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Innergemeinschaftlicher Fernverkauf und EU-OSS-Verfahren
Hinweise zur praktischen Umsetzung und Vermeidung von Fallstricken
Die [i]Fietz, Digitalpaket – Die neue OSS-Meldung, Online-Seminar, Aufzeichnung v. 5.10.2021, NWB PAAAH-90647 EU hat mit der zweiten Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen im Onlinehandel grundlegend überarbeitet. Mit dem JStG 2020 v. (BGBl 2020 I S. 3096) wurden die Regelungen dann in nationales Recht umgesetzt und sind zum in Kraft getreten (s. hierzu die Aufsatzreihe von Ramb, , , und ). Nachdem nun ein halbes Jahr vergangen ist, lassen sich erste praktische Probleme und Fallstricke erkennen, die es von Beratern und Unternehmern zu vermeiden gilt. Vor diesem Hintergrund geht der folgende Beitrag auf zentrale Fragen und bisher gewonnene Erkenntnisse ein, beleuchtet Praxisprobleme und gibt Handlungsempfehlungen zu den Neuregelungen. Der Beitrag beschränkt sich dabei auf die Neuregelung des innergemeinschaftlichen Fernverkaufs sowie das EU-OSS-Verfahren, denen in der Praxis erfahrungsgemäß die größte Bedeutung zukommt. Dabei geht der Beitrag auch auf Sonderfälle wie das Amazon-Pan-EU-Geschäft oder das Dropshipping-Modell ein.
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S. 616
I. Hintergrund
[i]Zunehmende Bedeutung des OnlinehandelsDer Onlinehandel gewinnt zunehmend an Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie. So wuchs der Umsatz im Onlinewarenhandel allein im Kalenderjahr 2021 um 19 % im Vergleich zum Vorjahr (vgl. bevh, Pressemitteilung v. 26.1.2022). Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, hat die EU mit der zweiten Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen im Onlinehandel grundlegend überarbeitet (vgl. 6. Erwägungsgrund der RL (EU) 2017/2455 des Rates v. ).
[i]Wenning, Umsatzsteuerliches Besteuerungsverfahren, infoCenter, NWB XAAAB-13234 Im Zentrum der Neuregelung stehen dabei die Umsetzung des Bestimmungslandprinzips durch die Überarbeitung der Regelungen zum innergemeinschaftlichen Fernverkauf (vormals Versandhandel) und zum Fernverkauf von Warensendungen aus dem Drittland in § 3c UStG, die Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens durch die Ausdehnung des bisherigen Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens (MOSS-Verfahren) auf innergemeinschaftliche Fernverkäufe und weitere Leistungen im neuen One-Stop-Shop-Verfahren (OSS-Verfahren, § 18i und § 18j UStG) samt Einführung des sog. Import-One-Stop-Shops (IOSS, § 18k UStG) und die Vermeidung von Steuerausfällen durch die Einbindung von elektronischen Schnittstellen (z. B. Onlinemarktplätzen) in die Leistungskette bei Sendungen aus dem Drittland oder durch Drittlandsunternehmer (§ 3 Abs. 3a UStG).
II. Der innergemeinschaftliche Fernverkauf
1. Allgemeines
[i]Ramb, NWB 20/2021 S. 1475Die Neuregelung des innergemeinschaftlichen Fernverkaufs in § 3c Abs. 1 und 4 UStG ersetzt die bisherige Vorschrift des innergemeinschaftlichen Versandhandels. Hiernach liegt der Ort der Warenlieferung im Bestimmungsland (am Ort der Beendigung der Warenbewegung zum Kunden) und nicht, wie im Grundfall des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG, am Beginn des Warentransports im Abgangsland. Die Unterscheidung erfolgt dabei anhand zweier zentraler Fragen:
Wie hoch ist das Auslandsgeschäft? (§ 3c Abs. 4 Satz 1 UStG definiert die sog. Lieferschwelle von nunmehr 10.000 €, bis zu deren Überschreiten es im Grundsatz bei einer Besteuerung im Abgangsland bleibt, s. unten II, 2, a).
Wer ist der Kunde? (§ 3c Abs. 1 Satz 3 UStG bestimmt, dass der innergemeinschaftliche Fernverkauf nur bei Lieferungen an Nichtunternehmer und besondere Unternehmer gilt, nicht jedoch bei Lieferungen an regelbesteuernde Unternehmer, s. unten II, 2, b).
[i]Grenzüberschreitende WarenbewegungDarüber hinaus liegt ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf gem. § 3c Abs. 1 Satz 2 UStG nur vor, wenn die Warenbewegung grenzüberschreitend von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen erfolgt. Rein lokale Lieferungen innerhalb eines Landes (z. B. ruhende Lieferungen im Reihengeschäft, Lieferungen aus einem ausländischen Warenlager) sind deshalb nicht von § 3c UStG erfasst und können in der Folge auch nicht im OSS-Verfahren angemeldet werden. In solchen Situationen bleiben Unternehmer deshalb auch weiterhin registrierungspflichtig im EU-Ausland (s. unten IV und V).
[i]Direkte oder indirekte Beförderung oder Versendung durch den UnternehmerWeiterhin muss der Unternehmer die Ware direkt oder indirekt befördern oder versenden (§ 3c Abs. 1 Satz 2 UStG). Mit Art. 5a MwStVO besteht dabei eine Sonderregelung, die ausschließlich für den Anwendungsbereich des innergemeinschaftlichen Fernverkaufs definiert, wann eine Warenlieferung als vom Unternehmer transportiert und nicht vom Abnehmer als „abgeholt“ gilt. Der Transport ist hiernach z. B. bereits dann dem Unternehmer zuzuordnen, wenn er lediglich den Kontakt zwischen dem Transportunternehmer und dem Kunden herstellt oder die Transportleistung des Spediteurs bewirbt (Art. 5a Satz 1 Buchst. d MwStVO). S. 617
[i]Sonderregelung gem. Art. 5a MwStVOArt. 5a MwStVO gilt nicht im Anwendungsbereich anderer Vorschriften, insbesondere nicht für die Frage der Zuordnung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft. Bei Reihengeschäften kommt es vielmehr allein auf die Frage an, wer den Transport veranlasst, d. h. in wessen Namen der Transport durchgeführt wird.
[i]Besonderheiten bei bestimmten WarengruppenZudem sind nach § 3c Abs. 5 UStG Besonderheiten bei bestimmten Warengruppen zu beachten. So greift beispielsweise die Fernverkaufsregelung bei der Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren (Alkohol, Tabak) nur, wenn der Kunde ein Nichtunternehmer ist. In diesen Fällen hat der Unternehmer allerdings zu beachten, dass er regelmäßig im EU-Ausland verbrauchsteuerrechtliche Registrierungspflichten begründet.
§ 3c UStG setzt nicht voraus, dass das Liefergeschäft online zustande kommt. Vielmehr greift die Fernverkaufsregelung bei allen innergemeinschaftlichen Sendungen an Endkunden und besondere Unternehmer.
Ein Fahrradhändler veräußert über seinen Webshop Fahrradzubehör an einen Privatkunden in Frankreich. Das Zubehör versendet er von Deutschland aus zum Kunden nach Frankreich.
Ein österreichischer Privatkunde sucht sich bei dem Fahrradhändler in dessen Ladengeschäft in Deutschland ein Fahrrad aus. Da dieses nicht vorrätig ist, bestellt der Händler das Fahrrad für den Kunden. Nachdem der Händler das Fahrrad vom Hersteller geliefert bekommen hat, versendet er es zum Wohnort des Kunden nach Österreich.
In beiden Beispielen liegt ein innergemeinschaftlicher Fernverkauf vor, sofern der Händler die Umsatzschwelle überschreitet oder auf deren Anwendung verzichtet. Der Händler muss also insbesondere im zweiten Beispiel sicherstellen, dass auch bei seinem Verkauf „im Laden“ keine deutsche Umsatzsteuer auf der Rechnung ausgewiesen wird.
2. Ausgewählte Praxisprobleme
a) Die neue Umsatzschwelle
[i]Abschaffung landesspezifischer Lieferschwellen und ...Ein zentraler Unterschied zwischen der bisherigen Versandhandelsregelung (§ 3c UStG a. F.) und der Regelung zum innergemeinschaftlichen Fernverkauf (§ 3c UStG n. F.) besteht in der Abschaffung der landesspezifischen Lieferschwellen i. S. des § 3c Abs. 3 Satz 2 UStG a. F., Art. 34 MwStSystRL. Nach der Altregelung galt für jeden Mitgliedstaat eine individuelle Lieferschwelle von 35.000 € bzw. 100.000 €. Überstiegen die Versandhandelslieferungen in ein Land innerhalb eines Kalenderjahres die für diesen Mitgliedstaat gültige Lieferschwelle, war der Unternehmer ab diesem Zeitpunkt in diesem Staat mit seinen Versandhandelsumsätzen steuerpflichtig. Eine Besteuerungspflicht in anderen Mitgliedstaaten resultierte hieraus nicht.
[i]... Einführung einer EU-weiten Umsatzschwelle von 10.000 €Diese landesspezifischen Lieferschwellen wurden durch die Neufassung von § 3c UStG abgeschafft. An ihre Stelle tritt gem. § 3c Abs. 4 Satz 1 UStG eine EU-weite Umsatzschwelle in Höhe von 10.000 €. Übersteigt der Gesamtbetrag der Nettoumsätze aus innergemeinschaftlichen Fernverkäufen und den nach § 3a Abs. 5 UStG zu besteuernden elektronisch erbrachten Dienstleistungen im Kalenderjahr den S. 618Schwellenwert, begründet der Unternehmer eine Besteuerungspflicht in jedem Mitgliedstaat, in dem er in der Folge eine entsprechende Leistung erbringt. Somit kann ein Onlinehändler auch mit geringen Umsätzen in einzelnen Mitgliedstaaten gleichwohl eine entsprechende Besteuerungspflicht in diesen Ländern begründen.
Ein Onlinehändler veräußert im Kalenderjahr 2021 über seinen Webshop Waren für 30.000 € an Kunden in Italien. Am bestellt ein Kunde aus Lettland Waren im Wert von 35 € im Webshop des Onlinehändlers und lässt sich diese nach Lettland senden.
Da der Onlinehändler mit seinen Lieferungen des Jahres 2021 die EU-weite Lieferschwelle von 10.000 € überschritten hat, sind alle innergemeinschaftlichen Fernverkäufe des Jahres 2022 im Bestimmungsland steuerpflichtig (§ 3c Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 UStG). Der Onlinehändler muss die Lieferung folglich in Lettland mit dem Regelsteuersatz von 21 % besteuern.
Jeder Onlinehändler sollte sicherstellen, dass er die korrekten Steuersätze für alle Länder in seinem System hinterlegt hat, in die er Warenlieferungen zulässt.