Ergänzung von Ermessenserwägungen bei Sperrerklärung
Gesetze: § 99 Abs 2 VwGO, § 99 Abs 1 VwGO
Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 27 F 2551/18 Beschlussvorgehend VG Gießen Az: 4 K 4055/18.GI Beschluss
Gründe
I
1In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin Auskunft über die beim ... (Beklagter) zu ihrer Person gespeicherten Daten, deren vollständige Bekanntgabe der Beklagte gestützt auf § 26 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) vom (GVBl. S. 302) teilweise abgelehnt hat.
2Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die vollständigen Unterlagen zu übersenden. Daraufhin wurde ein teilweise geschwärzter Teil der Akten vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten unter Vorlage von Sperrerklärungen des ... (Beigeladener) vom 1. und verweigert.
3Das Verwaltungsgericht hat die Sache auf Antrag der Klägerin dem Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom zur Durchführung des In-camera-Verfahrens vorgelegt (Vorlagebeschluss) und ausgeführt, es halte die Kenntnis der vollständigen und ungeschwärzten Fassung der Akten für entscheidungserheblich.
4Nachdem der Beigeladene die jeweils einschlägigen Begründungen in den Sperrerklärungen noch einmal mit Schriftsatz vom jedem Aktenstück zugeordnet hatte, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom nur bestimmte Schwärzungen für rechtswidrig erklärt und im Übrigen den Antrag, die Sperrerklärungen für rechtswidrig zu erklären, abgelehnt.
5Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
6Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
71. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt für seine Zulässigkeit voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen in ordnungsgemäßer Form bejaht hat (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 5.18 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 75 Rn. 12 und vom - 20 F 8.17 - juris Rn. 5).
8Zwar hat das Verwaltungsgericht keinen - regelmäßig erforderlichen - Beweisbeschluss gefasst, auf Grundlage dessen die Sperrerklärung zeitlich nachfolgend und inhaltlich abgestimmt abgegeben wurde ( 20 F 3.20 - Rn. 8 m.w.N.); vielmehr wurde eine förmliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts erst mit dessen Vorlagebeschluss vom Beschluss vom getroffen, während die Sperrerklärungen des Beigeladenen bereits vom 1. und datieren. Der Vorlagebeschluss weist jedoch noch die Qualität einer zumindest vergleichbaren förmlichen Äußerung auf (vgl. 20 F 6.19 - juris Rn. 11).
9Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommen, dass bei der rechtlichen Würdigung der Sperrerklärungen die dem Vorlagebeschluss nachfolgenden schriftsätzlichen Darlegungen des Beigeladenen vom noch berücksichtigt werden dürfen. Bei Sperrerklärungen ist die Ergänzung von Ermessenserwägungen wie sonst auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht möglich, wenn die neuen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorliegen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird ( 20 F 2.19 - juris Rn. 27 m.w.N.). Vorliegend hat der Beigeladene die bereits mit der Sperrerklärung vom (konkret bezogen auf die Verfahrensakte) und vom (konkret bezogen auf die Personenakte) präzise den Geheimhaltungsgründen zugeordneten Verweigerungsgründe (vgl. 20 F 5.12 - juris Rn. 8 m.w.N.) lediglich veranschaulichend ergänzt. Dies ist in einem bereits anhängigen Zwischenverfahren im Interesse einer prozessökonomischen Entscheidung über die Weigerungsgründe zulässig ( 20 F 12.17 - juris Rn. 9).
102. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Er hat das Vorliegen der mit den Sperrerklärungen differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe auch einzelfallbezogen zutreffend gewürdigt.
11a) Ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen. Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen. Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt, vorzulegen (zusammenfassend: 20 F 2.18 - juris Rn. 15).
12b) Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter. Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch bei Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (zusammenfassend: 20 F 2.18 - juris Rn. 16).
13c) Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe mit Ausnahme der vom Verwaltungsgerichtshof bereits beanstandeten Schwärzungen (auf Blatt 16, 20 und 50 der Verfahrensakte) bestehen. Hinsichtlich der Blätter 46 bis 48 der Personenakte hat der Beklagte die Vorlage zwar auch mit der Begründung verweigert, dass keine Freigabe der Informationen durch eine andere Behörde vorliege. Dies steht jedoch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats, dass allein der Widerspruch einer Behörde für sich genommen nicht ausreicht, um insoweit Schwärzungen oder Vorlageverweigerungen zu rechtfertigen, weil nicht jeder Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden geheim sei ( 20 F 7.19 - NVwZ 2020, 971 Rn. 11). Denn vorliegend war die Partnerbehörde nicht Empfänger einer Information, sondern Absender einer solchen, der - wie aus dem Hinweis auf Blatt 47 eindeutig folgt - auch darauf vertraute, dass sie nicht preisgegeben würde. Ungeachtet dessen würden die sonstigen vom Beklagten rechtmäßig herangezogenen Geheimhaltungsgründe dazu führen, dass es ansonsten zur Freigabe inhaltsleerer und nichtssagender Restbestände käme ( 20 F 1.19 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 78 Rn. 12). Letzteres gilt insbesondere, wenn lediglich die auf Blatt 29 der Verfahrensakte erfolgte Schwärzung einer Unterstreichung für rechtswidrig erklärt würde. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen.
14d) Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem zutreffend ausgeführt, dass der Beigeladene in seinen Sperrerklärungen eine auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten beruhende Ermessensentscheidung getroffen hat, die den rechtlichen Anforderungen genügt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 2.19 - juris Rn. 26 ff. und vom - 20 F 6.19 - juris Rn. 16 ff.).
153. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:051020B20F7.20.0
Fundstelle(n):
ZAAAI-01719