläger - als Musterverfahren vorab durchgeführt und die restlichen Klageverfahren gemäß § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO bis zum rechtskräftigen Abschluss der Musterverfahren ausgesetzt. Soweit die Kläger mit ihrer Klage in erster Instanz unterlegen sind, haben sie neben anderen Musterklägern Revision eingelegt.

2Mit Schriftsatz vom haben Kläger, deren Verfahren ausgesetzt worden sind, beantragt, im vorliegenden Revisionsverfahren beigeladen zu werden. Hilfsweise wollen sie sichergestellt wissen, dass sie die Möglichkeit erhalten, von ihrem Recht auf "passive" Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren Gebrauch zu machen, indem ein entsprechend großer Verhandlungsraum gewählt oder die Verhandlung audiovisuell in einen oder mehrere geeignete Räume übertragen wird.

II

3Die Anträge auf Beiladung sind abzulehnen.

4Offen bleiben kann, ob einer Beiladung der Kläger in den ausgesetzten Verfahren bereits der Zweck des § 93a VwGO entgegensteht. Die Beiladung ist jedenfalls gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig. Ein Fall der notwendigen Beiladung (§ 65 Abs. 2 VwGO), die gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch in der Revisionsinstanz beschlossen werden kann, liegt nicht vor.

5Grundrechtliche Positionen der Kläger in den ausgesetzten Verfahren wie insbesondere deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zwingen nicht zu einer einschränkenden Auslegung des § 142 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Ob der Anspruch der Kläger in den ausgesetzten Verfahren auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz gewahrt wird, hängt insbesondere von der konkreten Gestaltung der sich an die Musterverfahren anschließenden Nachverfahren ab (vgl. - NVwZ 2011, 611 Rn. 11, m.w.N.). Es unterliegt der Entscheidungskompetenz des Gerichts, ob es in den Nachverfahren zum "normalen" Urteilsverfahren oder zum vereinfachten Beschlussverfahren des § 93a Abs. 2 VwGO übergeht. Im vereinfachten Beschlussverfahren hat es darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welchem Maße es von den in § 93a Abs. 2 Satz 2 und 3 VwGO ermöglichten Erleichterungen bei der Beweisaufnahme Gebrauch macht. Im Rahmen dieser Möglichkeiten zur Verfahrensgestaltung hat das Gericht auch den verfassungsrechtlichen Ansprüchen auf rechtliches Gehör und auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Verkürzt es diese Ansprüche, kann dies im Rahmen der gegen die Entscheidung im Nachverfahren eröffneten Rechtsmittel gerügt werden. Einer Beiladung der Kläger in den ausgesetzten Verfahren in den Musterverfahren bedarf es nicht.

6Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er keine Veranlassung sieht, den als Anregungen zur Verfahrensgestaltung auszulegenden "Hilfsanträgen" näherzutreten, den Klägern der ausgesetzten Verfahren die Möglichkeit auf "passive" Teilnahme an der mündlichen Verhandlung in den Muster-Revisionsverfahren durch Bereitstellung eines noch größeren Verhandlungsraums oder eine audiovisuelle Übertragung der Verhandlung zu ermöglichen.

Fundstelle(n):
BAAAI-09617