BAG Urteil v. - 6 AZR 207/20

Vergütung von Umkleidezeiten eines Zugbegleiters - Tarifauslegung - Voraussetzungen der Schätzung

Gesetze: § 1 TVG, Art 2 Abs 1 GG, § 611 Abs 1 BGB, § 611a Abs 2 BGB, § 1 Abs 1 MiLoG, § 287 ZPO, § 705 S 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 31 Ca 3660/16 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 Sa 1571/16 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über die Berücksichtigung von Umkleide- und Wegezeiten des Klägers als vergütungspflichtige Arbeitszeit.

2Der Kläger ist bei der Beklagten als Zugchef beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung findet der Tarifvertrag für Zugbegleiter und Bordgastronomen von Schienenverkehrsunternehmen des Agv MoVe (Zub-TV) Anwendung. Dieser enthält auszugsweise folgende Regelungen:

3Der Kläger gehört zum unternehmensbekleidungspflichtigen Mitarbeiterkreis im Sinne der bei der Beklagten geltenden Konzernbetriebsvereinbarung über die Ausstattung mit Unternehmensbekleidung vom (KBV Ubk). Nach der Konzernrichtlinie Unternehmensbekleidung für die Deutsche Bahn (Richtlinie Ubk), die Bestandteil der KBV Ubk ist, stellt die Unternehmensbekleidung ein wesentliches Element des Erscheinungsbildes der Beklagten in der Öffentlichkeit dar. Sie soll die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als deren Repräsentanten erkennbar machen. Dem unternehmensbekleidungspflichtigen Mitarbeiterkreis steht es frei, ob die Unternehmensbekleidung bereits zu Hause oder erst im Betrieb angezogen wird. Abgesehen vom Arbeitsweg ist es jedoch nicht gestattet, die Unternehmensbekleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen.

4Im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens kam es am zum Abschluss einer „Betriebsvereinbarung zur Regelung der Mitbestimmung beim An- und Ablegen der Unternehmensbekleidung“. Diese lautet auszugsweise wie folgt:

5Auf jedem sog. Arbeitsauftrag, der anhand der bei der Beklagten erstellten Schichtpläne angefertigt wird, befindet sich seitdem ein Stempelaufdruck, auf dem der Mitarbeiter freiwillig vermerken kann, ob er sich im Betrieb umgekleidet hat und wie lange dies gedauert hat. Die Beklagte vergütet die Umkleidezeiten nicht gesondert.

6Die Einsatzstelle des Klägers, von der aus er regelmäßig seine Arbeitsschichten antritt, ist B. Dort begibt er sich zunächst in eine Meldestelle, in der festgestellt wird, dass er seinen dienstplanmäßigen Dienst angetreten hat. Der Kläger erhält seine Arbeitsaufträge und nimmt seine Arbeitsmittel an sich. Eine Etage tiefer befinden sich die Umkleideräume.

7Auf dem Stempelaufdruck des Arbeitsauftrags vom vermerkte der Kläger Umkleidezeiten von zweimal sieben Minuten und auf dem vom Umkleidezeiten von sieben bzw. von sechs Minuten.

8Der Kläger vertritt die Ansicht, bei den Umkleide- und Wegezeiten handle es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit. Die Unternehmensbekleidung sei in hohem Maße auffällig. Er behauptet unter Beweisantritt und Vorlage zweier von ihm angefertigter Protokolle, er habe sich am sowie am von einem Zeugen begleiten lassen und seine Umkleide- sowie Wegezeiten gestoppt. Danach habe der Umkleidevorgang am zu Schichtbeginn 7,5 Minuten und bei Schichtende sechs Minuten gedauert. Am habe er für die Umkleidevorgänge 6,5 und sieben Minuten benötigt.

9Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten begehrt, an ihn für am und am aufgewendete Umkleide-, Wege- und Rüstzeiten 19,35 Euro brutto, ersatzweise eine Zeitgutschrift von 64,5 Minuten, zu leisten. Daneben hat er die auf die Zukunft gerichtete Feststellung begehrt, dass die Umkleide- und Rüstzeiten einschließlich der dabei veranlassten Wegezeiten von der Beklagten im Umfang von 52 Minuten abzüglich 20 Minuten je Schicht bei Schichtbeginn und -ende an der Einsatzstelle B als Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto zu berücksichtigen, hilfsweise finanziell abzugelten sind. Das Arbeitsgericht hat die Klageanträge insgesamt abgewiesen.

10Im Rahmen seiner zunächst unbeschränkt eingelegten und begründeten Berufung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am auf Anregung des Landesarbeitsgerichts die Berufung im Hinblick auf den Leistungsantrag zurückgenommen und den Feststellungsantrag dahin konkretisiert, dass die unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlichen Zeiten des An- und Ablegens der Unternehmensbekleidung im Betrieb einschließlich der dabei veranlassten Wegezeiten sowie weitere Rüstzeiten als Bestandteil der von der Beklagten geschuldeten tariflichen Regelarbeitszeit vergütungspflichtig sind. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die vom Kläger zuletzt begehrte Feststellung im Hinblick auf die Umkleide- und die dabei veranlassten Wegezeiten getroffen. Im Übrigen, dh. hinsichtlich der Rüstzeiten, hat es die Berufung zurückgewiesen.

11Auf die Revision der Beklagten hat der Senat - unter Zurückweisung der hinsichtlich der Rüstzeiten eingelegten Revision des Klägers - mit Urteil vom (- 6 AZR 84/18 -) das Urteil des Landesarbeitsgerichts in Bezug auf die Feststellung der Vergütungspflicht der Umkleide- und der dabei veranlassten Wegezeiten aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

12Der Kläger hat in dem fortgesetzten Berufungsverfahren zuletzt - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt,

13Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.

14Sie hat die Ansicht vertreten, die Anträge seien unzulässig, jedenfalls unbegründet. Sie schulde keine Vergütung für die Umkleidezeiten. Die Unternehmensbekleidung sei unauffällig und verwechselbar mit derjenigen von Fluggesellschaften oder anderen Bahnunternehmen. Die Auslegung der anwendbaren Tarifverträge ergebe, dass sich die Tarifvertragsparteien bewusst gegen eine gesonderte Vergütung der streitgegenständlichen Zeiten entschieden hätten. Überdies seien die Ansprüche für Umkleidezeiten aus dem Jahr 2015 zwischenzeitlich verjährt.

15Das Landesarbeitsgericht hat in dem fortgesetzten Berufungsverfahren das Urteil des Arbeitsgerichts erneut teilweise abgeändert, dem Leistungsantrag im Umfang von 29 Minuten sowie dem Feststellungsantrag stattgeben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.

16Die Beklagte begehrt mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise aufzuheben sowie die Berufung zurück- und damit die Klage insgesamt abzuweisen. Sie hat mit Schriftsatz vom vorgetragen, dass seit August 2020 eine nach Farbe, Schnitt und Zusammensetzung neu konzipierte Unternehmensbekleidung - auch vom Kläger - zu tragen ist. Der Kläger hat keine (Anschluss-)Revision eingelegt.

Gründe

17Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts (§ 562 Abs. 1 ZPO).

18I. Bezüglich des noch rechtshängigen Leistungsantrags, dem laufenden Jahresarbeitszeitkonto des Klägers 29 Minuten für Umkleide- und Wegezeiten am und gutzuschreiben, war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob der zulässige Antrag begründet ist, konnte der Senat anhand der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht selbst entscheiden.

191. Der Antrag auf Zeitgutschrift ist zulässig.

20a) Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er lässt bei der gebotenen, auf die Ermöglichung einer Sachentscheidung gerichteten Auslegung (vgl.  - Rn. 13; - 7 AZR 224/15 - Rn. 17 mwN, BAGE 158, 31) den Inhalt der vom Kläger begehrten Entscheidung erkennen. Mit dem Antrag möchte der Kläger noch die Gutschrift von 29 Minuten auf dem für ihn von der Beklagten auf der Grundlage des § 49 Abs. 1 Zub-TV geführten Jahresarbeitszeitkonto, in dem zu verrechnende und anzurechnende Zeiten fortlaufend erfasst werden, erreichen mit der Folge, dass sich der aktuelle Saldo der von ihm zu leistenden Jahresarbeitszeit um die gutgeschriebenen Minuten reduziert (vgl. zu den Anforderungen allgemein zB  - Rn. 12, BAGE 170, 172; - 7 AZR 397/17 - Rn. 11).

21b) Dem Leistungsantrag steht im vorliegenden Fall eine etwaige (Teil-)Rechtskraft des arbeitsgerichtlichen Urteils ausnahmsweise nicht entgegen. Das gebietet der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf ein faires Verfahren. Daher kann dahinstehen, ob eine solche (Teil-)Rechtskraft aufgrund der vom Kläger in der Berufungsverhandlung am erklärten teilweisen Berufungsrücknahme anzunehmen wäre.

22aa) Wird ein Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt, erstreckt sich die dadurch eintretende Hemmung der Rechtskraft (§ 705 Satz 2 ZPO) grundsätzlich auch dann auf das gesamte Urteil, wenn die Rechtsmittelbegründung einen beschränkten Antrag enthält, der hinter der Beschwer des Rechtsmittelklägers durch das angegriffene Urteil zurückbleibt. Die Hemmung erfasst selbst in dem Fall, dass das angegriffene Urteil mehrere prozessuale Ansprüche zum Gegenstand hatte, insbesondere auch diejenigen Teile, die ausweislich der Rechtsmittelanträge nicht angefochten worden sind oder von der insoweit obsiegenden Partei mangels Beschwer von vornherein nicht angefochten werden konnten. Dies beruht auf der Erwägung, dass der ursprüngliche Umfang des Rechtsmittelangriffs sich im Laufe des Rechtsmittelverfahrens dadurch erweitern kann, dass entweder der Rechtsmittelkläger das anfangs auf einen Teil des Urteils beschränkte Rechtsmittel auf den bisher nicht angefochtenen Teil ausdehnt oder sein Gegner sich dem Rechtsmittel anschließt und hierdurch Teile des vorinstanzlichen Urteils in das Rechtsmittelverfahren einbezogen werden, die der Rechtsmittelkläger nicht angefochten hat und mangels Beschwer auch nicht anfechten konnte. Der nicht angefochtene Teil des Urteils wird daher außer im Fall eines entsprechenden Rechtsmittelverzichts erst dann rechtskräftig, wenn er weder durch Erweiterung der Rechtsmittelanträge noch durch ein Anschlussrechtsmittel in das Rechtsmittelverfahren einbezogen werden kann und damit insoweit jede Möglichkeit einer Änderung im Rechtsmittelzug ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen:  - Rn. 22 f. mwN;  - zu 3 der Gründe mwN; - VIII ZR 41/93 - zu II 4 b der Gründe mwN; MüKoZPO/Götz 6. Aufl. § 705 Rn. 11 f.; Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. § 705 Rn. 8). Eine Erweiterung der Rechtsmittelanträge ist unproblematisch vor Ablauf der Begründungsfrist möglich; danach bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, auch nach Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht, sofern die erweiterten Anträge durch die fristgerecht vorgebrachten Anfechtungsgründe (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO) gedeckt sind (vgl.  - Rn. 22;  - zu I der Gründe mwN, BGHZ 145, 256; - VIII ZR 178/93 - zu 3 der Gründe mwN; MüKoZPO/Rimmelspacher § 520 Rn. 36 mwN).

23bb) Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsprechung auf die vorliegende Konstellation zu übertragen ist, in der der Kläger nach unbeschränkter Berufungseinlegung keinen beschränkten Berufungsantrag gestellt, sondern ausweislich seiner Berufungsbegründung das arbeitsgerichtliche Urteil zunächst in vollem Umfang angegriffen und nach Ablauf der Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen die Berufung teilweise zurückgenommen hat (für eineTeilrechtskraft: RG - IX B 5/1930 - JW 1930, 2954, 2955; - VI 4/36 - RGZ 152, 37, 44;  - NJW 1967, 2216; Stein/Jonas/Althammer ZPO 23. Aufl. § 516 Rn. 18; vgl. auch  - Rn. 15; - VIII ZR 53/88 - zu II 3 a der Gründe; gegen eine Teilrechtskraft und für die Möglichkeit, die Berufung wieder auf den zurückgenommenen Teil auszudehnen: MüKoZPO/Rimmelspacher 6. Aufl. § 516 Rn. 22, 26; PG/Lemke ZPO 13. Aufl. § 516 Rn. 17; Thomas/Putzo/Seiler 42. Aufl. § 516 Rn. 3; Musielak/Voit/Ball ZPO 18. Aufl. § 516 Rn. 27).

24(1) Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass die teilweise Berufungsrücknahme auf Anraten des Landesarbeitsgerichts erfolgt ist. Infolgedessen war der Feststellungsantrag auch als Zwischenfeststellungsklage unzulässig geworden. Aus diesem Grund hat der Senat in seinem Urteil vom (- 6 AZR 84/18 -) die Sache zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende „allgemeine Prozessgrundrecht“ hat für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren grundlegende Bedeutung ( - Rn. 27). Es beinhaltet die Verpflichtung der Gerichte, das Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihnen erwarten dürfen. Insbesondere sind die Gerichte allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet und ist es ihnen untersagt, aus eigenen oder ihnen zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten ( - Rn. 8). Wäre es dem Kläger aufgrund der vom Landesarbeitsgericht angeregten Berufungsrücknahme verwehrt, seinen ursprünglichen Leistungsantrag nunmehr als Hauptklage wieder in den Prozess einzuführen, würde sich der Fehler des Landesarbeitsgerichts perpetuieren. Dem Risiko der Prüfung eines auf andere Umkleidevorgänge bezogenen Leistungsantrags auf eine Sachdienlichkeit iSv. § 533 ZPO, sofern die Beklagte einer solchen Klageerweiterung nicht zugestimmt hätte, wovon der Kläger aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs ausweislich seines Schriftsatzes vom ausging, musste er sich nicht aussetzen.

25(2) Durch die teilweise Berufungsrücknahme im Verhandlungstermin am ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Leistungsklage daher nicht in Rechtskraft erwachsen. Dieser Teil des Streitgegenstands konnte durch Erweiterung des Berufungsantrags vielmehr wieder in das Verfahren eingeführt werden. Dies ist möglich, weil die Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht die Rechtsverfolgung erschweren oder verhindern sollen und auch nicht Selbstzweck sind, sondern der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten dienen ( - Rn. 24;  - zu II 1 a der Gründe).

26cc) Aus den gleichen Gründen steht entgegen der Annahme der Beklagten das sog. Verbot der reformatio in peius dem erneuten Einführen des Leistungsantrags, über den das Landesarbeitsgericht aufgrund der teilweisen Berufungsrücknahme nicht mehr entscheiden musste, nicht entgegen.

27dd) Schließlich führt auch der Umstand, dass der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 84/18 -) die Revision des Klägers zurückgewiesen hatte, entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Unzulässigkeit des im fortgesetzten Berufungsverfahren (wieder) gestellten Leistungsantrags. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits allein auf die Revision der Beklagten führte entgegen ihrer Annahme nicht dazu, dass dem Landesarbeitsgericht nur der Feststellungsantrag, der Gegenstand ihrer Revision war, angefallen ist. Vielmehr wurde dadurch die Berufungsinstanz wieder eröffnet und das Verfahren in die Lage zurückversetzt, in der es sich zu der Zeit befand, als die Verhandlung vor dem Erlass des aufgehobenen Urteils geschlossen wurde. Die frühere Verhandlung bildet mit der neuen eine Einheit. Auch wenn die Zurückverweisung auf die Revision der Beklagten hin erfolgte, konnte der Kläger neue Anträge stellen und seine Berufung dadurch (wieder) erweitern (vgl.  - NJW 1963, 444; Zöller/Heßler ZPO 33. Aufl. § 563 Rn. 2).

282. Ob der Leistungsantrag begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht selbst entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Umkleide- und damit zusammenhängenden Wegezeiten des Klägers an sich zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehören (nachfolgend unter a) und dass die Vergütungspflicht nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ausgeschlossen ist (nachfolgend unter b). Schließlich sind hieraus resultierende Ansprüche auf Vornahme einer Zeitgutschrift nicht verjährt (nachfolgend unter c). Die im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ermittelten Umkleide- und Wegezeiten von insgesamt 29 Minuten beruhen jedoch auf einem Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts. Die tatsächlich maßgeblichen Zeiten hätte das Landesarbeitsgericht durch eine Beweisaufnahme feststellen müssen (nachfolgend unter d).

29a) Bei den vom Kläger am sowie benötigten Umkleidezeiten zum An- und Ablegen der Unternehmensbekleidung im Betrieb einschließlich der hierdurch veranlassten Wegezeiten handelt es sich dem Grunde nach um vergütungspflichtige Arbeitszeit gemäß § 611 Abs. 1 BGB (seit § 611a Abs. 2 BGB).

30aa) Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Hierzu zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmung ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, also fremdnützig ist (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa  - Rn. 22; - 5 AZR 25/19 - Rn. 17).

31Entscheidet sich der Arbeitnehmer, verpflichtend zu tragende Dienstkleidung unter Nutzung der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Umkleidemöglichkeiten im Betrieb anzulegen, ist die hierfür aufgewandte Zeit fremdnützig und daher vom Arbeitgeber zu vergüten. Das gilt entgegen der Annahme der Beklagten auch bei einer nicht besonders auffälligen Dienstkleidung sowie dann, wenn der Arbeitgeber es - wie die Beklagte - dem Arbeitnehmer freistellt, ob er sich zu Hause oder im Betrieb umkleidet. Entscheidend ist allein, dass der entstandene Zeitaufwand auf der Weisung des Arbeitgebers zum Tragen einer vorgeschriebenen Kleidung beruht ( - Rn. 21, 13, BAGE 160, 167; Volk JbArbR Bd. 56 S. 47, 55).

32bb) Danach hat das Landesarbeitsgericht die für das An- und Ablegen der Dienstkleidung benötigte Zeit sowie die damit verbundenen notwendigen innerbetrieblichen Wegezeiten zutreffend dem Grunde nach als vergütungspflichtige Arbeitszeiten angesehen.

33(1) Es steht zwischen den Parteien außer Streit, dass der Kläger gemäß der KBV Ubk zum Tragen der Unternehmensbekleidung verpflichtet ist.

34(2) Der Kläger hat sich am und am im Betrieb der Beklagten umgezogen. Davon ist das Landesarbeitsgericht - entgegen der Annahme der Beklagten - berechtigterweise ausgegangen. Eine Beweisaufnahme war hierzu nicht erforderlich. Aus diesem Grund kommt es auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage der besonderen Auffälligkeit der Unternehmensbekleidung nicht an.

35(aa) Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger als beweisbelastet für die zwischen den Parteien streitige Frage angesehen, ob der Kläger an den fraglichen Tagen überhaupt Umkleidezeiten aufgewandt hat. Allerdings hat es gemäß § 286 Abs. 1 ZPO angenommen, dass es einer Beweiserhebung nicht bedürfe, weil kein Anhaltspunkt dafür existiere, dass sich der Kläger entgegen der dokumentierten Umkleidezeiten an diesen beiden Tagen nicht in den Umkleideräumen der Beklagten umgezogen haben könnte.

36(bb) Die Beweisaufnahme über die Haupttatsache kann entbehrlich sein, wenn Indizien, die unstreitig oder erwiesen sind, den Schluss auf die Haupttatsache zulassen ( - Rn. 38), wenn nicht gegenteilige Indizien dargelegt oder ersichtlich sind oder der Prozessgegner nicht seinerseits Gegenbeweis anbietet ( - Rn. 2).

37Das Gericht hat in einem solchen Fall zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen - deren Richtigkeit unterstellt - von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen. Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein daraufhin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und Denk- und Erfahrungsgrundsätze nicht verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben sie nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (vgl.  - Rn. 41, 43; - 2 AZR 442/19 - Rn. 63).

38(cc) Dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle hält die tatrichterliche Schlüssigkeitsprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat nachvollziehbar ausgeführt, warum es letztlich keine Zweifel daran hatte, dass sich der Kläger an den fraglichen Tagen tatsächlich in den Umkleideräumen am Ostbahnhof umgezogen hat. Es hat die vorgelegte Arbeitszeitdokumentation insoweit als richtig angesehen, weil diese für den Kläger besonders bedeutsam gewesen sei, nachdem es sich um Mustertage habe handeln sollen, welche die Grundlage für das Gerichtsverfahren zur Feststellung der Vergütungspflicht von Umkleidezeiten bilden sollten. Ferner habe der Kläger einen Zeugen beigezogen. Außerdem befänden sich auch auf den Stempelaufdrucken für die beiden fraglichen Tage Angaben des Klägers zu Umkleidezeiten. Die Beklagte erhebt weder verfahrensrechtliche noch inhaltliche Angriffe gegen diese Würdigung. Insbesondere hat sie die Echtheit der Protokolle nicht bestritten und auch nicht in Abrede gestellt, dass die Arbeitsaufträge der beiden fraglichen Tage ebenfalls Umkleidezeiten ausweisen. Sie macht lediglich geltend, das Landesarbeitsgericht habe zu einer „non liquet“-Entscheidung kommen müssen. Dass die Zeitangaben in den Stempelaufdrucken von den Protokollangaben zum Teil abweichen, stellt die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger sich überhaupt im Betrieb umgezogen hat, nicht in Frage.

39b) Die Vergütung der Umkleide- und Wegezeiten ist im Streitfall nicht ausgeschlossen.

40aa) Mit der Einordnung der Umkleidezeiten als Teil der iSv. § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ ist noch nicht geklärt, wie diese Zeiten zu vergüten sind. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Umkleidezeiten getroffen werden ( - Rn. 19; - 5 AZR 245/17 - Rn. 31 mwN). Unter Beachtung der Binnenschranken der Betriebsverfassung ist eine gesonderte Vergütungsregelung auch in einer Betriebsvereinbarung möglich ( - Rn. 18, 19 ff., BAGE 170, 172; vgl. auch  - Rn. 22 ff.). Dabei kann eine Vergütung auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 MiLoG zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird (vgl. zu Reisezeiten  - Rn. 18 mwN, BAGE 164, 57; allgemein zu Zusammenhangstätigkeiten Volk JbArbR Bd. 56 S. 47, 67 f.). Wollen die Tarifvertragsparteien die grundsätzlich bestehende Vergütungspflicht des Arbeitgebers ausschließen, muss sich dem Tarifvertrag - jedenfalls im Wege der Auslegung - ein entsprechender übereinstimmender Regelungswille entnehmen lassen ( - Rn. 35; - 5 AZR 424/17 - Rn. 27 ff.).

41bb) Ein solcher Regelungswille lässt sich den bei der Beklagten anwendbaren tarifvertraglichen Bestimmungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnehmen. § 49 Abs. 1 Zub-TV enthält Regelungen zum Arbeitszeitkonto. Er trifft aber keine Aussage darüber, welche Zeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeiten in das Arbeitszeitkonto einzustellen sind. Den tarifvertraglichen Bestimmungen ist entgegen der Annahme der Beklagten auch nicht zu entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien in § 54 Abs. 1 Zub-TV den Begriff „Arbeitsplatz“ bewusst als gegenüber der „Arbeitsstelle“ engeren Begriff verwendet und als Ort der tatsächlichen Ableistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit verstanden haben mit der Folge, dass der Umkleideraum nicht Ort des Dienstbeginns und -endes sein und dort auch nicht die vergütungspflichtige Arbeitszeit beginnen und enden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits 2013 und damit vor Abschluss des Zub-TV darauf hingewiesen, dass sich einer Norm, die für Beginn und Ende der Arbeitszeit auf den Arbeitsplatz abstellt, nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt, ob es sich beim Umkleiden um Arbeitszeit handelt (zu den wortlautgleichen § 53 des Tarifvertrags für Lokomotivführer von Schienenverkehrsunternehmen des AgvMoVe [LfTV] und § 43 Abs. 1 des Tarifvertrags für Tätigkeiten der Funktionsgruppe 5 - Bahnservice und Vertrieb - [FGr 5-TV]  - Rn. 41, 44, BAGE 146, 271). Mit einer solchen Regelung können die Tarifvertragsparteien eine Vergütungspflicht also gerade nicht ausschließen. Hätten die Tarifvertragsparteien, die nach dem Vorbringen der Beklagten den Zub-TV in Kenntnis der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vergütungspflicht von Umkleidezeiten abgeschlossen haben, einen solchen Verzicht vereinbaren wollen, hätten sie vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung eine andere Wortwahl treffen müssen, um diesen Regelungswillen zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt umso mehr, als sich § 54 Abs. 1 Zub-TV in dem mit „Spezifische Arbeitszeitregelungen“ überschriebenen Teil B des Tarifvertrags und nicht im Teil C „Spezifische Entgeltregelungen“ findet. Schließlich lässt sich auch den Vorschriften des Zub-TV zur Unternehmensbekleidung ein solcher Verzicht nicht entnehmen. In § 85 Zub-TV haben die Tarifvertragsparteien unter der Überschrift „Unternehmensbekleidung“ ausschließlich diesen Begriff definiert und wegen der weiteren Einzelheiten auf eine Betriebsvereinbarung verwiesen. Hierdurch haben sie aber keine Regelung darüber getroffen, ob die tarifliche Arbeitszeit die Zeiten für das An- und Ablegen dieser Kleidungsstücke umfasst, sondern nur die Pflicht zum Tragen einer besonderen Dienstkleidung normiert (vgl. zu § 78 LfTV, § 48 FGr 5-TV  - Rn. 42, aaO).

42cc) Durch die auf der Grundlage der Öffnungsklausel des § 85 Satz 2 Zub-TV geschlossene „Betriebsvereinbarung zur Regelung der Mitbestimmung beim An- und Ablegen der Unternehmensbekleidung“ ist die Vergütungspflicht der Umkleide- und Wegezeiten ebenfalls nicht mit der erforderlichen Gewissheit abbedungen. Ihr lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass die Betriebsparteien diese Zeiten für die vergütungspflichtige Arbeitszeit als grundsätzlich berücksichtigungsfähig ansehen, die Ermittlung des ausreichenden Umfangs aber dem Arbeitgeber überlassen.

43c) Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Gutschrift für Umkleidezeiten am und am steht die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht entgegen. Der Anspruch ist auch nicht verfallen.

44aa) Die Verjährungsfrist für die Ansprüche auf Zeitgutschrift für die beiden fraglichen Tage beträgt drei Jahre (§ 195 BGB). Diese Frist begann mit dem Schluss des Jahres 2015 (§ 199 Abs. 1 BGB). Der Kläger hat am - und damit vor Ablauf dieser Frist - Klage erhoben (§ 253 Abs. 1, § 167 ZPO). Hierdurch ist eine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB eingetreten. Durch die teilweise Berufungsrücknahme ist, wie ausgeführt (vorstehend Rn. 24 f.), jedenfalls aufgrund der besonderen prozessualen Konstellation keine Rechtskraft hinsichtlich der Abweisung des Leistungsantrags eingetreten. Dahinstehen kann, ob sie zu einem Verfahrensstillstand wegen „Nichtbetreibens“ nach § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB geführt hat. Selbst wenn man dies zu Gunsten der Beklagten annähme, hätte zwar die Hemmung sechs Monate nach der letzten diesbezüglichen Verfahrenshandlung zunächst geendet (§ 204 Abs. 2 Satz 3 iVm. Satz 1 BGB), durch das Wiederaufgreifen des Begehrens einer Zeitgutschrift dann aber erneut begonnen (§ 204 Abs. 2 Satz 4 BGB). Letzte Verfahrenshandlung iSv. § 204 Abs. 2 Satz 3 BGB wäre hier die teilweise Rücknahme der Berufung am . Die Hemmung hätte mithin am (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) geendet und mit der Weiterverfolgung des Anspruchs im Schriftsatz vom erneut begonnen. Rechnete man diesen Zeitraum von ca. 16 Monaten zu der bei Klageerhebung bereits abgelaufen Verjährungsfrist von ca. 2,5 Monaten hinzu, wäre die dreijährige Verjährungsfrist offensichtlich noch nicht abgelaufen.

45bb) Der Anspruch des Klägers ist entgegen der Annahme der Beklagten nicht nach § 24 Zub-TV verfallen. Der Kläger hat seine Ansprüche innerhalb von sechs Monaten ab Fälligkeit geltend gemacht, indem er am und damit vor Fristablauf Klage erhoben hat (§ 253 Abs. 1, § 167 ZPO).

46d) Allerdings kann der Senat nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht beurteilen, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger an den fraglichen Tagen entgeltrelevante Umkleide- und Wegezeiten aufgewandt hat. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, wonach hierfür insgesamt 29 Minuten anzusetzen seien, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Insoweit rügt die Beklagte zu Recht, dass die Voraussetzungen einer Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO nicht vorgelegen haben.

47aa) Vergütungspflichtig ist die Zeit, die für das Umkleiden sowie das Zurücklegen der dabei veranlassten Wege erforderlich ist. Zur Ermittlung der Zeitspanne ist ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen, denn der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. „Erforderlich“ ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt (vgl.  - Rn. 32). Bei der Ermittlung der erforderlichen Zeit sind die Variablen des Umkleidevorgangs zu berücksichtigen. Hierzu gehören ua. die Fragen, welche Privatkleidung je nach Jahreszeit der Arbeitnehmer zuvor getragen hat und welche Wartezeiten (auf die Ausgabe der Kleidung, auf Aufzüge etc.) notwendigerweise entstehen ( - Rn. 28, BAGE 157, 116).

48bb) Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Zeiten im geltend gemachten Umfang erforderlich waren (vgl.  - Rn. 32). Steht fest (§ 286 ZPO), dass Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht die erforderlichen Zeiten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen (vgl.  - Rn. 28, BAGE 160, 167; - 9 AZR 574/15 - Rn. 54; zuletzt zu sog. Umwegezeiten  - Rn. 31 ff.). § 287 ZPO dehnt das richterliche Ermessen für die Feststellung der Forderungshöhe über die Schranken des § 286 ZPO aus. Zudem reicht bei der Entscheidung über die Höhe einer Forderung - im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO - eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus. Allerdings darf das Gericht nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO eine Schätzung nur vornehmen, wenn unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände entweder unmöglich oder mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen ( - Rn. 33 f.).

49cc) Nach diesen Grundsätzen durfte das Landesarbeitsgericht vorliegend keine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO vornehmen, weil die vollständige Aufklärung der vergütungspflichtigen Umkleidezeiten nicht mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden war. Gegenstand des Leistungsantrags des Klägers ist im Unterschied zu den Fällen, in denen das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit einer Schätzung anerkannt hat, nicht eine Zeitgutschrift bezüglich Umkleidezeiten, die über einen längeren Zeitraum in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Jahreszeiten mit zahlreichen unterschiedlichen privaten Kleidungsstücken angefallen sind. Vielmehr begehrt der Kläger eine Zeitgutschrift lediglich für zwei konkrete Tage, für die er die Umkleidevorgänge zeitlich erfasst und dokumentiert hat. Auch wenn der Kläger „nur“ eine Zeitgutschrift für 33 Minuten begehrt hat und die Höhe des streitigen Anspruchs daher gering ist, bestand danach kein Raum für eine Schätzung. Es wäre eine Beweisaufnahme hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Zeiten durch Einvernahme des von ihm benannten Zeugen ohne Schwierigkeiten möglich und deshalb erforderlich gewesen. Die Beweisaufnahme wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.

50II. Begründet ist die Revision auch, soweit sie sich gegen die vom Landesarbeitsgericht getroffene Feststellung richtet. Der Feststellungsantrag ist unzulässig.

511. Dem Feststellungsantrag fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Das hat der Senat mit Urteil vom (- 6 AZR 84/18 - Rn. 28, 14 f.) bereits entschieden.

522. Das Feststellungsinteresse ist nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil es sich bei dem Antrag um eine zulässige Zwischenfeststellungsklage iSd. § 256 Abs. 2 ZPO handelt.

53a) Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann zugleich mit der Hauptklage auf Feststellung eines die Entscheidung bedingenden, dh. vorgreiflichen, Rechtsverhältnisses geklagt werden. Die Zwischenfeststellungsklage trägt dem Umstand Rechnung, dass gemäß § 322 ZPO nur die Entscheidung über den Klageanspruch, nicht aber auch über das ihn bedingende Rechtsverhältnis in Rechtskraft erwächst und demgemäß ein späterer Rechtsstreit derselben Parteien über weitere auf das vorgreifliche Rechtsverhältnis gestützte Ansprüche zu einer abweichenden Beurteilung führen könnte. Mit ihr wird ein Element aus der Gesamtentscheidung, das geeignet ist, über den konkreten Einzelfall hinaus Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für mögliche Folgestreitigkeiten herzustellen, verselbständigt und mit eigener Rechtskraft versehen. Das für eine solche Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt darum nur dann vor, wenn das inzidenter ohnehin zu klärende streitige Rechtsverhältnis noch über den gegenwärtigen Prozess hinaus zwischen den Parteien Bedeutung hat oder jedenfalls gewinnen kann. Diese Vorgreiflichkeit macht das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse entbehrlich. Werden mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien mit Rechtskraftwirkung erschöpfend geregelt, ist bzw. wird die Zwischenfeststellungsklage unzulässig ( - Rn. 18; - 6 AZR 578/09 - Rn. 16 mwN; vgl. auch  - Rn. 19; - 5 AZR 2/17 - Rn. 24).

54b) Eine solche Vorgreiflichkeit besteht im vorliegenden Fall nicht mehr. Wie die Beklagte mit Schriftsatz vom unwidersprochen vorgetragen hat, gibt es seit August 2020 eine neue Unternehmensbekleidung, die auch der Kläger nunmehr verpflichtend tragen muss. Dies hat der Senat als unstreitige Tatsache bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Prozessvoraussetzungen zu berücksichtigen. Der Feststellungsantrag des Klägers bezieht sich aber - wie seine Auslegung unter Berücksichtigung der Klagebegründung ergibt - auf die bis August 2020 maßgebliche Unternehmensbekleidung ( - Rn. 26). Damit hat der Feststellungsantrag zwischen den Parteien ausschließlich im vorliegenden Rechtsstreit für die Hauptklage Bedeutung. Eine darüber hinausgehende Relevanz hat er nicht mehr und kann diese auch nicht mehr gewinnen. Weitere Ansprüche des Klägers in Bezug auf die alte Unternehmensbekleidung sind wegen der Ausschlussfrist des § 24 Zub-TV ausgeschlossen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:150721.U.6AZR207.20.0

Fundstelle(n):
NAAAH-94926