BFH Urteil v. - III R 15/18 BStBl 2022 II S. 625

Keine Hinzurechnung von Stückzinsen eines Sachdarlehens

Leitsatz

1. Erhält ein Unternehmen ein Sachdarlehen über festverzinsliche Anleihen, die es nach Empfang veräußert und später zwecks Rückgabe zurückerwirbt, so sind weder die beim Rückerwerb dem Veräußerer zu vergütenden Stückzinsen noch die im Zeitraum zwischen der Überlassung der Anleihen und deren Rückgabe an den Darlehensgeber aufgelaufenen Stückzinsen als Entgelte für Schulden hinzuzurechnen.

2. Eine konkludente Abbedingung des § 101 BGB —die Zinsen der überlassenen Anleihen stehen der Verleiherin zu— begründet kein zusätzliches Entgelt für die Gewährung eines Wertpapierdarlehens.

(Die Entscheidung ist nachträglich zur Veröffentlichung bestimmt worden)

Gesetze: GewStG 2002 § 8 Nr. 1; BGB § 607; BGB § 609; BGB § 101 Nr. 2; EStG § 4 Abs. 4; HGB § 255;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei Sachdarlehen über festverzinsliche Anleihen, die die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) nach Erhalt veräußert und später zurückerworben hat, Stückzinsen als Entgelte für Dauerschulden i.S. von § 8 Nr. 1 Alternative 3 des Gewerbesteuergesetzes in der bis zum Jahr 2007 geltenden Fassung (GewStG 2002) hinzuzurechnen sind.

2 Die Klägerin ist eine zum P-Konzern gehörende GmbH mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). An der gleichfalls zum P-Konzern gehörenden A Ltd. mit Sitz in Übersee ist sie weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt.

3 Die Klägerin schloss am mit der A Ltd. einen „Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen“ (Rahmenvertrag), der nach dessen Nr. 1 die Grundlage für einzelne Wertpapiersachdarlehen i.S. des § 607 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bildet und nach dessen Nr. 11 Abs. 5 dem Recht Deutschlands unterliegt. Die Klägerin erhält danach als Darlehensnehmerin das unbeschränkte Eigentum an den überlassenen Wertpapieren (Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 des Rahmenvertrags) und schuldet der Darlehensgeberin —der A Ltd.— ein Entgelt, das sich aus dem im Einzelabschluss vereinbarten Prozentsatz bezogen auf den Marktwert der Wertpapiere an dem im Einzelabschluss vereinbarten Tag errechnet (Nr. 5). Die während der Laufzeit des Darlehens auf die überlassenen Wertpapiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile und sonstigen Ausschüttungen stehen der Darlehensgeberin zu. Deren Gegenwert hat die Darlehensnehmerin mit Wertstellung zum Tag der tatsächlichen Zahlung an die Darlehensgeberin zu zahlen (sog. Kompensationszahlung, Nr. 6 des Rahmenvertrags). Am Ende der Laufzeit des jeweiligen Darlehens hat die Darlehensnehmerin —entsprechend § 607 Abs. 1 Satz 2 BGB— Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge zurück zu gewähren (Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 des Rahmenvertrags).

4


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In den Jahren 2005 bis 2009 schlossen die Klägerin als Darlehensnehmerin und die A Ltd. als Darlehensgeberin nacheinander 14 Verträge über Wertpapiersachdarlehen. Auf das Jahr 2005 (Streitjahr) entfielen zwei Verträge mit folgenden Konditionen:  
Vertrag vom:
Laufzeit
bis
bis
Nennwert (Face Value)
323.500.000 €
365.160.000 €
Nominalzins (Coupon)
5,375 %
2,25 %
Kurswert (Bond price)
111,11 ()
99,600 ()
Kurswert inkl. Stückzinsen (Dirty Price)
111,419246575
99,630821918
Betrag (Amount)
360.441.262,67 €
363.811.909,32 €
Nächster Zinstermin
Leihgebühr p.a.
0,7 % 
0,48 %
Leihgebühr nominal
2.375.908,66 € (339d/360d)
1.736.595,51 € (358d/360d)
davon auf 2005 entfallend
2.375.908,66 €
53.359,00 €

5 Die Klägerin veräußerte die ihr übertragenen Anleihen nach Erhalt am zu einem Kurs von 111,09 % und am zu einem Kurs von 99,60 % zuzüglich Stückzinsen an Dritte.

6 Zeitgleich schloss sie zur Sicherung der ihr gegenüber der A Ltd. obliegenden Rückgewährverpflichtung unbedingte Termingeschäfte (Forwards) über entsprechende Anleihen mit der X-Bank ab.

7 Die Anleihe über 323.500.000 € wurde danach zu einem Kurs von 108,524; die Anleihe über 365.160.000 € zu einem Kurs von 100,105 % erworben. Die bis zum Erwerb anfallenden Stückzinsen in Höhe von 17.149.931,51 € (360 Zinstage) bzw. 8.171.080,27 € (363 Zinstage) wurden separat ausgewiesen und in Rechnung gestellt. Davon entfielen rechnerisch 16.149.519 € (339 Zinstage) bzw. 247.608 € (11 Zinstage) auf die in das Streitjahr fallenden Vertragslaufzeiten.

8 Zum Ende der Laufzeit der Wertpapiersachdarlehen übertrug die Klägerin die auf Grundlage der Termingeschäfte erworbenen Anleihen an die A Ltd. zurück. Kompensationszahlungen nach Nr. 6 des Rahmenvertrags waren nicht zu leisten, da in die Laufzeit der Wertpapiersachdarlehen keine Zinstermine fielen.

9 Die Klägerin passivierte das Wertpapiersachdarlehen (Rückübertragungsverpflichtung) vom mit 360.441.263 € (Amount = Nennwert * Dirty Price). Zum Ende der Laufzeit des Sachdarlehens nahm die Klägerin aufwandswirksame Zuschreibungen auf das Wertpapiersachdarlehen auf der Grundlage des Kurses der Forwardgeschäfte unter zeitanteiliger Berücksichtigung der Stückzinsen vor. Das Wertpapiersachdarlehen vom passivierte die Klägerin mit 363.811.909 € (Amount = Nennwert * Dirty Price); zum Bilanzstichtag wurde eine Zuschreibung in Höhe von 410.328 € vorgenommen.

10 In der am eingereichten Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr ging die Klägerin davon aus, dass aufgrund der aufeinanderfolgenden Wertpapiersachdarlehen eine Dauerschuld vorliege und rechnete die an die A Ltd. gezahlte bzw. geschuldete zeitanteilige Leihgebühr in Höhe von 2.429.268 € gemäß § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 zur Hälfte dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzu. Die Veranlagung wurde in diesem Punkt erklärungsgemäß unter Nachprüfungsvorbehalt durchgeführt (§ 164 der AbgabenordnungAO—).

11 Im Rahmen der bei der Klägerin für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 durchgeführten Außenprüfung vertraten die Prüfer und ihnen folgend der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, dass neben der Leihgebühr auch Abgrenzungsbeträge (Stückzinsaufwand) oder Kompensationszahlungen —im Streitjahr also Stückzinsaufwand in Höhe von 16.397.120 €— als gemäß § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 hinzuzurechnende Entgelte für Dauerschulden zu beurteilen seien. Bei Anleihe und Zinsanspruch handele es sich um zwei unterschiedliche und deshalb getrennt zu aktivierende Wirtschaftsgüter. Dem Konto Wertpapiersachdarlehen seien die auf die Laufzeit des Wertpapiersachdarlehens entfallenden Stückzinsen aufwandswirksam zuzuschreiben. Der darin zum Ausdruck kommende, durch den Zinslauf der entliehenen Wertpapiere bei der Klägerin verursachte Aufwand sei wirtschaftlich als weiteres Entgelt für das Wertpapiersachdarlehen anzusehen.

12 Auf Antrag der Klägerin erging am ein Änderungsbescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2005, in dem die vom FA angenommenen weiteren Entgelte in Höhe von 16.397.120 € gemäß § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zur Hälfte hinzugerechnet wurden. Der Nachprüfungsvorbehalt blieb bestehen.

13 Während des dagegen gerichteten Einspruchsverfahrens ergingen aus nicht streitbefangenen Gründen am und Änderungsbescheide. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit dem Änderungsbescheid vom aufgehoben.

14 Der Einspruch der Klägerin wurde mit Teil-Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen.

15 Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die während der Laufzeit eines Wertpapiersachdarlehens über festverzinsliche Anleihen aufgelaufenen Stückzinsen stellten keine Entgelte für Dauerschulden i.S. des § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 dar (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1121).

16 Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts.

17 Das FA beantragt,

das FG-Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

18 Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II.

19 Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die von der Klägerin beim (Rück-)Erwerb der Anleihen dem Veräußerer vergüteten Stückzinsen (2.) gehören ebenso wenig zu den Entgelten für sog. Dauerschulden wie die zwischen der Überlassung der Anleihen an die Klägerin und deren Rückgabe an die A Ltd. aufgelaufenen Stückzinsen (3.). Das FG hat deshalb zutreffend entschieden, dass sie dem Gewinn der Klägerin aus Gewerbebetrieb nicht hinzuzurechnen sind.

20 1. Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG 2002) sind gemäß § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 die „Hälfte der Entgelte für Schulden“ hinzuzurechnen, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Eine solche Hinzurechnung setzt voraus, dass ein Darlehensverhältnis vorliegt, das als sog. Dauerschuld angesehen werden kann (z.B. , BFH/NV 2012, 993). Zinsen und andere als Entgelte zu behandelnde Aufwendungen des Darlehensnehmers sind auf dieser Grundlage als Entgelte i.S. von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 zu qualifizieren.

21 Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass das FG zutreffend davon ausgegangen ist, dass es sich bei den von der Klägerin aufgrund der erhaltenen Anleihen passivierten Sachdarlehensverbindlichkeiten (§ 607 BGB) um Dauerschulden i.S. von § 8 Nr. 1 Alternative 3 GewStG 2002 handelt, weil sich durch die jeweils kurz vor dem Laufzeitende der einzelnen Wertpapiersachdarlehen zwischen der Klägerin und der A Ltd. vereinbarten Folgeverträge eine Laufzeit von insgesamt mehr als einem Jahr ergab. Der wirtschaftliche Zusammenhang der einzelnen Sachdarlehen lässt die Begründung mehrerer einzelner Schuldverhältnisse in den Hintergrund treten und bewirkt eine einheitliche Beurteilung (, BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670, und vom  - I R 254/70, BFHE 111, 425, BStBl II 1974, 388; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 6. Aufl., § 8 Nr. 1 Rz 27; Abschn. 45 Abs. 1 Satz 2 ff. der Gewerbesteuer-Richtlinien 1998).

22 2. Die von der Klägerin beim Erwerb der kurz darauf an die A Ltd. zurückgegebenen Anleihen für die Stückzinsen aufgewendeten Beträge sind nicht hinzuzurechnen, weil sie nicht i.S. von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 zu Betriebsausgaben geführt haben; sie sind im Übrigen auch keine „Entgelte für Schulden“.

23 a) Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb werden nach § 8 GewStG 2002 die dort genannten Beträge wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind. Eine Hinzurechnung von Entgelten für Schulden nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 setzt daher deren Abziehbarkeit als Betriebsausgaben voraus. Der betreffende Aufwand muss bei der einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlung eine Betriebsausgabe nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellen (, BFH/NV 1998, 1222, Rz 13 und 19, betreffend Refinanzierungskredit für Darlehen an Schwestergesellschaft). Eine Gewinnabsetzung liegt daher nicht vor, wenn der Aufwand in die Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts eingeht (z.B. Senatsurteil vom  - III R 24/18, BFHE 269, 342, BFH/NV 2021, 122; BFH-Urteil vom  - IV R 31/18, BFH/NV 2021, 1367 , beide betreffend Mietaufwendungen als Teil von Herstellungskosten unterjährig ausgeschiedener Wirtschaftsgüter).

24 b) Erwirbt ein Steuerpflichtiger —wie hier die Klägerin— Wertpapiere, um seine Verpflichtung zur Rückgabe von als Sachdarlehen erhaltenen Anleihen zu erfüllen, so hat er dem Veräußerer die seit dem letzten Zinszahlungstermin aufgelaufenen Stückzinsen zu vergüten. Die aufgrund des (Rück-)Erwerbs der Anleihen an den Veräußerer —die X-Bank— für die Stückzinsen gezahlten Beträge minderten den Gewinn der Klägerin jedoch nicht. Denn die Klägerin erhielt dafür —mit der erworbenen Anleihe— eine gleichwertige Zinsforderung, die als sonstiger Vermögensgegenstand zu aktivieren war (Schubert/Gadek in Beck Bil-Komm., 12. Aufl., § 255 HGB Rz 307; Brandis/Heuermann/Ehmcke, § 6 EStG Rz 858); der Vorgang war mithin erfolgsneutral.

25 Dabei ist unerheblich, ob das Wertpapier und der Stückzins buchhalterisch zutreffend gesondert erfasst oder die Stückzinsen fälschlich als Teil der Anschaffungskosten des Wertpapiers behandelt werden. Für den Betriebsausgabenabzug ist es ebenfalls unerheblich, ob die mit Stückzinsen von der X-Bank erworbene Anleihe tatsächlich über einen Bilanzstichtag gehalten und die erworbenen Stückzinsen buchhalterisch erfolgsneutral behandelt und in der Bilanz aktiviert wurden. Maßgeblich ist insofern, dass die für den Erwerb der Stückzinsen aufgewendeten Beträge den Gewinn der Klägerin nicht minderten, sondern aufgrund der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich erfolgsneutral waren. Dies entspricht dem Senatsurteil in BFHE 269, 342, BFH/NV 2021, 122 und dem BFH-Urteil in BFH/NV 2021, 1367, wonach es für eine Hinzurechnung von Mietzinsen nach § 8 Nr. 1 Buchst. d GewStG 2002 darauf ankommt, ob diese sich unmittelbar als Betriebsausgaben ausgewirkt haben oder aber den handelsrechtlichen Herstellungskostenbegriff erfüllen.

26 c) Einer Hinzurechnung der Beträge, die beim Erwerb der kurz darauf an die A Ltd. zurückgegebenen Anleihen für die Stückzinsen anfielen, steht weiter entgegen, dass es sich dabei nicht um Entgelte „für“ Schulden i.S. des § 8 Nr. 1 GewStG 2002 handelte.

27 aa) Als Entgelte für Schulden sind nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 nur die Gegenleistungen für die Zurverfügungstellung von Fremdkapital hinzuzurechnen (, BFHE 193, 141, BStBl II 2001, 609, betreffend nach der Darlehenssumme bemessene laufende Verwaltungskostenbeiträge; vom  - I R 19/02, BFHE 202, 357, BStBl II 2004, 192, betreffend aktivierte Bauzeitzinsen; vom  - I R 85/12, BFH/NV 2014, 1588, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2014, 1007, betreffend Freistellungsverpflichtung aus Kaufvertrag, und vom  - IV R 55/05, BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, betreffend Avalgebühr für Ausfallbürgschaft). Leistungen, die nicht die Nutzung des Fremdkapitals abgelten, die also nicht mit der tatsächlichen Nutzung oder der Nutzungsmöglichkeit von Fremdkapital zusammenhängen, sondern für eine andere Leistung oder aus einem anderen Rechtsgrund erbracht werden, sind daher nicht hinzuzurechnen (vgl. Brandis/ Heuermann/Hofmeister, § 8 GewStG Rz 41; Haisch/ Helios, Rechtshandbuch Finanzinstrumente, 2011, § 4 Rz 260; Deloitte/ Bunzeck, GewStG, 2009, § 8 Nr. 1a Rz 19). Deshalb werden z.B. Bereitstellungszinsen nicht hinzugerechnet, weil durch sie nicht die Inanspruchnahme von Fremdkapital abgegolten wird, sondern die Zurverfügungstellung und das Bereithalten der erst später auszuzahlenden Gelder (, BFHE 181, 86, BStBl II 1997, 253; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 10. Aufl., § 8 Nr. 1 Buchst. a Rz 6b).

28 bb) Die beim Erwerb der Anleihen für die Stückzinsen aufgewendeten Beträge wurden nicht an die Darlehensgeberin für die Kapitalüberlassung gezahlt, sondern an den Veräußerer für die Übertragung der Anleihen. Die Zahlungen beruhten auch nicht auf dem Darlehensverhältnis mit der A Ltd., d.h. der Entgegennahme und Rückgabe der Anleihen, sondern auf dem Entschluss der Klägerin, die Anleihen nach ihrem Erhalt zu veräußern, sodass sie vor Fälligkeit des Sachdarlehens gleichartige Anleihen zurückerwerben und dabei die beim Veräußerer aufgelaufenen Stückzinsen vergüten musste. Hätte die Klägerin die Anleihen nicht sogleich nach Erhalt veräußert, sondern bis zur Rückgabe selbst gehalten, weil z.B. ihr Kapitalbedarf unerwartet entfiel, oder hätte sie die ihr überlassenen Anleihen zur Besicherung eines von einem Dritten gewährten Gelddarlehens eingesetzt, so wäre es nicht zum Wiedererwerb der Anleihen nebst aufgelaufener Stückzinsen gekommen. Der Klägerin wären dann —auch wirtschaftlich betrachtet— für das Sachdarlehen nur Aufwendungen in Höhe der vereinbarten sog. Leihgebühr von 0,7 % bzw. 0,48 % entstanden, die sie der A Ltd. schuldete.

29 Eine Zusammenfassung der Sachdarlehensverträge und der Forwards, durch die die zurückzugebenden Anleihen von der X-Bank erworben wurden, wäre im Übrigen selbst dann ausgeschlossen, wenn beide ohne einander nicht denkbar wären, denn jedes einzelne Schuldverhältnis muss im Hinblick auf § 8 Nr. 1 GewStG 2002 grundsätzlich für sich beurteilt werden (BFH-Urteil in BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, betreffend Avalgebühr, zur Zusammenfassung mehrerer Schuldverhältnisse s. dort Rz 22). Einer (ausnahmsweisen) Zusammenfassung von Sachdarlehen und Forwards stand danach entgegen, dass es der Klägerin frei stand, wann und von wem sie die Anleihen zurückerwerben wollte.

30 3. Die im Zeitraum zwischen der Überlassung der Anleihen an die Klägerin und deren Rückgabe an die A Ltd. aufgelaufenen Stückzinsen sind ebenfalls nicht hinzuzurechnen. Sie stehen zwar mit der Überlassung des Sachdarlehens im Zusammenhang, es handelt sich jedoch auch insoweit nicht um „Entgelte für Schulden“ i.S. von § 8 Nr. 1 GewStG 2002.

31 a) Die Klägerin war nach § 607 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet, ein Darlehensentgelt zu zahlen und bei Fälligkeit Anleihen „gleicher Art, Güte und Menge“ zurückzugeben. Das Gesetz unterscheidet mithin zwischen der Rückgabe der Sache einerseits und der Zahlung eines Entgelts andererseits (vgl. dazu MüKoBGB/K. P. Berger, 8. Aufl., § 607 Rz 28 und 32).

32 Die Rückerstattungspflicht des Darlehensnehmers entsteht dabei nicht durch die im Abschluss des Darlehensvertrags manifestierte Vereinbarung der Parteien, sondern ohne Weiteres kraft Gesetzes als Folge der Vereinbarung der zeitlich begrenzten Überlassung der vereinbarten vertretbaren Sache durch den Darlehensgeber; sie steht —anders als die Pflicht zur Zahlung des Entgelts— nicht im Synallagma (MüKoBGB/K. P. Berger, a.a.O., § 607 Rz 32).

33 Da die während der Darlehenslaufzeit aufgelaufenen Stückzinsen den Anleihen gewissermaßen innewohnten oder anhafteten und eine Rückgabe der Anleihen ohne die Stückzinsen oder aber nur mit den bis zum Empfang der Anleihen von der A Ltd. aufgelaufenen Stückzinsen ausgeschlossen war, erfüllte die Klägerin insoweit lediglich ihre gesetzliche Rückerstattungspflicht und leistete kein Entgelt. Entgelt für die Darlehensgewährung (§ 609 BGB) war danach lediglich die in Nr. 5 des Rahmenvertrags vereinbarte sog. Leihgebühr, da es zu den in Nr. 6 des Rahmenvertrags geregelten Kompensationszahlungen nicht gekommen ist.

34 Die entgegenstehende Auffassung des FA liefe demgegenüber darauf hinaus, dass die Überlassung verzinslicher Anleihen im Wege eines unentgeltlichen Sachdarlehens ausgeschlossen wäre, weil Anleihen nicht von dem aufgelaufenen Zinsanspruch getrennt werden können oder dass ein unentgeltliches Sachdarlehen voraussetzen würde, dass der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer die aufgelaufenen Stückzinsen bei Rückgabe vergütet.

35 b) Die während der Darlehenslaufzeit aufgelaufenen Stückzinsen sind auch nicht als Entgelt i.S. von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 zu behandeln, weil die Klägerin als Eigentümerin von Wertpapieren oder als Forderungsinhaberin der Anleihen nach § 101 BGB ein Recht auf deren Früchte —hier: Zinsen— hatte und auf diese gegenüber der A Ltd. verzichtet hat.

36 aa) § 101 BGB regelt das schuldrechtliche Verhältnis sukzessiv Fruchtziehungsberechtigter untereinander (Erman/J. Schmidt, BGB, 16. Aufl., § 101 Rz 1). Die dispositive Vorschrift des § 101 BGB kommt jedoch in der Praxis nur selten zur Anwendung (vgl. , BFHE 147, 44, BStBl II 1986, 794, Rz 16 f.) und ist bei der Veräußerung von börsennotierten Wertpapieren nicht anwendbar, weil dort der Ausgleich schon im Kurswert berücksichtigt ist (, BGHZ 189, 261, Rz 23; Staudinger/Stieper (2017), BGB § 101 Rz 7; MüKoBGB/Stresemann, 9. Aufl., § 101 Rz 11).

37 bb) Nach dem zwischen der Klägerin und der A Ltd. geschlossenen Rahmenvertrag sollen die Zinsen der überlassenen Anleihen weiterhin der Verleiherin zustehen. In dieser konkludenten Abbedingung des § 101 Nr. 2 BGB liegt hinsichtlich des Verzichts auf die Vergütung von Stückzinsen kein zusätzliches Entgelt für die Gewährung des Wertpapierdarlehens.

38 Denn ein Anspruch aus § 101 Nr. 2 BGB bestand nicht, weil es sich um börsennotierte Anleihen handelte. Die Annahme eines zusätzlichen Entgelts wäre aber selbst dann ausgeschlossen, wenn ein Anspruch der Klägerin aus § 101 Nr. 2 BGB hätte entstehen können. Denn eine vertragliche Vereinbarung, die die Anwendung des § 101 Nr. 2 BGB ausschließt, ist der Besteuerung grundsätzlich zugrunde zu legen; die Früchte sind dann nicht anteilig dem Rechtsvorgänger zuzurechnen, weil sie während seiner Inhaberschaft oder Besitzzeit entstanden sind oder erwirtschaftet wurden (z.B. , BFH/NV 2005, 239).

39 cc) Dem FA ist zuzugestehen, dass der Verzicht auf eine zustehende Forderung als Entgelt zu qualifizieren sein kann. Dies setzt indessen regelmäßig voraus, dass ein entsprechender Anspruch bereits besteht. Ein Entgelt ist daher nicht gegeben, wenn nicht ein bestehender Anspruch z.B. erlassen wird, sondern ein —möglicher— Anspruch durch entsprechende Vertragsgestaltung nicht zur Entstehung gelangt. Eine Regelung, durch die von § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 BGB abgewichen wird, ist —sofern nicht rechtsmissbräuchlich— steuerlich hinzunehmen (, BFHE 125, 532, BStBl II 1978, 674, und vom  - VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540, bestätigt durch Beschluss des Großen Senats des , BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272; , BFHE 141, 255, BStBl II 1984, 746, Rz 12).

40 c) Für das vorstehende Ergebnis ist unerheblich, wie der der Klägerin entstandene Aufwand für die dem Veräußerer der Anleihen vergüteten Stückzinsen oder die Sachdarlehensverbindlichkeit bilanziell dargestellt wurde. Die von der Klägerin vorgenommene Zuschreibung auf dem Wertpapierdarlehenskonto führt nicht dazu, dass dieser Betrag —was für die Hinzurechnung erforderlich wäre— als der A Ltd. zugeflossenes Entgelt für deren Sachdarlehen zu behandeln wäre. Bilanzielle Bewertungs- bzw. Wertberichtigungsmaßnahmen im Schuldnervermögen sind nicht als Entgelt zu qualifizieren (BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1588, HFR 2014, 1007, Rz 18; Haisch/Helios, a.a.O., § 4 Rz 260; vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, Gewerbesteuer-Handbuch 2016, § 8 GewStG H 8.1 zu Teilwertabschreibungen).

41 d) Unerheblich ist auch, dass der Rückerwerb aufgrund des mit der Bank vereinbarten Forwards bereits im Zeitpunkt der Veräußerung der Anleihen feststand. Ob die zurückgegebenen Anleihen vor Ende der Sachdarlehenslaufzeit unmittelbar von der X-Bank geliefert (physical delivery) oder aber von Dritten oder an der Börse erworben wurden und die Bank aufgrund des Forwards lediglich einen Barausgleich leistete, ist ebenfalls ohne Bedeutung.

42 e) Der Senat verkennt nicht, dass sich die Klägerin durch die gewählte Gestaltung —Kombination des Sachdarlehens mit der Veräußerung und dem Rückerwerb der erhaltenen Anleihen, wobei die Stückzinsen zu vergüten waren— wirtschaftlich betrachtet ein Gelddarlehen verschafft hat, für das sie neben der Leihgebühr auch die Differenz der bei der Veräußerung der Anleihen vom Käufer erhaltenen und der von ihr beim Rückerwerb dem Verkäufer vergüteten Stückzinsen aufwenden musste, wobei die Rückgewähr zu einem Verlust der bis dahin ihr zustehenden Stückzinsen führte, während die A Ltd. sowohl die Leihgebühr als auch die während der Darlehenslaufzeit entstandenen Anleihenszinsen erhalten hat.

43 Das ist für das Ergebnis des Rechtsstreits aber ohne Bedeutung, weil für die Bestimmung der hinzuzurechnenden „Entgelte für Schulden“ der Gesetzeswortlaut und grundsätzlich nicht eine davon abweichende wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Für eine am Gesetzeswortlaut orientierte und gegen eine wirtschaftliche Auslegung hat sich der BFH im Übrigen auch —dort zu Gunsten der Verwaltung— beim Leasing im Doppelstockmodell sowie bei der Weiter- und Zwischenvermietung entschieden (Senatsurteil vom  - III R 23/16, BFHE 263, 260, BFH/NV 2019, 640; , BFHE 256, 519, BStBl II 2017, 722; vom  - I R 70/12, BFHE 246, 67, BStBl II 2015, 289, und Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 25, offengelassen bei durchgeleitetem Darlehen).

44 Dies widerspricht schließlich auch nicht dem BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1588, HFR 2014, 1007. Denn jener Entscheidung liegt keine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde, sondern die Erwägung, dass die monatlichen Zahlungen der dortigen Klägerin an die Verkäuferin nicht der Abwicklung oder Erfüllung des Kaufvertrags dienten, sondern die Klägerin auf den eigenständigen Rechtsgrund der Freistellungsverpflichtung zahlte, durch die wiederum die Anschaffung von Wirtschaftsgütern entgolten wurde.

45 f) Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass die gewählte Gestaltung als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO) gewertet werden könnte. Die Beteiligten haben dazu nichts vorgetragen, und das FG hat nicht festgestellt, dass es sich um eine ungewöhnliche Gestaltung handelt.

46 4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:U.071021.IIIR15.18.0- 2 -

Fundstelle(n):
BStBl 2022 II Seite 625
AG 2022 S. 544 Nr. 15
BB 2022 S. 405 Nr. 8
BB 2022 S. 995 Nr. 18
BFH/NV 2022 S. 337 Nr. 4
BFH/NV 2022 S. 637 Nr. 6
BFH/PR 2022 S. 152 Nr. 6
DStR 2022 S. 358 Nr. 8
DStR-Aktuell 2022 S. 10 Nr. 7
DStRE 2022 S. 308 Nr. 5
DStRE 2022 S. 632 Nr. 10
EStB 2022 S. 196 Nr. 6
FR 2022 S. 667 Nr. 14
GmbH-StB 2022 S. 100 Nr. 4
GmbHR 2022 S. 824 Nr. 15
KÖSDI 2022 S. 22638 Nr. 3
KÖSDI 2022 S. 27717 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 17/2022 S. 1217
StuB-Bilanzreport Nr. 10/2022 S. 396
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2022 S. 195
ZIP 2022 S. 1106 Nr. 22
QAAAI-04353