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Life Cycle Costing: Lebenszykluskostenrechnung
Das Prüfungsgebiet „Angewandte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre“ umfasst in der Angewandten Betriebswirtschaftslehre gem. § 4 Abs. 3 WiPrPrüfV die Kosten- und Leistungsrechnung bzw. Planungs- und Kontrollinstrumente, die auch regelmäßig Bestandteile in (mindestens) einer Aufsichtsarbeit des Prüfungsgebiets werden. In der 2. Aufsichtsarbeit vom wurde sich dabei der Lebenszykluskostenrechnung angenommen. In den einschlägigen Lehrwerken finden sich nur eingeschränkt konkrete Beispielsfälle zur Vorbereitung auf diese Thematik. Insofern diskutiert der nachfolgende Beitrag eine mögliche Lösung der diesbezüglichen Aufgabenstellung.
I. Einordnung
Traditionell konzentriert sich das Rechnungswesen auf die Marktphase von Produkten, d. h. auf die während der Produktion und des Absatzes anfallenden Kosten bzw. Leistungen in Form der Kosten- und Leistungsrechnung. Da im Vorfeld der Marktphase Kosten anfallen, denen zumindest zu diesem Zeitpunkt noch keine marktreifen Produkte gegenübergestellt werden können sowie im Nachgang zur Marktphase ebenfalls Kosten wie auch mögliche Leistungen anfallen, die sich nicht mehr auf die zuvor abgesetzten Produkte beziehen und sich daher Abgrenzungsprobleme ergeben können, wenn dies nicht oder nur unzureichend Berücksichtigung findet, wird ersichtlich, dass eine „ganzheitliche Betrachtungsweise“ von Kosten und Leistungen über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts sinnvoll erscheint.
Die Lebenszyklusrechnung versteht sich folglich als Analyse der Totalperiode, d. h. des gesamten Lebenszyklus eines Projekts. Dieser wiederum gliedert sich in die Teilphasen der Vorlaufphase, der Marktphase und der Nachlaufphase. Für jede dieser Phasen sind unterschiedliche Zahlungsströme und Verläufe von Zahlungsströmen charakteristisch.
Während sich in der Vorlaufphase (d. h. vor Markteinführung des Produkts) regelmäßig ausschließlich Auszahlungen ergeben, die sich typischerweise auf Forschung & Entwicklung beziehen, wird in der Marktphase der Verlauf der Einführung, des Wachstums, der Reife und Sättigung des Produkts bzw. der Nachfrage am Markt unterstellt. In dieser sollten sich insgesamt durch das Produkt Einzahlungsüberschüsse ergeben, sofern die mit den Umsätzen verbundenen Einzahlungen die mit der Produktion verbundenen Auszahlungen überwiegen.
In der Nachlaufphase des Produkts ist der Absatz des Produkts rückläufig bzw. bereits zum Erliegen gekommen. Hier ergeben sich produktbezogene Zahlungsströme insbesondere noch für Gewährleistungen und Reparaturservice (sog. Ersatzteilgeschäft). Darüber hinaus fallen Kosten (und damit künftige Auszahlungen) für die Produktentsorgung und ggf. den Anlagenabbruch an. Die Entsorgung der Anlagen kann auch mit einem Einzahlungsüberschuss einhergehen, nämlich dann, wenn die Veräußerung der Anlage die Abbruchs- respektive Abbaukosten übersteigt. Zu beachten ist jedoch, dass eine Beeinflussung der Kostensituation der Nachlaufphase zu diesem Zeitpunkt nur noch begrenzt machbar ist.
Insofern empfiehlt sich die Gesamtbetrachtung des Lebenszyklus unter Berücksichtigung aller anfallenden Kosten, mit der Möglichkeit, sich ergebende Auswirkungen bestimmter Entscheidungen und deren Auswirkungen auf Zeitpunkt und Höhe von Zahlungsflüssen anhand von Planungsrechnungen zu modellieren. Die Lebenszyklusrechnung ermöglicht daher Entscheidungen über Produktkonzepte bzw. produktbezogene Investitionen, da Veränderungen der betrachteten Größen im Zeitablauf sowie Verbundwirkungen und deren Einflüsse unmittelbar berücksichtigt werden können – auch wenn dies sachlogisch zu diesem Zeitpunkt mit einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden ist.
Zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit des Produkts bzw. weiterer produktbezogener Investitionen und deren Auswirkungen wird sich des Kapitalwerts bedient und vereinfachend unmittelbar auf Zahlungen anstelle von Kosten abgestellt, da die Notwendigkeit zur Abgrenzung durch die ganzheitliche Betrachtung entfällt. Übersicht 1 zeigt dabei typische Zahlungsverläufe im Zeitablauf während der verschiedenen Phasen auf. S. 33
II. Aufgabenstellung
Ein junges Unternehmen möchte mit seinem ersten Produkt in den Markt eintreten, weitere Produkte sind aktuell nicht geplant.
Das Produkt muss in der Vorlaufphase von zwei Jahren entwickelt werden. Diese Entwicklung führt im Jahr t=0 zu einer Auszahlung i. H. von 1 Mio. GE, im Jahr t=1 i. H. von 1,32 Mio. GE.
Die Marktphase umfasst drei Jahre (t=2, t=3 und t=4). Es wird im Jahr t=2 (t=3; t=4) mit einem erzielbaren Absatzpreis von 900 GE (800 GE; 600 GE) bei Absatzmengen von 2.000 Stück (3.000 Stück; 1.000 Stück) gerechnet. Die variablen Stückkosten im Jahr t=2 betragen 300 GE; sie sinken in den beiden Folgejahren jeweils um 10 %. Für die Marktphase wird mit jährlichen Fixkosten von 80.000 GE gerechnet.
Eines der Bauteile, von dem genau eines pro Produkt benötigt wird, ist als fehleranfällig eingestuft worden, was die Verbraucher bereits vermuten. Deshalb sichert das Unternehmen zu, bis zum Jahr t=6 (einschließlich) Ersatzteile zu einem Stückpreis von 100 GE bei einem Einkaufspreis von 150 GE pro Stück zu liefern. Das Unternehmen geht von jährlich 600 Fällen in t=4, t=5 und t=6 aus.
Alle genannten Kostenpositionen sind in voller Höhe zahlungswirksam. Der relevante Zinssatz beträgt 10 %. Die Umsatzsteuer kann vernachlässigt werden, die angegebenen Werte sind Netto-Werte.
Ermitteln Sie Deckungsbeiträge und Betriebsergebnisbeiträge des Produkts für die Jahre der Marktphase. Wie beurteilen Sie Produktion und Absatz des Produkts? (15 Punkte)
Beurteilen Sie im Wege einer Lebenszykluskostenrechnung auf Basis von Zahlungen die Vorteilhaftigkeit der Produktion anhand einer Kapitalwertrechnung. (15 Punkte)
Das Unternehmen hat die Möglichkeit, sich von der Lieferung der Ersatzteile in t=5 und t=6 „freizukaufen“: Der Lieferant bietet an, gegen eine einmalige Zahlung in t=0 i. H. von 20.000 GE sämtliche Lieferungen direkt mit den Kunden abzuwickeln, so dass keine Zahlungen für das Unternehmen selbst anfallen. Wie beurteilen Sie die Vorteilhaftigkeit anhand des Kapitalwerts der Produktion, wenn dieses Angebot genutzt wird? (11 Punkte)
Diskutieren Sie allgemein, wie Zahlungen der Vor- und Nachlaufphase kostenrechnerisch in der Marktphase berücksichtigt werden könnten. Wie beurteilen Sie die Eignung dieser Ansätze? Diskutieren Sie in diesem Zusammenhang auch die Eignung des Begriffs „Lebenszykluskostenrechnung“ für die in Teilaufgabe b) durchgeführte Rechnung. (12 Punkte)