BFH Beschluss v. - IX B 15/21

Ablehnung eines „coronabedingten“ Terminsverlegungsantrags

Leitsatz

NV: Trotz Vorerkrankung eines nicht geimpften Prozessbeteiligten kann es sich im fortgeschrittenen Stadium der COVID-19-Pandemie als nicht verfahrensfehlerhaft erweisen, wenn das FG den Antrag auf Terminsverlegung ablehnt und ohne den Prozessbeteiligten mündlich verhandelt.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 155; ZPO § 227

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—), zuzulassen.

3 1. Die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung und die nachfolgende Durchführung der mündlichen Verhandlung am erweisen sich nicht als verfahrensfehlerhaft.

4 a) Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gemäß § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das Finanzgericht (FG) ist in einem solchen Falle verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen (z.B. Senatsbeschluss vom  - IX B 71/13, BFH/NV 2014, 175, Rz 2).

5 b) Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Termin aus erheblichen Gründen vor seiner Durchführung aufheben oder (unter Bestimmung eines neuen Termins) verlegen. Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Zu den erheblichen Gründen i.S. des § 227 ZPO gehört auch die krankheitsbedingte Verhinderung. Allerdings stellt nicht jegliche Erkrankung einen ausreichenden Grund für eine Terminsverlegung dar. Diese ist grundsätzlich nur geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass vom Beteiligten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (vgl. , juris, Rz 10 f., m.w.N.).

6 c) Auf Verlangen des Vorsitzenden sind die erheblichen Gründe glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung erfordert nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet wird, tatsächlich vorliegen. Der eine Terminsverlegung beantragende Verfahrensbeteiligte muss die Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO so genau angeben, dass sich das Gericht aufgrund seiner Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann (vgl. , juris, Rz 12).

7 d) Nach diesen Grundsätzen durfte das FG den Terminsverlegungsantrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ablehnen und in ihrer Abwesenheit mündlich verhandeln.

8 aa) Die Klägerin hat in ihrem Antrag vom im Wesentlichen auf die von der COVID-19-Pandemie ausgehenden Gesundheitsgefährdungen, insbesondere bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, sowie das Alter und die Vorerkrankungen ihres Prozessbevollmächtigten hingewiesen. Sie hat beantragt, den Termin für die mündliche Verhandlung auf die Zeit nach dessen Schutzimpfung zu „verschieben“.

9 Der Vorsitzende des Senats hat die —erneute— Verlegung des Termins unter Hinweis darauf, dass wegen des umfangreichen gerichtlichen Schutzkonzepts (Einsatz eines Luftreinigungsgeräts, regelmäßiges Lüften, Desinfizieren der Tische, Nutzung von Plexiglasabtrennungen) keine besondere Ansteckungsgefahr bestehe, abgelehnt. Zudem bestehe bei lang andauernder Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen die Pflicht, für eine Vertretung zu sorgen.

10 bb) Dies erscheint vertretbar. Zwar haben das Alter des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und seine Vorerkrankungen sowie der Umstand, dass die mündliche Verhandlung auf dem „Höhepunkt“ der sog. zweiten Welle der Corona-Pandemie stattgefunden hat, für eine Terminsverlegung gesprochen. Gleiches gilt für die erfolgte Anmeldung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Corona-Schutzimpfung.

11 Das FG hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass aufgrund des vom Gericht ergriffenen Schutzkonzepts kein erhöhtes Ansteckungsrisiko in der mündlichen Verhandlung besteht. Dies ist sachgerecht. Eine schwere Vorerkrankung eines Prozessbeteiligten gebietet nicht per se die Terminsaufhebung oder -verlegung, sondern stellt (nur) einen angemessen zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der Anwendung und Auslegung des „erheblichen Grunds“ i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einem Gericht, das Maßnahmen ergreift, um einer zu befürchtenden Schädigung entgegenzuwirken, bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zusteht (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom  - 11/21, 11/21 (PKH), 4/21 EA, 4/21 EA (PKH), juris, Rz 26, m.w.N.).

12 Im Übrigen hatte der Vorsitzende die Klägerin bereits mit Hinweisschreiben vom auf das bestehende Schutzkonzept des FG hingewiesen. Zudem hatte er den auf den bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung bereits antragsgemäß aufgehoben und die Sache —wie von der Klägerin vorgeschlagen— nicht vor Januar 2021 neu terminiert. Dies lässt eine erneute Terminsverlegung als nicht gerechtfertigt erscheinen.

13 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die mündliche Verhandlung in einem fortgeschrittenen Stadium der Pandemie stattgefunden hat. Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich der Streitfall etwa von jenem, über den das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken im Beschluss vom  - 3 W 41/20 (Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 2020, 1325) zu entscheiden hatte. Dort hat das OLG einen erheblichen Grund i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Fall einer lungenvorerkrankten Rechtsanwältin darin gesehen, dass der Termin in einem recht frühen Stadium der Corona-Pandemie hätte stattfinden sollen.

14 Zwar verblieb es damit bei der von der Klägerin geltend gemachten Ansteckungsgefahr auf der An- und Abreise. Insofern wäre es der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten aber durchaus zuzumuten gewesen, auf Alternativen zum öffentlichen Personennahverkehr (PKW, Taxi) auszuweichen. Dies erscheint —auch angesichts der Entfernung zwischen dem Wohn- bzw. Dienstort des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem FG— nicht unzumutbar.

15 Zudem hat der Vorsitzende zu Recht berücksichtigt, dass die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter bereits mit Hinweisschreiben vom sowie in der Ladung vom auf die Möglichkeit, für eine Vertretung zu sorgen, hingewiesen worden waren. Mit Blick auf die Regelung in § 53 der Bundesrechtsanwaltsordnung muss ein Prozessbevollmächtigter, der angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie wegen seiner gesundheitlichen Situation davon ausgeht, Termine nicht wahrnehmen zu können, Vorsorge für eine Vertretung treffen (vgl. Beschluss des OLG Zweibrücken in NJW-RR 2020, 1325, Rz 25). Dies entspricht der —vergleichbaren— Situation bei einer längeren Erkrankung, die den Beteiligten dazu verpflichtet, Vorsorge für die Terminswahrnehmung zu treffen, etwa durch Bestellung eines (Unter-)Bevollmächtigten (vgl. , BFH/NV 2014, 1057, Rz 7; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 91 Rz 4).

16 2. Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht in der Ablehnung des Befangenheitsantrags der Klägerin.

17 a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der Prozessbeteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Misstrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen. Ein Zulassungsgrund ist dabei nur dann gegeben, wenn die Ablehnung entweder gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht wie der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wird. Auch das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter schützt indes nur vor willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften. Eine Besetzungsrüge kann deshalb auch nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war (vgl. nur Senatsbeschluss vom  - IX B 84/17, BFH/NV 2017, 1619, Rz 11, m.w.N.).

18 b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

19 aa) Die Klägerin hat den Befangenheitsantrag im Wesentlichen auf die Ablehnung der beantragten Terminsverlegung durch den Vorsitzenden gestützt. Der Termin könne durchaus ein zweites Mal verlegt werden. Die im Gerichtsgebäude ergriffenen Schutzmaßnahmen änderten nichts daran, dass die An- und Abreise mit einer Ansteckungsgefahr verbunden sei. Eine Pflicht zur Bestellung eines (Sitzungs-)Vertreters bestehe nicht.

20 Das FG hat die Ablehnung des Befangenheitsantrags damit begründet, dass die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung nicht willkürlich gewesen sei. Im Gerichtssaal selbst bestehe aufgrund des bestehenden Schutzkonzepts keine erhöhte Ansteckungsgefahr. Könnten sich die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter der allgemeinen Ansteckungsgefahr bei der An- und Abreise —nachvollziehbarerweise— nicht aussetzen, seien sie für unabsehbare Zeit nicht in der Lage, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Daher seien sie —in entsprechender Anwendung der für Krankheiten entwickelten Rechtssprechungsgrundsätze— verpflichtet, für eine Vertretung zu sorgen. Ansonsten könnten auf unabsehbare Zeit keine Prozesse mit älteren Personen geführt werden. Dies sei verfassungsrechtlich nicht geboten. Wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch ein 77-Jähriger zu einer Strafverhandlung erscheinen müsse (Beschluss vom  - 2 BvQ 87/20, juris), dürften Gerichtsverfahren, bei denen die Beteiligten nicht zum Erscheinen verpflichtet seien, erst recht durchgeführt werden.

21 bb) Diese Erwägungen der Vorinstanz erweisen sich als nicht willkürlich. Die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung rechtfertigt allein nicht die Besorgnis der Befangenheit (Senatsbeschluss in BFH/NV 2017, 1619, Rz 12; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 51 Rz 52). Auch im Übrigen bestanden keine Hinweise für eine Befangenheit des Vorsitzenden. Der Hinweis auf die BVerfG-Rechtsprechung zu einem 77-jährigen Angeklagten, der trotz Zugehörigkeit zur Risikogruppe zur Hauptverhandlung erscheinen müsse, ist missverständlich, aber nicht sachfremd. Die Kernaussage liegt (allein) darin, dass mündliche Verhandlungen vor dem FG, zu denen die Beteiligten nicht erscheinen müssen (vgl. § 91 Abs. 2 FGO), auch in Pandemiezeiten durchgeführt werden können und nicht dauerhaft ausgeschlossen sein dürfen. Dies ist nicht zu beanstanden.

22 c) Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass sich der abgelehnte Richter zwar nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern hat. Einer dienstlichen Äußerung bedarf es nach der Rechtsprechung des BFH indes nicht, wenn der Sachverhalt, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wird, feststeht (vgl. nur , BFH/NV 2001, 621). Darauf hat sich das FG —zu Recht— berufen. Auch vor diesem Hintergrund begegnet der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss keinen Bedenken.

23 3. Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel darin, dass das FG unter Mitwirkung des abgelehnten Richters entschieden hat. Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ergeht durch Beschluss (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 46 Abs. 1 ZPO). Dieser ist sofort wirksam. Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht (§ 53 Abs. 1 FGO); die formlose Mitteilung genügt (Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 53 Rz 3). Vor diesem Hintergrund durfte der abgelehnte Richter bei der mündlichen Verhandlung mitwirken.

24 4. Schließlich kann ein Verfahrensmangel nicht darin gesehen werden, dass in der Akte des FG zum Aktenzeichen 6 K 252/18 die S. 174 bis 176 fehlen. Denn die Klägerin hat nicht dargelegt, inwiefern das Urteil der Vorinstanz auf diesem Umstand beruhen können soll. Der Hinweis der Klägerin, die fehlenden Seiten seien für den Tatsachenvortrag im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde relevant, genügt zur Darlegung der Erheblichkeit nicht.

25 Im Übrigen sind die fehlenden (drei) Blätter —in einer Zusammenschau mit der FG-Akte im Verfahren 6 K 2198/18 (nachfolgendes BFH-Az. IX B 16/21)— damit zu erklären, dass der Beschluss vom , mit dem das FG über den Befangenheitsantrag der Klägerin entschieden hat, zwar im Original in der Akte abgeheftet ist, nicht aber die drei Blätter (fünf Seiten) umfassende Ausfertigung. Eine solche ist in der Akte 6 K 2198/18 (Bl. 93 bis 95) abgeheftet.

26 5. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

27 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.221021.IXB15.21.0

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2021 S. 3435
AAAAH-94991