BSG Urteil v. - B 11 AL 2/21 R

Berufliche Weiterbildung - Anspruch auf Weiterbildungsprämie bei Bestehen einer Zwischenprüfung - erster Teil einer gestreckten Abschlussprüfung - Ausbildung für Büromanagementkaufleute - kurze Weiterbildungsdauer und kurzer Zeitraum zwischen dem ersten und zweiten Teil der gestreckten Abschlussprüfung - keine analoge Anwendung - Verfassungsmäßigkeit

Leitsatz

Die Absolvierung des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung begründet jedenfalls dann keinen Anspruch auf eine Weiterbildungsprämie für das Bestehen einer Zwischenprüfung, wenn die Weiterbildungsmaßnahme ein Jahr oder weniger gedauert hat und zwischen dem ersten und zweiten Teil der gestreckten Abschlussprüfung lediglich wenige Monate liegen.

Gesetze: § 81 Abs 1 SGB 3, § 131a Abs 3 Nr 1 SGB 3 vom , § 131a Abs 3 Nr 2 SGB 3 vom , § 444a Abs 2 SGB 3 vom , § 37 Abs 1 S 3 BBiG 2005, § 44 BBiG 2005, § 48 Abs 1 S 1 BBiG 2005, § 48 Abs 2 Nr 1 BBiG 2005, BüroMKfAusbV, BüroMKfAusbVErprV, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 15 AL 569/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 20 AL 53/19 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Weiterbildungsprämie nach Bestehen des ersten Teils einer gestreckten Abschlussprüfung.

2Die Klägerin nahm zwischen dem und dem an einer durch die Beklagte als Weiterbildung zur Kauffrau für Büromanagement geförderten Maßnahme zur Vorbereitung auf die Externenprüfung teil. Sie bestand am den ersten Teil sowie am und den zweiten Teil der gestreckten Abschlussprüfung.

3Auf ihren Antrag vom zahlte die Beklagte der Klägerin eine Weiterbildungsprämie in Höhe von 1500 Euro nach Bestehen der Abschlussprüfung aus, lehnte die Gewährung der Prämie nach § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III in Höhe von 1000 Euro jedoch ab, da die Klägerin keine Zwischenprüfung bestanden habe (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ).

4Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom ). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Prämie, da die für die Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement einschlägigen Vorschriften keine Zwischenprüfung, sondern die sog gestreckte Abschlussprüfung vorsähen. Deren erster Teil könne nicht mit einer Zwischenprüfung gleichgesetzt werden, da auch das Berufsbildungsgesetz (BBiG) zwischen dieser und der gestreckten Abschlussprüfung unterscheide.

5Die Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom ). Der Wortlaut von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III sehe ausdrücklich vor, dass eine Zwischenprüfung bestanden werden müsse. Die Ausführungen in den Gesetzgebungsmaterialien, dass bei Ausbildungsberufen mit gestreckter Abschlussprüfung deren erster Teil mit einer Zwischenprüfung gleichgestellt werde, habe im Wortlaut der gesetzlichen Regelung keinen Niederschlag gefunden. Da der (eindeutige) Wortlaut die Grenze für die Auslegung von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III darstelle, komme es auf das Ergebnis sonstiger Auslegungskriterien von vornherein nicht an. Die Klägerin könne auch keinen Anspruch aus einer analogen Anwendung von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III herleiten. Eine solche scheitere jedenfalls daran, dass es an einer vergleichbaren Interessenlage fehle. Mit der Prämie für das Bestehen einer Zwischenprüfung solle gefördert werden, eine abschlussbezogene, mehrjährige und von der Beklagten geförderte berufliche Weiterbildung aufzunehmen und durchzuhalten. Die von der Klägerin absolvierte Weiterbildung habe lediglich ca neun bzw elfeinhalb Monate gedauert.

6Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III. Der erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung ersetze nach den einschlägigen Ausbildungsvorschriften die Zwischenprüfung, sodass erstere auch als "Zwischenprüfung" iS von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III anzusehen sei. Bei der in der Begründung des Gesetzentwurfs erfolgten Gleichstellung des ersten Teils der gestreckten Abschlussprüfung mit der Zwischenprüfung handele es sich um eine Klarstellung des Regelungsgehalts der Vorschrift. Der Begriff der "Zwischenprüfung" in § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III sei zudem nicht abschließend, da es dem Gesetzgeber unmöglich gewesen sei, jede Begriffsbestimmung aller Ausbildungsordnungen bestimmen zu können.

7Die Klägerin beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und des Sozialgerichts Köln vom aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verurteilen, ihr eine Weiterbildungsprämie iHv 1000 Euro zu zahlen.

8Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

9Die Beklagte hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Gründe

10Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat ihre Berufung zu Recht zurückgewiesen.

11Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , mit dem die Beklagte die Gewährung der Weiterbildungsprämie iHv 1000 Euro nach Bestehen des ersten Teils der gestreckten Abschlussprüfung abgelehnt hat. Ihr Begehren auf Gewährung dieser Prämie verfolgt die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).

12Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Weiterbildungsprämie.

13Gemäß § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III in der hier anzuwendenden, vom bis geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz [AWStG]) vom (BGBl I 1710) erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen, die zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf führt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist, nach Bestehen einer in diesen Vorschriften geregelten Zwischenprüfung eine Prämie von 1000 Euro, wenn die Maßnahme vor Ablauf des beginnt. Nach § 444a Abs 2 SGB III (ebenfalls in der Fassung des AWStG vom ) gilt der Anspruch auf Zahlung einer Weiterbildungsprämie nach § 131a Abs 3 für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an einer nach § 81 geförderten beruflichen Weiterbildung teilnehmen, die nach dem beginnt.

14Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist der Anwendungsbereich des § 131a Abs 3 SGB III auch eröffnet, wenn - wie hier - eine sog Externenprüfung mit verkürzter Weiterbildungsdauer durchgeführt worden ist. § 131a Abs 3 SGB III stellt nicht auf die Dauer der konkreten Weiterbildungsmaßnahme ab, sondern auf die für den Ausbildungsberuf abstrakt in den bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften festgelegte Ausbildungsdauer. Hier liegt eine Weiterbildung zur Kauffrau für Büromanagement vor; für die Ausbildung zu diesem Beruf ist gemäß § 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann für Büromanagement und zur Kauffrau für Büromanagement - Büromanagementkaufleute-Ausbildungsverordnung - (BüroMKfAusbV) vom (BGBl I 4125) eine Dauer von drei Jahren vorgeschrieben.

15§ 131a Abs 3 Nr 1 SGB III stellt eine Anspruchsgrundlage indes nur für Zwischenprüfungen dar, die in den bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften über die Ausbildung für den jeweiligen Ausbildungsberuf geregelt sind. Die Klägerin hat nicht eine Zwischenprüfung, sondern eine aus zwei Prüfungsteilen bestehende gestreckte Abschlussprüfung bestanden. § 6 Abs 1 BüroMKfAusbV sieht zwar vor, dass zur Ermittlung des Ausbildungsstandes eine Zwischenprüfung durchzuführen ist, die zur Mitte des zweiten Ausbildungsjahres stattfinden soll. Allerdings hat der Verordnungsgeber von der in § 6 BBiG geregelten Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht und die vom bis gültige Verordnung über die Erprobung abweichender Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen in der BüroMKfAusbV (BüroMKfAusbVErprV) vom (BGBl I 4141), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom (BGBl I 1207), erlassen. Nach deren § 1 Abs 2 ist ua § 6 BüroMKfAusbV nicht anzuwenden, mithin findet die Zwischenprüfung nicht statt. Stattdessen ordnet § 2 Abs 2 Satz 1 BüroMKfAusbVErprV an, dass die Abschlussprüfung aus den zeitlich auseinanderfallenden Teilen 1 und 2 besteht. Teil 1 der Abschlussprüfung soll dabei zur Mitte des zweiten Ausbildungsjahres stattfinden (§ 3 Abs 1 BüroMKfAusbVErprV).

16Der von der Klägerin auf dieser Grundlage bestandene erste Teil der gestreckten Abschlussprüfung wird nicht von § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III erfasst. § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III knüpft mit dem Begriff "Zwischenprüfung" ebenso wie mit dem Begriff "Abschlussprüfung" in Nr 2 ersichtlich an die Terminologie des BBiG zur Berufsausbildung an. § 37 bis § 47 BBiG regeln die Abschlussprüfung. Dabei ergibt sich aus § 37 Abs 1 Satz 3, Abs 2 Satz 3, § 44 BBiG, dass die Abschlussprüfung in zwei auseinanderfallenden Teilen durchgeführt werden kann. Demgegenüber regelt § 48 BBiG die Zwischenprüfung. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 BBiG ist während der Berufsausbildung zur Ermittlung des Ausbildungsstandes eine Zwischenprüfung entsprechend der Ausbildungsordnung durchzuführen. Nach § 48 Abs 2 Nr 1 BBiG entfällt die Zwischenprüfung, sofern die Ausbildungsordnung vorsieht, dass die Abschlussprüfung in zwei zeitlich auseinanderfallenden Teilen durchgeführt wird.

17Die Anknüpfung in § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III an die Begrifflichkeit des BBiG ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, die gerade auf die ausbildungsrechtlichen Vorschriften verweist. Diese Begriffsverwendung erfolgt auch nicht zufällig, sondern der Gesetzgeber war sich ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes dieser begrifflichen Unterscheidung bewusst (Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom , BT-Drucks 18/8042 S 27). Es wäre dem Gesetzgeber zudem ohne Weiteres möglich gewesen, auch den ersten Teil einer gestreckten Abschlussprüfung in den Normtext des § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III aufzunehmen; der Einwand des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass der Gesetzgeber nicht alle Fallkonstellationen ausdrücklich regeln könne, überzeugt daher nicht.

18Da der eindeutige Wortlaut einer Norm eine Auslegungsgrenze bildet ( ua - BVerfGE 57, 361 [388] = juris RdNr 80; - BVerfGE 138, 64 [93 f, RdNr 86] mwN; - BVerfGE 153, 1 [53, RdNr 118]), steht dies hier einer Auslegung entgegen, nach der auch der erste Teil einer gestreckten Abschlussprüfung als Zwischenprüfung iS des § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III verstanden werden könnte, denn auch der erste Teil einer gestreckten Abschlussprüfung ist nach § 37 Abs 1 Satz 3 BBiG gerade Teil der Abschlussprüfung; es handelt sich nicht um eine Zwischenprüfung iS des § 48 BBiG.

19Die durch den Wortlaut gezogene Auslegungsgrenze steht einer anderen Auslegung auch unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien entgegen. Zwar ist der Wille des Gesetzgebers für die Normauslegung von maßgeblicher Bedeutung; ihm kommt zumindest eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (vgl ua - BVerfGE 133, 168 [205, RdNr 66]; ua - BVerfGE 149, 126 [154 f, RdNr 74]). Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille bildet - ebenso wie der Normwortlaut - zudem eine Auslegungsgrenze ( - BVerfGE 138, 64 [94, RdNr 86] mwN; - BVerfGE 148, 69 [130 f, RdNr 150] mwN; - BVerfGE 153, 1 [53, RdNr 118]; - BSGE 104, 285 = SozR 4-4300 § 335 Nr 2, RdNr 16; - SozR 4-4200 § 22 Nr 107 RdNr 42). Denn Bindung der Gerichte an das "Gesetz" bedeutet eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind ( ua - BVerfGE 149, 126 [155, RdNr 75]; BVerfG [K] vom - 1 BvR 318/17 ua - juris RdNr 32). Zwar wird die Begründung des Gesetzentwurfes regelmäßig nicht von Abgeordneten verfasst, sondern von Ministerialbeamten, aber der Gesetzgeber muss sie sich grundsätzlich zurechnen lassen (Fleischer, AcP 211 [2011], 317 [330 f]; Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S 166 ff sowie historische Nachweise auf S 51 f; Möllers, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl 2020, § 4 RdNr 163, 169; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl 2020, RdNr 351; Rixen, SGb 2020, 558 [559]; differenzierend Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 329; Waldhoff in Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer, Festschrift für Isensee, 2007, S 325 [329 f]), wenn die Norm in ihrer Entwurfsfassung auch verabschiedet wird und keine gegenteiligen Zweckbestimmungen oder Auslegungsintentionen dokumentiert werden (vgl ua - BVerfGE 149, 126 [155, RdNr 74]).

20Allerdings ist der dokumentierte Wille des Gesetzgebers nur dann verbindlich, wenn er im Normwortlaut einen Anknüpfungspunkt gefunden hat (vgl ua - BVerfGE 11, 126 [129 ff]; - BVerfGE 13, 261 [268]; - BGHZ 195, 257 [269, RdNr 30] mwN; - juris RdNr 66; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 12. Aufl 2018, S 143; gegen die sog Andeutungstheorie aber etwa Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2. Aufl 2016, S 95; ders/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl 2020, RdNr 734 ff mwN; differenzierend Canaris in Beuthien/Fuchs/Roth/Schiemann/Wacke, Festschrift für Medicus, 1999, S 25 [55]). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Zwar findet sich in der Begründung des Gesetzentwurfes die Aussage, dass bei "Ausbildungsberufen mit gestreckter Abschlussprüfung [...] der erste Teil der Abschlussprüfung der Zwischenprüfung gleichgestellt (wird)" (Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom , BT-Drucks 18/8042 S 27). Dieser Formulierung ("wird") lässt sich aber bereits nicht zweifelsfrei entnehmen, ob der Entwurfsverfasser deskriptiv, aber irrtümlich davon ausging, dass sich die Gleichstellung aus dem Gesetz ergeben wird (Rechtsirrtum), oder ob mit ihr zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass durch diese Gesetzesfassung eine solche Gleichstellung herbeigeführt werden sollte (Regelungsintention). Selbst wenn man eine entsprechende Regelungsintention unterstellt, hat diese im Normwortlaut aber gerade keinen Anknüpfungspunkt gefunden und muss daher außer Betracht bleiben. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei Abfassung des § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III vorliegt oder nicht (vgl - BSGE 104, 285 = SozR 4-4300 § 335 Nr 2, RdNr 16).

21Unerheblich für die Normauslegung ist die im streitgegenständlichen Zeitraum geltende fachliche Weisung der Beklagten zu § 131a SGB III ("Förderung der beruflichen Weiterbildung", S 29, Stand ). Abgesehen davon, dass diese Weisung bezüglich der hier vorliegenden Konstellation nicht eindeutig ist, handelt es sich bei ihr ohnehin nur um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift. Solchen Verwaltungsvorschriften, in denen das Recht nach Auffassung der Behörde ausgelegt wird, um einen einheitlichen Verwaltungsvollzug sicherzustellen, kommt keine Außenwirkung zu (vgl Uhle in Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 24 RdNr 5 mwN). Sie sind nicht geeignet, die gesetzlichen Regelungen für die rechtsprechende Gewalt verbindlich zu konkretisieren ( - BVerfGE 78, 214 [227] = juris RdNr 37; - BVerfGE 129, 1 [21] = juris RdNr 71; - SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 34). Denn die Gerichte sind bei der Überprüfung des Verwaltungshandelns (nur) an das Gesetz gebunden (Art 20 Abs 3, Art 97 Abs 1 GG).

22Die Klägerin kann den Anspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III stützen.

23Die Grenzen der analogen Normanwendung im öffentlichen Recht (insbesondere Art 20 Abs 3 GG, § 31 SGB I) bedürfen hier keiner näheren Erörterung, denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 131a Abs 3 Nr 1 SGB III nicht vor. In Betracht kommt eine analoge Anwendung allenfalls dann, wenn feststeht, dass der Normtext hinter dem gesetzgeberischen Normsetzungsziel zurückgeblieben ist. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der teleologischen Extension um einen Unterfall der Analogie handelt (so Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl 2020, RdNr 904) oder ob die teleologische Extension ein eigenständiges methodisches Instrument ist (so Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl 2020, RdNr 556, 623). Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten in jedem Fall nur begrenzt zu ( 5 C 10.18 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr 132 = juris RdNr 15; 5 C 7.20 - juris RdNr 14). Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus ( 5 C 7.20 - juris RdNr 14). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen ( - BVerfGE 82, 6 [11 f] = juris RdNr 20; - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 20; 5 C 10.18 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr 132 = juris RdNr 15; 5 C 7.20 - juris RdNr 14). Die entsprechende Anwendung eines Gesetzes darf insbesondere nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen ( - SozR 4-3250 § 49 Nr 2 RdNr 43 mwN; - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25; - juris RdNr 28 mwN - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; - BFHE 270, 266 [273, RdNr 45] = juris RdNr 45) und darf nicht dazu führen, dass das Gericht anstelle des Gesetzgebers entscheidet, welche Sachverhalte als wesentlich gleich anzusehen sind ( 7 C 14.04 - BVerwGE 123, 7 [11] = Buchholz 451.222 § 24 BBodSchG Nr 1 = juris RdNr 20). Dass eine Regelung lediglich rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist, reicht nicht aus ( - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25; - BFHE 270, 266 [273, RdNr 45] = juris RdNr 45; - juris RdNr 22). Dies gilt auch, wenn aus Sicht des Rechtsanwenders dadurch ein Wertungswiderspruch entstünde ( - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25), denn es kommt nicht auf die subjektive Auffassung des Rechtsanwenders an, sondern auf diejenige des Normgebers.

24Ob eine planwidrige Gesetzeslücke im vorgenannten Sinne vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben ( - juris RdNr 17; 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 [26, RdNr 19] = Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr 100 = juris RdNr 19; 5 C 7.20 - juris RdNr 14). Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten ( - juris RdNr 17 mwN; 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20 [26, RdNr 19] = Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr 100 = juris RdNr 19 mwN; 5 C 7.20 - juris RdNr 14 mwN). Eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Lücke muss dabei aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können, weil sonst jedes Schweigen des Gesetzgebers - und das ist der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden könnte ( - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25; - juris RdNr 22 mwN). Es bedarf daher des sicheren Nachweises, dass sich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers im Normtext nicht niedergeschlagen hat (vgl Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 [945]). Eine analoge Anwendung setzt ein mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Norm unvereinbares Regelungsversäumnis des Normgebers voraus ( 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 [236, RdNr 24] = Buchholz 239.1 § 52 BeamtVG Nr 2 = juris RdNr 24; 2 C 2.13 - Buchholz 240 § 2 BBesG Nr 13 = juris RdNr 23). Die Regelungsabsicht des Normgebers ist anhand der Gesetzgebungsmaterialien zu bestimmen (vgl - juris RdNr 17 ff; 5 C 10.18 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr 132 = juris RdNr 16 f; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band 1, 11. Aufl 2013, RdNr 371; vgl auch Kudlich/Christensen, JZ 2009, 943 [945, 947]).

25Diese Voraussetzungen für eine Analogie liegen hier nicht vor. Es lässt sich - wie bereits dargelegt - nicht zweifelsfrei feststellen, dass der Gesetzgeber den ersten Teil der gestreckten Abschlussprüfung der Zwischenprüfung gleichstellen wollte. Aber selbst wenn man eine auf eine Gleichstellung von Zwischenprüfung und erstem Teil der gestreckten Abschlussprüfung gerichtete Regelungsintention des Gesetzgebers unterstellt, fehlt es jedenfalls für die vorliegende Konstellation an der erforderlichen Verfehlung des gesetzgeberischen Regelungsziels. Zu dessen Ermittlung können nicht einzelne Formulierungen aus den Gesetzesmaterialien isoliert betrachtet werden; es kommt auf den Willen des Gesetzgebers insgesamt an (vgl Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band 1, 11. Aufl 2013, RdNr 361 f). Insofern ist von Bedeutung, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des § 131a Abs 3 SGB III mehrjährige Weiterbildungen, die hohe Anforderungen an "Motivation und Durchhaltevermögen" stellten, vor Augen hatte und in solchen Konstellationen die Lernbereitschaft und das Durchhaltevermögen honorieren wollte. Er hatte aber nicht die Konstellation im Blick, in der - wie hier - die Weiterbildungsmaßnahme lediglich neun Monate dauert und zwischen dem ersten und zweiten Teil der gestreckten Abschlussprüfung lediglich wenige Monate liegen. Jedenfalls dann, wenn die Weiterbildung ein Jahr oder kürzer gedauert hat, liegt bereits keine mehrjährige Weiterbildung vor, die eine teleologische Extension rechtfertigt. Zudem liegt auch bei einer Zeitspanne von wenigen Monaten zwischen dem ersten Teil und dem zweiten Teil der gestreckten Abschlussprüfung keine Konstellation vor, bei der unterstellt werden kann, dass sie der Gesetzgeber wegen "Durchhaltevermögens" prämiert sehen wollte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei der gestreckten Abschlussprüfung die Inhalte mit denjenigen der "regulären" Abschlussprüfung identisch sind; die Inhalte der Zwischenprüfung sind bei Durchführung der gestreckten Abschlussprüfung gerade nicht Prüfungsgegenstand, sodass die gestreckte Abschlussprüfung nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich der Stofffülle eine Erleichterung für den Prüfling darstellt, also weniger "Lernbereitschaft" verlangt. Das gesetzgeberische Ziel wird bei einer solchen Fallkonstellation durch die Gewährung der Prämie nach § 131a Abs 3 Nr 2 SGB III für das Bestehen der Abschlussprüfung erreicht.

26Die unterschiedliche Begünstigung von Prüflingen, die eine Zwischenprüfung ablegen, einerseits und solchen, die statt einer Zwischenprüfung eine gestreckte Abschlussprüfung absolvieren, andererseits ist auch mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (zuletzt etwa - BVerfGE 153, 358 [398, RdNr 95]). Bei der Ausgestaltung von Sozialleistungsansprüchen steht dem Gesetzgeber ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl etwa - BVerfGE 130, 240 [254] = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42 mwN; BVerfG [K] vom - 1 BvR 866/07 - juris RdNr 25; BVerfG [K] vom - 1 BvR 1379/14 - juris RdNr 10; - SozR 4-7837 § 3 Nr 2 RdNr 46 - auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Der Gesetzgeber ist insbesondere frei, darüber zu befinden, was als im Wesentlichen gleich und was als so verschieden anzusehen ist, dass die Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt ( - SozR 4-7837 § 3 Nr 2 RdNr 46 - auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; zum Versorgungsrecht - BVerfGE 76, 256 [330] = juris RdNr 139). Er ist befugt, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen ( - BVerfGE 76, 256 [330] = juris RdNr 139 mwN). Gemessen daran bestehen schon aufgrund der oben beschriebenen Unterschiede hinsichtlich der Prüfungsinhalte zwischen der Zwischenprüfung und dem ersten Teil der gestreckten Abschlussprüfung und wegen der mit dem Wegfall der Zwischenprüfung einhergehenden Reduzierung des prüfungsrelevanten Stoffes hinreichende Differenzierungsgründe.

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 3 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:031121UB11AL221R0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 16
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2021 S. 3308
KAAAH-96894