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Online-Nachricht - Donnerstag, 03.03.2022

Einkommensteuer | Rückwirkender Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG (BFH)

Ein rückwirkender (einkommenserhöhender) Ansatz von Teilwerten bei einer Einbringung zu Buchwerten wegen eines sog. Sperrfristverstoßes i.S. des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ist ausgeschlossen, wenn die vollentgeltliche Übertragung von Anteilen durch den Einbringenden an eine Körperschaft innerhalb der Sperrfrist im Ergebnis zu einer Aufdeckung der stillen Reserven in den zuvor eingebrachten Wirtschaftsgütern führt (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Soweit innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung des Wirtschaftsguts nach § 6 Abs. 5 Satz 3 der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht, ist rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung ebenfalls der Teilwert anzusetzen, § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG.

Sachverhalt: Die Klägerin ist als GmbH eine Organgesellschaft einer körperschaftsteuerlichen Organschaft. An der S GmbH & Co. KG war sie als Kommanditistin zu 100 % beteiligt, wobei sie auch alle Anteile an der Komplementär-GmbH hielt. Durch einen Einbringungsvertrag vom (Streitjahr) brachte die Klägerin mit wirtschaftlicher Wirkung zum , 24 Uhr, gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG zur Erbringung ihrer Kommanditeinlage mehrere Einzelwirtschaftsgüter zum Buchwert in die S GmbH & Co. KG ein. Der die Kommanditeinlage übersteigende Teil wurde dem „Rücklagenkonto 1“ gutgeschrieben.

Mit Kaufvertrag vom veräußerte die Klägerin 51 % ihrer Anteile am Vermögen der S GmbH & Co. KG zu einem unter fremden Dritten üblichen Kaufpreis mit wirtschaftlicher Wirkung zum an die Z-KG. An der Z-KG waren wiederum zahlreiche Körperschaften beteiligt.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass es aufgrund der Anteilsveräußerung an die Z-KG im Jahr 2015 zur Anwendung von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG komme. Daher seien die Wirtschaftsgüter, die im Streitjahr zum Buchwert in das Gesamthandsvermögen der S GmbH & Co. KG eingebracht worden waren und im Jahr 2015 durch den Verkauf der Gesellschaftsanteile an der S GmbH & Co. KG mittelbar auf die Z-KG übergegangen seien, im Streitjahr zu 51 % mit dem Teilwert anzusetzen. Der im Jahr 2015 von der S GmbH & Co. KG erklärte Veräußerungsgewinn sei als Gewinn aus der Aufdeckung stiller Reserven bereits im Streitjahr bei der Klägerin anzusetzen und der Beteiligungswert an der S GmbH & Co. KG entsprechend zu erhöhen. Der bisher für das Jahr 2015 gesondert und einheitlich festgestellte und in voller Höhe der Klägerin zugerechnete Veräußerungsgewinn sei nicht anzusetzen.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das FG vertrat die Auffassung, dass § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG in den Fällen teleologisch zu reduzieren ist, in denen – wie im Streitfall – nachträglich ein Anteil einer Körperschaft an einem zuvor zu Buchwerten eingebrachten Wirtschaftsgut innerhalb von sieben Jahren aufgrund eines voll entgeltlichen Beteiligungserwerbs begründet wird, sodass keine stillen Reserven auf ein Körperschaftsteuersubjekt übergehen (, s. hierzu Weiss, ).

Die Richter des BFH wiesen die Revision des FA ab:

  • Ein rückwirkender (einkommenserhöhender) Ansatz von Teilwerten bei einer Einbringung zu Buchwerten wegen eines sog. Sperrfristverstoßes i.S. des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ist ausgeschlossen, wenn die vollentgeltliche Übertragung von Anteilen durch den Einbringenden an eine Körperschaft innerhalb der Sperrfrist im Ergebnis zu einer Aufdeckung der stillen Reserven in den zuvor eingebrachten Wirtschaftsgütern führt.

  • Ausweislich der Gesetzesmaterialien zu § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Regelung nicht nur, das Überspringen stiller Reserven auf Kapitalgesellschaften zu verhindern, sondern auch "generell das Verfügen über Wirtschaftsgüter ohne Teilwertrealisation durch Verkäufe von Anteilen an Kapitalgesellschaften unter Nutzung der Vorteile, die durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren entstehen", zu vermeiden (vgl. BT-Drucks 14/6882, S. 33). Daraus lässt sich auf eine auf bestimmte Fallkonstellationen ("Überspringen stiller Reserven", "Vorteile (...) durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren") beschränkte Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG schließen.

  • Wenn aber der Nachbesteuerungstatbestand des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG als (Rück-)Ausnahme zu der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nur zur Anwendung kommen soll, wenn "stille Reserven auf Kapitalgesellschaften" "ohne Teilwertrealisation durch Verkäufe von Anteilen an Kapitalgesellschaften" übergehen, ist der über diesen Anwendungsbereich hinausreichende Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht die Folge einer bewussten rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers.

  • Vielmehr erfasst die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht jede Anteilsveräußerung innerhalb der Sperrfrist. Sie soll lediglich dann eingreifen, wenn/soweit die stillen Reserven im Zuge der Veräußerung der Anteile nicht aufgedeckt werden.

  • Danach ist der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - infolge der Entgeltlichkeit der Anteilsveräußerung die stillen Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter aufgedeckt werden und damit gerade nicht auf ein anderes Körperschaftsteuersubjekt übergehen, nicht eröffnet.

  • Der Senat folgt damit für diese Fallgruppe der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. HHR/Niehus/Wilke, § 6 EStG Rz 1675; Brandis/Heuermann/Ehmcke, § 6 EStG Rz 1371; Krumm in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 15 Rz 392a; Broemel, DStR 2020, 1407; Heerdt, Ubg 2018, 70; Leidel/Rosenfelder, BB 2020, 1517; Weiss/Brühl, DStR 2019, 1065; Binnewies/Mühling, Die Aktiengesellschaft 2021, 113; Kleinmanns, BB 2020, 2802; Brauer/Richter/Baumeister, Ubg 2020, 402).

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Das Besprechungsurteil des BFH ist eine Entscheidung, die methodisch nicht häufig ergeht. Denn sie gehört zu der Gruppe von Entscheidungen, in denen es darum geht, dass sich der Richter über den Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzt. Diese Fälle der sog. Rechtsfortbildung – der BFH bezeichnet sie in seinen Entscheidungen häufig missverständlich als „Auslegung gegen den Wortlaut“, da es sich nicht um eine Auslegung sondern um eine Rechtsfortbildung handelt – sind in verschiedener Form möglich. Hier haben wir einen Fall der sog. teleologischen Reduktion. Der Wortlaut wird in diesen Fällen bei der Rechtsanwendung eingeschränkt. Dies bedeutet für den Streitfall, dass nach dem Wortlaut die Voraussetzungen der Norm zwar vorliegen, gleichwohl wird er nicht in diesem Fall angewandt. Für die Anwendung dieses Rechtsinstituts gibt es eine große Hürde für das Gericht. Nur wenn eine allein wortlautgetreue Auslegung zu sinnwidrigen Ergebnissen führt und ein Fall einer planwidrigen Regelungslücke vorliegt, kommt es zu dieser teleologischen Reduktion (s. unter 3.c.aa.).

Hierzu sah sich nun der BFH in dieser Entscheidung veranlasst. Denn ausweislich der Gesetzesmaterialien zu § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG – die Voraussetzungen der Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG lagen nach dem Wortlaut unstreitig vor - beabsichtigte der Gesetzgeber mit dieser Regelung „generell das Verfügen über Wirtschaftsgüter ohne Teilwertrealisation durch Verkäufe von Anteilen an Kapitalgesellschaften unter Nutzung der Vorteile, die durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren entstehen“ zu vermeiden (s. unter 3.c.cc.). Daraus hat der BFH den Schluss gezogen, dass durch die Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ein "Überspringen stiller Reserven" und „Vorteile durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren“ verhindert werden soll. Im Streitfall war wegen der Entgeltlichkeit der Anteilsveräußerung die stillen Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter aufgedeckt worden und damit gerade nicht auf ein anderes Körperschaftsteuersubjekt übergegangen, so dass die eingebrachten Wirtschaftsgüter nicht mit dem Teilwert anzusetzen waren.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
HAAAI-05474