BGH Beschluss v. - 4 StR 425/11

Strafzumessung: Prüfung der fiktiven Tilgungsreife bei Berücksichtigung einer nicht in das Bundeszentralregister eingetragenen ausländischen Vorstrafe im Rahmen der Strafzumessung

Gesetze: § 51 Abs 1 BZRG, § 52 Abs 1 Nr 2 BZRG, § 54 BZRG, § 56 Abs 1 BZRG, § 58 BZRG, § 46 Abs 2 S 2 StGB

Instanzenzug: Az: 39 KLs 22/10 - 150 Js 144/10

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten Georgi B.    wegen Beihilfe zur Vergewaltigung und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren drei Monaten und zwei Wochen verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge und Beanstandungen des Verfahrens gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Strafaussprüche.

21. Die Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom dargelegten Gründen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auch der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

32. Keinen Bestand haben dagegen die gegen den Angeklagten Georgi B.    verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe.

4a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen absolvierte der inzwischen 35-jährige Angeklagte im Alter von 17 bzw. 18 Jahren in Bulgarien seinen Militärdienst, beging „Fahnenflucht“ und wurde deshalb in Bulgarien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat er in Bulgarien „noch weitere Freiheitsstrafen verbüßt“ (UA S. 8 f.), zu denen das Urteil – anders als beim Angeklagten Boris B.   - keine Einzelheiten mitteilt. Weitere Vorstrafen hat das Landgericht nicht festgestellt.

5Bei der Bemessung der gegen den Angeklagten Georgi B.    wegen Beihilfe zur Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten hat die Strafkammer – an erster Stelle – zu Lasten des Angeklagten angeführt, dass sich dieser, „obwohl er bereits in Bulgarien freiheitsentziehende Maßnahmen erlitten hat, nicht von der Begehung der vorliegenden Taten [hat] abschrecken lassen“ (UA S. 40). Ferner hat sie die „vorgenannten … strafschärfenden Gesichtspunkte“ sowohl bei der Bemessung der wegen versuchter Nötigung verhängten Geldstrafe als auch der Gesamtstrafe berücksichtigt (UA S. 42).

6b) Dies hält einer Überprüfung nicht stand.

7aa) Zwar dürfen bei der Strafzumessung auch rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre (vgl. BT-Drucks. 16/13673 S. 6 f. mwN). Sind sie zur Bewertung des Vorlebens des Täters im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB relevant, müssen in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene Verurteilungen grundsätzlich sogar „mit gleichwertigen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden … wie denjenigen, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt“ (vgl. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Nr. 5 der Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren). Dabei ist nicht Voraussetzung, dass es sich um eine nach § 54 BZRG im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Vorstrafe handelt (, NStZ-RR 2007, 368, 369; zur geplanten Neuregelung der Eintragung ausländischer Verurteilungen: vgl. BT-Drucks. 17/5224 [dort v.a. § 53a BZRG]).

8bb) Die Verwertbarkeit einer ausländischen Verurteilung in einem in Deutschland geführten Strafverfahren zum Nachteil des Beschuldigten setzt grundsätzlich aber ebenfalls voraus, dass diese - würde es sich um eine Verurteilung nach deutschem Recht handeln - nicht tilgungsreif wäre.

9Dies ergibt sich für im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Verurteilungen aus §§ 51 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG), gilt aber auch für dort nicht eingetragene ausländische Vorstrafen. Grundlage hierfür ist § 58 BZRG, nach dem eine ausländische Verurteilung, auch wenn sie nicht in das Bundeszentralregister eingetragen ist, als tilgungsreif gilt, sobald eine ihr vergleichbare Verurteilung im Geltungsbereich des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister tilgungsreif wäre. Liegt eine solche Tilgungsreife vor, besteht - schon nach dem Willen des Gesetzgebers - das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG); denn tilgungsreife „ausländische Verurteilungen [können] nicht in größerem Umfang zu seinem Nachteil berücksichtigt werden als entsprechende deutsche Bestrafungen“ (BT-Drucks. VI/477 S. 25 [zu § 52 BZRG]; RReg 2 St 429/77, BayObLGSt 1978, 39, 41; ebenso Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., § 58 Rn. 6, 7; Hase, BZRG, 2003, § 58 Rn. 1; Rebmann, NStZ 1985, 529, 530). Dies entspricht auch dem Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates der Europäischen Union vom , der - etwa in Art. 3 Abs. 1 - darauf verweist, dass in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union ergangene frühere Verurteilungen im Strafverfahren „mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen werden wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen“.

10cc) Kommt mithin bei einer dem Tatrichter bekannt gewordenen, von ihm zum Nachteil des Beschuldigten berücksichtigungsfähigen ausländischen Vorstrafe in Betracht, dass diese - würde es sich um eine deutsche Verurteilung handeln - im Falle ihrer Eintragung im Bundeszentralregister tilgungsreif wäre (ohne dass eine Ausnahmeregelung - etwa die in § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG - eingreift), muss er die für die Tilgungsreife erforderlichen Feststellungen treffen und bewerten (vgl. dazu auch § 56 Abs. 1 Satz 2 BZRG) und dies im Urteil darlegen (vgl. auch , NStZ 2007, 368, 369; RReg 2 St 429/77, BayObLGSt 1978, 39, 41; ferner ).

11dd) Auf dieser Grundlage kann das landgerichtliche Urteil keinen Bestand haben. Denn der Senat kann die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Sachrüge hin gebotene Prüfung, ob die Strafkammer beim Angeklagten Georgi B.    das (in Betracht kommende) Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG) missachtet hat, mangels hinreichender Feststellungen nicht überprüfen. Dies führt zur Aufhebung der Aussprüche über die Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe.

Ernemann                                    Roggenbuck                                      Franke

                         Mutzbauer                                         Quentin

Fundstelle(n):
IAAAI-08715