Verfahrensrecht / Umsatzsteuer | Individueller Verbraucherschutz als Zweckbetrieb und ermäßigter Umsatzsteuersatz (BFH)
Eine Förderung von Verbraucherberatung und Verbraucherschutz (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 16 AO) liegt auch bei einer auf die individuelle Situation des Verbrauchers ausgerichteten Aufklärung und Information über Versicherungen vor. Individuelle Verbraucherberatung gegen Entgelt kann im Rahmen eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs nach § 65 AO erfolgen (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sätze 1 und 2 KStG ist eine Körperschaft von der Körperschaftsteuer befreit, wenn sie nach der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dient ( §§ 51 bis 68 AO ). Wird ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten, ist die Steuerbefreiung insoweit ausgeschlossen. Trotz Vorliegens eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs bleibt die Steuerfreiheit bestehen, wenn es sich um einen Zweckbetrieb (§§ 65 ff. AO) handelt. Für die Gewerbesteuer gilt gem. § 3 Nr. 6 GewStG Entsprechendes.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob die von der Klägerin in 2014 (Streitjahr) durchgeführten "Finanzanalysen" einen Zweckbetrieb darstellen oder dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen sind.
Die Klägerin ist eine gemeinnützige Körperschaft, deren Zweck in der Förderung des Verbraucherschutzes besteht. Diesen Zweck verwirklicht sie insbesondere durch vergleichende Untersuchungen an Waren und Leistungen sowie durch die Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse. Im Streitjahr führte die Klägerin vergleichende Untersuchungen über Angebote von Versicherungen durch und veröffentlichte die Ergebnisse in ihrer Zeitschrift sowie auf ihrem Internetportal. Da im Hinblick auf die Vielzahl der Tarife ein für den Verbraucher verwertbarer Versicherungsvergleich nur anhand von individuellen Faktoren erstellt werden konnte, bot die Klägerin gegen Entgelt die Möglichkeit einer Versicherungsvergleichsanalyse ("Finanzanalyse") mit individuellen Daten an.
Das FA ordnete die Einnahmen aus den Finanzanalysen im Streitjahr dem steuerpflichtigen Geschäftsbetrieb der Klägerin zu und erließ entsprechende Bescheide zur Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.
Die Klage vor dem FG hatte dagegen Erfolg ().
Der BFH hat die Revision des FA als zum Teil begründet angesehen und das FG-Urteil hinsichtlich der Umsatzsteuer 2014 aufgehoben. Im Übrigen (Körperschaftsteuer 2014 und Gewerbesteuermessbetrag 2014) hat der BFH die Revision als unbegründet zurückgewiesen:
Das FG hat hinsichtlich der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags 2014 zutreffend entschieden, dass die streitgegenständlichen Steuerbescheide rechtswidrig sind. Denn das FA hat der Durchführung von Finanzanalysen zu Unrecht die Anerkennung als Zweckbetrieb versagt.
Zweck der Klägerin ist die "Förderung von Verbraucherschutz" (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung). Sie dient - wie vom FA anerkannt - nach ihrer Satzung und ihrer tatsächlichen Geschäftsführung gemeinnützigen Zwecken i. S. des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 16 AO. Der Zweck der Verbraucherberatung als Schutz der Verbraucher vor wirtschaftlichen Benachteiligungen umfasst nach zutreffender Ansicht des FG auch die Einzelberatung. Dem steht das Erfordernis einer Förderung der "Allgemeinheit" nach § 52 Abs. 1 AO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sich das Angebot der individuellen Aufklärung und Beratung an einen zahlenmäßig nicht begrenzten Personenkreis richtet. So liegen die Verhältnisse im Streitfall.
Die entgeltliche Durchführung von Finanzanalysen stellt einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO dar. Denn hierdurch werden im Rahmen einer selbständigen und nachhaltigen Tätigkeit Einnahmen erzielt, die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgehen. Das führt aber gem. § 64 Abs. 1 AO nicht zur Versagung der Steuerbefreiungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG), weil das FG zu Recht entschieden hat, dass dieser wirtschaftliche Geschäftsbetrieb die Voraussetzungen eines allgemeinen Zweckbetriebs nach § 65 AO erfüllt.
Der ermäßigte Umsatzsteuersatz ist - entgegen der Verwaltungsauffassung in Abschn. 12.9 Abs. 9 UStAE - bei allgemeinen Zweckbetrieben (§ 65 AO) nur unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG anwendbar (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung). Entgegen der Ansicht der Klägerin liegen im Streitfall die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht vor.
Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter im V. Senat des BFH:
Der BFH hat im Besprechungsurteil entschieden, dass abgabenrechtlich der Zweck der Verbraucherberatung jedenfalls dann auch Einzelberatungen umfasst und damit der Anerkennung eines Zweckbetriebes nicht entgegensteht, wenn sich das Angebot der individuellen Aufklärung und Beratung an einen zahlenmäßig nicht begrenzten Personenkreis richtet. Auch ein nach § 65 Nr. 3 AO schädliches Wettbewerbsverhältnis zu den von Versicherungsportalen, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern angebotenen Leistungen hat der BFH für die streitigen Finanzanalysen abgabenrechtlich verneint.
Anders sieht die Sache umsatzsteuerrechtlich aus; Abgaben- und Umsatzsteuerrecht gehen hier zum Teil getrennte Wege. Den nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigten Steuersatz kann die Klägerin nicht in Anspruch nehmen, weil der Tatbestand der Steuersatzermäßigung in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG neben der reinen Zweckbetriebseigenschaft weitere Anforderungen stellt, die im Streitfall nicht erfüllt waren. In der Alternative 1 des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 darf der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dienen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden. Ein Zweckbetrieb dient aber bereits dann vorrangig der Erzielung derartiger Einnahmen, wenn es sich - wie im Streitfall - um den einzigen Tätigkeitsgegenstand des Zweckbetriebs (hier: entgeltliche Finanzanalysen) handelt.
Zudem ist die unionsrechtliche Harmonisierung der Steuersatzermäßigungen auch bei der Auslegung der Zweckbetriebsdefinitionen der §§ 65 ff. AO und damit insbesondere bei der Bestimmung der Reichweite der Steuersatzermäßigungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG zu berücksichtigen. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert unionsrechtlich, dass eine gemeinnützige Einrichtung auch "für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig ist". Der BFH hat - zu Recht - nicht erkennen können, dass die ganz überwiegend Kfz-Versicherungen, private Kranken-, Risikolebens-, Motorrad-, Hausrat- und private Haftpflichtversicherungen betreffenden streitigen Finanzanalysen wohltätigen Zwecken dienten, die an sozial oder körperlich hilfsbedürftige Leistungsempfänger erbracht wurden. Diskussionswürdig könnte aber sein, ob nicht die getesteten Versicherungen der sozialen Sicherheit dienen, auch wenn die jeweiligen Versicherten nicht wirtschaftlich bedürftig sind.
Quelle: ; NWB Datenbank (RD)
Fundstelle(n):
TAAAH-96489