Einkommensteuer / Verfahrensrecht | Fünftel-Regelung für Langzeitmodelle (BFH)
Bei Zahlungen aufgrund eines Langzeitvergütungsmodelles handelt es sich um außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG. Eine Anrufungsauskunft gem. § 42e EStG kann entsprechend § 207 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden (Anschluss an ) (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Mit Führungskräften werden immer häufiger Langzeitvergütungsmodelle vereinbart. Auf neudeutsch: Long Term Incentive-Modelle. Bei diesen werden die Leistungen der Arbeitnehmer nicht nur für ein Jahr bewertet und entlohnt, sondern vielmehr über mehrere Jahre
Sachverhalt: Die Klägerin, eine AG, beantragte bei dem FA eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG. Sie bat um Bestätigung, dass Zahlungen aus einem sog. Langzeitvergütungsmodell (LTI Modell) die Voraussetzungen einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i. S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllten und die Lohnsteuer unter Anwendung der sog. "Fünftelregelung" gem. § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG berechnet werden könne.
2011 bestätigte das FA zunächst die Rechtsauffassung der Klägerin. 2017 hob das FA die vorgenannte Anrufungsauskunft sodann mit Wirkung für die Zukunft auf. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, bei den Zahlungen aufgrund des LTI Modells handele es sich nicht um außerordentliche Einkünfte i.S. von § 34 EStG. Es lägen vielmehr "Bonuszahlungen" vor.
Der BFH wies die Revision des FA zurück:
Die der Klägerin ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft (2011) war rechtmäßig, so dass der auf der gegenteiligen Annahme beruhende Widerruf der Anrufungsauskunft auf einem Ermessensfehlgebrauch beruht.
Der Widerruf der erteilten Anrufungsauskunft ist wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig (§ 102 FGO); so auch das FG. § 42e EStG enthält für die Aufhebung bzw. Änderung einer Anrufungsauskunft keine eigene Korrekturbestimmung. Das Fehlen einer solchen Korrekturvorschrift stellt eine Gesetzeslücke dar, die durch entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO zu schließen ist.
Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (ständige Rechtsprechung des BFH).
Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen.
Das FG hat hiernach zu Recht entschieden, dass die vom FA ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft aus 2011, nach der es sich bei den Zahlungen aufgrund des LTI Modells um außerordentliche und nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigt zu besteuernde Einkünfte handele, rechtmäßig war.
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, warnte schon Friedrich Schiller im Lied von der Glocke vor vorschnellen Entscheidungen. Vor solchen sollten sich nicht nur Hochzeiter, sondern auch Finanzbehörden hüten. Denn so einfach wie gedacht, kann sich das FA von einer erteilten Anrufungsauskunft nicht lösen. Das hat der BFH in der Besprechungsentscheidung verdeutlicht. Dies gilt insbesondere, wenn die Aufhebung oder Änderung einer rechtmäßigen Anrufungsauskunft in Rede steht. Hierfür braucht es vielmehr einen besonderen, sachgerechten Anlass. Ein solcher Anlass kann u.a. vorliegen, wenn sich die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung ändert. Da sich die gerichtliche Überprüfung einer Anrufungsauskunft nach der Rechtsprechung des Senats darauf beschränkt, ob die gegenwärtige rechtliche Einordnung des - zutreffend erfassten - zur Prüfung gestellten Sachverhalts in sich schlüssig und nicht evident rechtsfehlerhaft ist (, Rz 10, m.w.N.), kann ein Widerruf auch dann sachgerecht sein, wenn sich die allgemeine Verwaltungsauffassung zu der die Auskunft betreffenden Rechtsfrage ändert und die -ggfs. auch von der Rechtsprechung abweichende- geänderte Rechtsauffassung ihren Niederschlag in allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder die Finanzverwaltung bindende Anwendungsschreiben (z. B. BMF-Schreiben oder OFD-Verfügung) findet. Hingegen ist die Aufhebung oder Änderung einer formell und materiell rechtmäßigen Anrufungsauskunft in der Regel unzulässig, wenn die Gründe für ihre Erteilung fortbestehen, der Steuerpflichtige sein Vertrauen bereits betätigt hat und über ein besonderes steuerliches Interesse an der Anrufungsauskunft verfügt.
Hinweis: Hierrüber hat das FA entsprechend § 207 Abs. 2 AO eine Ermessensentscheidung zu treffen. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen (§ 102 Satz 1 FGO), muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung begründet werden (vgl. § 121 Abs. 1 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen aus der Entscheidung erkennbar sein (, m.w.N.). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung und damit in der Regel der Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Allerdings kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO). Das „Nachschieben“ von Gründen ist hingegen nicht zulässig. Werden erstmals während des Revisionsverfahrens Ermessenserwägungen angestellt, können diese im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden (, m.w.N.).
Erweist sich die Anrufungsauskunft als rechtmäßig, handelte das FA daher ermessensfehlerhaft, wenn es die Auskunft nur gestützt auf deren vermeintlich materiell-rechtliche Fehlerhaftigkeit aufhebt. Hierbei ist das FG anders als bei der Erteilung der Anrufungsauskunft nicht auf eine bloße Evidenzkontrolle beschränkt (siehe dazu , aaO) beschränkt, sondern vielmehr zur umfassenden Rechtmäßigkeitsprüfung berufen. Auch dies macht die Besprechungsentscheidung deutlich. Der insoweit unterschiedliche finanzgerichtliche Prüfungsmaßstab des BFH bei Erteilung und Aufhebung/Änderung einer Anrufungsauskunft mag überraschen. Er ist nicht in der Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zur Lohnsteuer-Anrufungsauskunft zu finden, sondern sachlich begründet. Denn ein am Lohnsteuerabzugsverfahren Beteiligter, der sein Verhalten an der erteilten Auskunft ausgerichtet und seine Verhältnisse im Vertrauen darauf ausgerichtet hat, ist bei deren Widderruf in besonderem Maße schutzbedürftig und -würdig.
Quelle: ; NWB Datenbank (JT)
Fundstelle(n):
NWB HAAAH-95991