Zur Rechtskraft einer Entscheidung des Fachsenats
Leitsatz
Die Rechtskraft einer Entscheidung des Fachsenats steht einer erneuten Sperrerklärung nicht entgegen, wenn eine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist.
Gesetze: § 121 VwGO, § 122 Abs 2 S 3 VwGO, § 154 Abs 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 99 Abs 1 S 2 VwGO, § 99 Abs 2 VwGO, § 318 ZPO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Az: 7 F 266/19 Beschluss
Gründe
I
1In dem diesem erneuten Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz Bremen zu seiner Person gespeicherten Daten, deren vollständige Bekanntgabe auf § 16 Abs. 2 BremVerfSchG gestützt abgelehnt worden ist.
2Im Hauptsacheverfahren ist bereits ein Zwischenverfahren durchgeführt worden. In ihm wurde vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts durch - vom Bundesverwaltungsgericht insoweit bestätigten - Beschluss vom unter anderem festgestellt, dass entgegen der Sperrerklärung der Beklagten (vom in der Gestalt der Sperrerklärung vom ) für eine vollständige Schwärzung insbesondere der Seite 249 der Verwaltungsakte keine Verweigerungsgründe vorliegen. Der Name des Klägers und der unter der Überschrift "TEXT" stehende erste Satz könnten diesem zur Kenntnis gebracht werden.
3Im weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom unter Bezugnahme auf ihre frühere Sperrerklärung erklärt, die vom Verwaltungsgericht angeforderten Seiten 249 bis 249g gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vorzulegen. Die auf Seite 249 enthaltene Information habe sich im Nachhinein als fehlerhaft erwiesen. Der Fehler sei nunmehr durch eine Ergänzung der - im Übrigen unverändert gebliebenen - Seite 249 um die Seiten 249a bis 249g korrigiert worden. Es widerspräche dem Wohl des Landes, diese Seiten vorzulegen. Mit Schriftsatz vom führte sie aus, an der Abgabe dieser neuen, zusätzlichen Sperrerklärung sehe sie sich auch durch die im ersten Zwischenverfahren ergangenen Gerichtsentscheidungen nicht gehindert.
4Auf Antrag des Klägers und nach förmlicher Vorlage durch das Verwaltungsgericht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten, die Seiten 249 bis 249g vorzulegen, rechtmäßig ist.
5Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er trägt insbesondere vor, eine Behörde könne ihre Sperrerklärung nicht beliebig ändern.
II
6Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom ist unbegründet.
71. Der Vorlageverweigerung steht nicht bereits dessen Beschluss vom entgegen.
8a) Die im selbstständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO getroffenen Entscheidungen wirken im weiteren Hauptsacheverfahren grundsätzlich wie ein Zwischenurteil (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <231> und vom - VII B 75.67 - BVerwGE 29, 72 <73> sowie - BVerfGE 101, 106 <120>). Sie erwachsen mithin in materielle Rechtskraft, mit der dem Interesse der Rechtssicherheit unabhängig davon Rechnung getragen wird, ob die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt worden ist ( 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <259>).
9Die Bindungswirkung besteht im Verfahren nicht nur für das Gericht der Hauptsache (vgl. auch § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. 318 ZPO), sondern auch für die oberste Aufsichtsbehörde, deren Sperrerklärung gewürdigt worden ist. Sie entfaltet sich gegenüber der Behörde - als Ausfluss materieller Rechtskraft - in Form eines Verwaltungsaktwiederholungsverbots. Es verbietet ihr, bei unveränderter Sach- und Rechtslage gegen denselben Betroffenen einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen ( 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <258>). Dieses Verbot erlangt bei Sperrerklärungen deshalb eine besondere Bedeutung, weil sie nicht nur die Gefahr einer rechtsschutzverkürzenden Wirkung in sich tragen, sondern auch die Gefahr erhöhen, dass das Hauptsacheverfahren durch immer neue Sperrerklärungen eine unangemessene Dauer erlangt (vgl. zur Verfahrensdauer etwa 2 WD 3.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 72 Rn. 40 ff.).
10b) Angesichts dessen ist keine unbeschränkte Befugnis der obersten Aufsichtsbehörde anzuerkennen, jeglichen Mangel einer Sperrerklärung durch eine neue Sperrerklärung zu beheben. Die Rechtskraft einer Zwischenentscheidung des Fachsenats bindet gemäß § 121 VwGO die Aufsichtsbehörde allerdings nur, "soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Ist die Sperrerklärung wegen eines Ermessensfehlers für rechtswidrig erklärt worden, steht dies der Korrektur dieses Ermessensfehlers durch Erlass einer neuen Sperrerklärung nicht entgegen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 18 und vom - 20 F 13.09 - juris Rn. 33). Dasselbe gilt, wenn bei einer Beanstandung des Fachsenats die Geltendmachung eines anderen Geheimhaltungsgrundes in einer neuen Sperrerklärung ausdrücklich zugelassen worden ist (vgl. 20 F 7.19 - NVwZ 2020, 971 Rn. 12). Ebenso steht eine Durchbrechung der Rechtskraft jedenfalls dann nicht in Rede, wenn sich die Sach- und Rechtslage geändert hat ( 2 B 99.13 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 106 Rn. 13) und somit ein neuer Streitgegenstand vorliegt (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 45).
11c) Der der obergerichtlichen Entscheidung vom zugrunde liegende Sachverhalt hat sich in doppelter Hinsicht geändert.
12Die Seiten 249a bis 249g wurden 2019 und somit erst nach der obergerichtlichen Entscheidung des Jahres 2017 in den Verwaltungsvorgang aufgenommen. Auch hinsichtlich der Seite 249 liegt eine Änderung der Sachlage vor, der die Beklagte mit förmlicher Sperrerklärung vom formell ordnungsgemäß Rechnung getragen hat. Zwar ist dieses Dokument weitgehend unverändert geblieben; die dort dokumentierte Information (nach dem Wort "Text") hat wegen ihrer erst 2019 erkannten - und aktenkundig nachvollziehbar korrigierten - Unrichtigkeit seitdem jedoch einen neuen Bedeutungsinhalt erlangt, der einen Weigerungsgrund nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO entstehen ließ. Würde die Information dem Kläger ungeschwärzt eröffnet, könnte er Rückschlüsse ziehen, die dem Wohl des Bundes und des Landes Nachteile bereiteten. Von einer näheren Beschreibung des Inhalts dieser Rückschlüsse ist gemäß § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abzusehen.
132. Der angefochtene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts begegnet auch im Übrigen aus den dort zutreffend dargelegten Gründen keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf sie Bezug genommen.
143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:020621B20F1.21.0
Fundstelle(n):
HAAAH-94526