Erschließungsbeitragsrecht in Bayern; Ersetzung fortgeltenden Bundesrechts
Leitsatz
Die nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fortgeltenden Regelungen der §§ 127 bis 135 BauGB zum Erschließungsbeitrag sind in Bayern spätestens durch Art. 5a des bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes vom (GVBl S. 36) gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt worden.
Gesetze: § 130 Abs 2 BauGB, Art 125a Abs 1 S 1 GG, Art 125a Abs 1 S 2 GG, Art 5a KAG BY
Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 6 B 20.1619 Beschlussvorgehend VG Ansbach Az: AN 3 K 18.00258 Urteil
Gründe
1Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
2Die Revision ist nicht, wie die Beklagte allein geltend macht, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
3Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
4Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen,
wie der Verlauf einer Hauptstraße erschließungsbeitragsrechtlich beim Zusammentreffen mehrerer gemeindlicher Erschließungsanlagen zu bewerten ist,
ob der Verlauf zwingend so zu bewerten ist, dass die abknickende Straße als Nebenstraße bewertet wird, und
nach welchen Kriterien festzulegen ist, ob einer Erschließungsstraße die Funktion einer Verlängerung der Hauptstraße zukommt oder sie zwingend als von der Hauptstraße abzweigende Nebenstraße zu bewerten ist,
betreffen mit Art. 5a Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 9 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes vom (GVBl S. 36 - BayKAG 2016 -) in Verbindung mit § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts.
5Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG in der Fassung des Gesetzes vom (BGBl. I S. 3146) erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht mehr auf das Erschließungsbeitragsrecht, das daher nach Art. 70 Abs. 1 GG in die alleinige Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Zwar gelten die erschließungsbeitragsrechtlichen Bestimmungen der §§ 127 bis 135 BauGB, die nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnten, nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Sie können aber nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat der bayerische Landesgesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die §§ 127 bis 135 BauGB durch Art. 5a BayKAG ersetzt und - soweit sie entsprechend anwendbar bleiben - in Landesrecht überführt (stRspr, vgl. etwa VGH München, Beschlüsse vom - 6 B 00.755 - juris Rn. 2 f., vom - 6 B 99.44 - BayVBl 2003, 21, vom - 6 CS 16.1032 - juris Rn. 12 und vom - 6 ZB 18.1416 - juris Rn. 18). An diese Auslegung des Landesrechts ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 560 ZPO gebunden ( 9 B 31.13 - juris Rn. 2).
6Sie steht auch mit Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG im Einklang. Diese Regelung ermächtigt die Länder, das nach Wegfall der Gesetzgebungskompetenz des Bundes als Bundesrecht fortbestehende Recht durch Landesrecht zu ersetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es den Ländern aber verwehrt, bei Fortbestand der bundesrechtlichen Regelung einzelne Vorschriften zu ändern. Denn die andernfalls entstehende Mischlage aus Bundes- und Landesrecht für ein und denselben Regelungsgegenstand im selben Anwendungsbereich wäre im bestehenden System der Gesetzgebung ein Fremdkörper. Eine Ersetzung des Bundesrechts erfordert vielmehr, dass der Landesgesetzgeber die Materie, gegebenenfalls auch nur einen abgegrenzten Teilbereich, in eigener Verantwortung regelt. Dabei ist er nicht gehindert, ein mit dem bisherigen Bundesrecht weitgehend gleichlautendes Landesrecht zu erlassen ( - juris Rn. 11 unter Bezugnahme auf - BVerfGE 111, 10 <29 f.>). Erforderlich ist insoweit ein eindeutig bekundeter Rezeptionswillen, der nach außen deutlich macht, dass es sich bei den bisher als Bundesrecht fortgeltenden Bestimmungen künftig um Landesrecht handeln soll ( 9 B 61.16 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 56 Rn. 4).
7Dies zugrunde gelegt, geht der Verwaltungsgerichtshof im Einklang mit Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG davon aus, dass der bayerische Landesgesetzgeber die bundesrechtlichen Regelungen der §§ 127 bis 135 BauGB durch Landesrecht ersetzt hat. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom - 9 B 31.13 - (juris Rn. 3) Zweifel daran geäußert haben sollte, ob Art. 5a BayKAG in der Fassung der Gesetze vom (GVBl S. 541) und vom (GVBl S. 322) die Anforderungen erfüllte, die an ein die §§ 127 bis 135 BauGB ersetzendes Landesgesetz von Verfassungs wegen zu stellen sind (vgl. dazu Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand April 2021, Rn. 8; Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2021, vor §§ 127 ff. Rn. 3), bestehen solche Zweifel für den hier einschlägigen Art. 5a BayKAG 2016 nicht, so dass die §§ 127 bis 135 BauGB spätestens mit dessen Inkrafttreten durch Landesrecht ersetzt worden sind.
8Der bayerische Landesgesetzgeber hat das Erschließungsbeitragsrecht durch Art. 5a BayKAG 2016 vollständig in eigener Verantwortung geregelt. Bereits nach dem Wortlaut von Art. 5a Abs. 1 BayKAG 2016, wonach die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die in Art. 5a Abs. 2 BayKAG 2016 genannten Erschließungsanlagen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und damit der übrigen Absätze der Regelung Erschließungsbeiträge erheben, enthält Art. 5a BayKAG 2016 eine abschließende Regelung des Erschließungsbeitragsrechts. Dass eine solche, das fortgeltende Bundesrecht ersetzende landesrechtliche Regelung bezweckt ist, betont die Gesetzesbegründung ausdrücklich (LT-Drs. 17/8225 S. 17). Es wird darüber hinaus nach außen daran deutlich, dass in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 BayKAG in der Fassung des Gesetzes vom (GVBl S. 36) als Grundlage für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nicht mehr das Baugesetzbuch, sondern Art. 5a BayKAG genannt wird und dass die zur Anwendung kommenden erschließungsbeitragsrechtlichen Regelungen des Baugesetzbuchs nach Art. 5a Abs. 9 BayKAG 2016 ausdrücklich nur noch entsprechend gelten.
9Der Ersetzung des Bundesrechts steht auch nicht entgegen, dass der Wortlaut der zu übernehmenden Regelungen des Baugesetzbuchs in Art. 5a BayKAG 2016 nicht wiedergegeben wird, sondern diese Vorschriften stattdessen durch Art. 5a Abs. 9 BayKAG 2016 für entsprechend anwendbar erklärt werden (a.A. Rottenwallner, NVwZ 2016, 1290 <1293>). Der Landesgesetzgeber ist, wie ausgeführt, nicht gehindert, im Rahmen der Ersetzung des Bundesrechts ein mit dem bisherigen Bundesrecht weitgehend gleichlautendes Landesrecht zu erlassen ( - juris Rn. 11). Ob dies durch die Aufnahme der mit bisherigem Bundesrecht übereinstimmenden Regelungen in den Gesetzestext oder durch eine Verweisung auf die betreffenden bundesrechtlichen Vorschriften geschieht, ist lediglich eine Frage der Gesetzgebungstechnik.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:291121B9B7.21.0
Fundstelle(n):
BAAAI-03817