Tarifliche Alterssicherung - Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit
Gesetze: § 1 TVG, § 611a Abs 2 BGB
Instanzenzug: Az: 27 Ca 358/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 17 Sa 7/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Alterssicherungsbetrags.
2Die Beklagte ist Zulieferin für die Automobilindustrie und Mitglied im Verband der Metall- und Elektronindustrie Baden-Württemberg e. V. Der im Mai 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit 1998 beschäftigt. Nach den vertraglichen Vereinbarungen ist der Kläger verpflichtet, seine Tätigkeit in Normalschicht und Schichtarbeit auszuüben. „Im Übrigen“ gelten aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. die jeweiligen Tarifverträge für die Metallindustrie Nordwürttemberg und Nordbaden. Anfänglich wurde der Kläger als Einrichter beschäftigt. Seit Juni 1999 wurde er als Anlagenmechaniker in der Abteilung Metallurgie eingesetzt und bezog zuletzt Entgelt nach der Entgeltgruppe 9 des Entgeltrahmen-Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Metall- und Elektronindustrie Baden-Württemberg (iF ERA-TV).
3Im Manteltarifvertrag zum ERA-TV für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom (iF MTV ERA), der nach seinem § 1.1.2 fachlich und sachlich für Betriebe gilt, die selbst oder deren Inhaber Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. sind und den ERA-TV eingeführt haben, heißt es auszugsweise:
4Die Beklagte beschäftigte den Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses zunächst in Schichtarbeit und zahlte ihm Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit. Im Juli 2014 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen er bis zum arbeitsunfähig erkrankte. Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beschäftigte die Beklagte ihn ausschließlich in Normalschicht. Seit dem ist der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
5Im Rahmen einer Elternzeitvertretung und mit seinem Einverständnis setzte die Beklagte den Kläger in der Zeit vom bis zum in dem Spät- und Nachtzuschläge auslösenden Schichtbetrieb ein. Anschließend beschäftigte sie ihn wieder in der Normalschicht und lediglich vertretungsweise vom 4. bis zum in der Nacht-, vom 19. bis zum in der Spät-, und vom 15. bis zum in der Nachtschicht.
6Seit dem hat der Kläger Anspruch auf die tarifliche Verdienstsicherung. Die Beklagte errechnete einen Alterssicherungsbetrag iHv. 4.362,04 Euro brutto. Dabei berücksichtigte sie Grundentgelt, Leistungsentgelt sowie eine vom Kläger zu Beginn der Verdienstsicherung erzielte Belastungszulage, nicht jedoch die von diesem im Zeitraum von zwölf Monaten vor Beginn der Verdienstsicherung bezogenen durchschnittlichen Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit. Sie übergab dem Kläger ein Formular, aus dem sich Höhe und Zusammensetzung des errechneten Alterssicherungsbetrags ergaben.
7Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit seiner Klage die Neuberechnung des Alterssicherungsbetrags unter Einbeziehung von Spät- und Nachtarbeitszuschlägen verlangt. Er hat geltend gemacht, die tariflichen Voraussetzungen für die Einbeziehung der Zuschläge lägen vor. Er werde regelmäßig zur Vertretung anderer Arbeitnehmer in Schichtarbeit beschäftigt. Der Anspruch folge zudem aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte habe bei anderen Arbeitnehmern entsprechende Zuschläge bei der Berechnung des Alterssicherungsbetrags berücksichtigt, obwohl diese bei Erreichen der Alterssicherung nicht mehr in zuschlagspflichtigen Schichten beschäftigt gewesen seien.
8Der Kläger hat beantragt,
9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, im maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns der Alterssicherung habe es an der tariflich vorausgesetzten Regelmäßigkeit von Arbeit des Klägers in zuschlagspflichtigen Schichten gefehlt. Sie habe den Einsatz des Klägers nach dessen Arbeitsunfall in der Normalschicht geplant und ihn nur zur Vertretung zu Schichtarbeit herangezogen. Die befristete Beschäftigung des Klägers zur Vertretung eines Arbeitnehmers in Elternzeit sei zu Beginn der Alterssicherung beendet gewesen und könne deshalb nicht Grundlage für die Berechnung des Alterssicherungsbetrags sein. Die Lebenssachverhalte, die bei anderen Arbeitnehmern zur Einbeziehung von Schichtzuschlägen in die Berechnung des Alterssicherungsbetrags geführt hätten, seien völlig anders gelagert.
10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil abgeändert und festgestellt, „dass die Beklagte verpflichtet ist, den für den Kläger nach § 6.7 MTV Metall festzuschreibenden Alterssicherungsbetrag ab dem nach § 6.6 MTV Metall unter Berücksichtigung von im Zeitraum bis zum erzielten Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit neu zu berechnen“. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
11Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die als Feststellungsklage zu verstehende und insoweit zulässige Klage ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte sei aufgrund anzuwendender tarifvertraglicher Regelungen zur Neuberechnung des für den Kläger festzusetzenden Alterssicherungsbetrags verpflichtet. Der dem Senat deshalb zur Entscheidung angefallene - sinngemäß - erhobene Hilfsantrag, mit dem der Kläger sein Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verfolgt, ist ebenso unbegründet.
12I. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag zutreffend als Feststellungs- und nicht als Leistungsantrag behandelt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom hat das Berufungsgericht die Parteien in mündlicher Verhandlung und nach Stellung der Berufungsanträge darauf hingewiesen, dass es den Sachantrag des Klägers nicht im Wortsinne als Leistungsantrag, sondern als Feststellungsantrag verstehe, mit dem der Kläger letztlich die Verpflichtung der Beklagten festgestellt wissen wolle, „den Alterssicherungsbetrag ab dem unter Berücksichtigung von im Zeitraum bis erzielten Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit zu berechnen“. Dieses Antragsverständnis hat sich der Kläger ausdrücklich zu eigen gemacht, indem er auf den Hinweis zu Protokoll erklärt hat, damit „verstehe das Gericht die Intention des Klägers richtig“. Soweit die Revision meint, das Landesarbeitsgericht habe ungeachtet dessen von einem Leistungsantrag ausgehen müssen, lässt sie außer Acht, dass der Kläger seinem Antrag mit der zu Protokoll gegebenen Erklärung den Inhalt eines Feststellungsbegehrens in der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung gegeben hat. Dieses Antragsverständnis hat der Kläger in der Revision bestätigt.
13II. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig.
141. Es kann dahinstehen, ob die Klage von Anfang an als Feststellungsklage auszulegen war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Die Klage ist selbst dann zulässig, wenn in der Bestätigung des vom Berufungsgericht angenommenen Klageziels eine Klageänderung in der Berufungsinstanz läge.
15a) Hat sich das Landesarbeitsgericht - wie hier von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend konsequent - mit der Zulässigkeit einer Klageänderung nach dem Maßstab des § 533 ZPO nicht auseinandergesetzt, kann das Revisionsgericht die unterbliebene Prüfung nachholen (st. Rspr., zB - Rn. 24 mwN, BAGE 162, 293).
16b) Nach § 533 ZPO ist eine Klageänderung im Berufungsrechtszug zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
17aa) Die Einwilligung der Beklagten iSv. § 533 Nr. 1 ZPO liegt vor, da sie sich in der Berufungsinstanz rügelos auf eine mit der Klarstellung des Klagebegehrens - unterstellt - verbundene Klageänderung eingelassen hat.
18bb) Die Aufrechterhaltung des Klagebegehrens als Feststellungsantrag wird iSv. § 533 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte. Für den Erfolg des Feststellungsantrags waren dieselben Tatsachen maßgeblich wie für den Erfolg der Klage bei deren wörtlichem Verständnis als Leistungsantrag.
192. Die Feststellungsklage ist bei gebotener Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
20a) Bei einer Feststellungsklage sind grundsätzlich keine geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungsklage. Der Streitgegenstand ist deshalb so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung (§ 322 ZPO) zwischen den Parteien entschieden werden kann. Es muss deshalb zuverlässig erkennbar sein, worüber das Gericht eine Sachentscheidung treffen soll (st. Rspr., zB - Rn. 14 mwN).
21b) Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist die Verpflichtung der Beklagten, die vom Kläger in der Zeit vom bis zum erzielten Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit bei der Ermittlung des tariflichen Alterssicherungsbetrags einzubeziehen. Dabei bezieht sich das Klagebegehren, soweit es auf einen Anspruch aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 6 MTV gestützt wird, erkennbar auf die Alterssicherung nach Maßgabe der Regelungen im MTV ERA und nicht auf Leistungen nach den Regelungen des ebenfalls am abgeschlossenen Manteltarifvertrags für die Beschäftigten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Davon, dass die Beklagte, die Mitglied des vertragschließenden Arbeitgeberverbands ist, im maßgeblichen Klagezeitraum den ERA-TV eingeführt hatte und damit der fachliche und sachliche Geltungsbereich nach § 1.1.2 MTV ERA eröffnet ist, gehen die Parteien ersichtlich übereinstimmend aus.
22c) Soweit sich das Feststellungsbegehren auf den „Alterssicherungsbetrag ab dem “ bezieht, soll dies klarstellen, dass es um die Ermittlung der Höhe des - erstmalig - mit Beginn der Verdienstsicherung festzuschreibenden Alterssicherungsbetrags geht, der seit Mai 2018 die Grundlage der tariflichen Mindestverdienstgarantie nach § 6.1.1 MTV ERA bildet. Das bestätigen die Ausführungen des Klägers in der Revision, soweit es dort heißt, das Begehren sei darauf gerichtet, zu einem festzuschreibenden Alterssicherungsbetrag zu kommen, bei dem die Zuschläge aus dem Zwölf-Monats-Zeitraum vor Erreichen der Verdienstsicherung Berücksichtigung finden.
23d) Mit dem Begriff der „erzielten“ Zuschläge nimmt der Kläger auf die von der Beklagten im Referenzzeitraum vom bis zum tatsächlich geleisteten Zuschläge und damit auf Zahlungen Bezug, deren Umfang bzw. Höhe anhand erstellter Entgeltabrechnungen zumindest bestimmbar ist, was ausreicht.
24e) Der Klagebegründung ist schließlich hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger sein Feststellungsbegehren in erster Linie auf einen Anspruch aus Tarifvertrag und lediglich hilfsweise auf einen Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen will. Dem Erfordernis einer Angabe, in welcher Reihenfolge die betreffenden Streitgegenstände zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden (dazu bspw. - Rn. 39 mwN), ist damit Genüge getan.
253. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO für den Feststellungsantrag liegen vor.
26a) Eine Feststellungsklage iSd. § 256 Abs. 1 ZPO kann sich als sog. Elementenfeststellungsklage auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (st. Rspr., zB - Rn. 16 mwN, BAGE 154, 337). Das Klagebegehren betrifft im Streitfall die Berechnung des nach § 6.7 MTV ERA festzuschreibenden tariflichen Alterssicherungsbetrags und die Pflicht der Beklagten, dabei durchschnittliche Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit einzubeziehen. Diese Verpflichtung kann zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage sein (vgl. zu einer auf die Pflicht des Arbeitgebers zur Berechnung des pfändbaren Einkommens des Arbeitnehmers und des dabei anzuwendenden Berechnungsmodus gerichteten Klage - Rn. 10, BAGE 145, 18).
27b) Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Beklagte die Erfüllung der tariflichen Voraussetzungen zur Berücksichtigung der Zuschläge bei der Ermittlung des Alterssicherungsbetrags in Abrede stellt, und die Klage geeignet ist, diesen Streit der Parteien insgesamt zu beseitigen sowie das Rechtsverhältnis abschließend zu klären. Die sonstigen Komponenten, aus denen sich der Alterssicherungsbetrag zusammensetzt, sind einschließlich ihrer Höhe zwischen den Parteien nicht umstritten. Aus diesem Grund steht auch der Vorrang der Leistungsklage der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen (vgl. - Rn. 19 mwN). Der für das Feststellungsinteresse erforderliche Gegenwartsbezug ist gegeben. Der Kläger erstrebt rechtliche Vorteile in Gestalt eines ihm laufend zustehenden Mindestentgelts in Höhe des festzuschreibenden Alterssicherungsbetrags. Die begehrte Feststellung zeitigt damit gegenwärtige und zukünftige Auswirkungen.
28III. Die Feststellungsklage ist unbegründet. Der Kläger kann keine Neuberechnung seines zum festgeschriebenen Alterssicherungsbetrags unter Einbeziehung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit verlangen.
291. Ein Anspruch auf die begehrte Neuberechnung folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 6 MTV ERA.
30a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand im maßgeblichen Klagezeitraum der MTV ERA aufgrund dynamischer arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Über die Eröffnung des fachlichen und betrieblichen Geltungsbereichs des MTV ERA besteht zwischen den Parteien kein Streit.
31b) Nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 6.1 iVm. § 6.2 MTV ERA hat der Kläger, der im Mai 2018 das 54. Lebensjahr vollendete und zu diesem Zeitpunkt länger als ein Jahr im Betrieb der Beklagten beschäftigt war, mit Beginn des Monats Mai 2018 Anspruch auf Verdienstsicherung.
32c) Die Beklagte war nicht verpflichtet, in die Berechnung des nach § 6.7 MTV ERA festzuschreibenden Alterssicherungsbetrags die vom Kläger in den letzten zwölf Kalendermonaten vor Beginn der Verdienstsicherung erzielten durchschnittlichen Zuschläge für Spät- und Nacht-(Schicht-)Arbeit einzubeziehen. Gemäß § 6.3.5 MTV ERA kommt die Berücksichtigung solcher Zuschläge nur unter den in § 6.4 MTV ERA genannten Voraussetzungen in Betracht. Dazu gehört nach § 6.4.1.1 MTV ERA, dass die den Zuschlägen zugrunde liegenden Arbeiten zu den regelmäßigen Arbeitsaufgaben des Beschäftigten gehören (zB Pförtner, Feuerwehrleute). Um dieser Anforderung zu genügen reicht es - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - nicht aus, dass die zulagen- bzw. zuschlagspflichtigen Arbeiten allgemein vom Arbeitnehmer vertraglich geschuldet sind. Vielmehr muss, jedenfalls soweit es um die Berücksichtigung von Zuschlägen geht, die an die Arbeitsleistung zur Spät- und Nachtzeit und damit an die Lage der Arbeitszeit anknüpfen, die betreffende (Schicht-)Arbeit zu der vom Arbeitnehmer regelmäßig zu bewirkenden Arbeitsaufgabe gehören. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer - wie der Kläger - seine vertraglich geschuldete Tätigkeit üblicherweise in Normalschicht verrichtet und nur vertretungsweise zuschlagspflichtige Spät- und/oder Nachtarbeit leistet. Das ergibt die Auslegung der einschlägigen Tarifbestimmungen (zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge sh. - Rn. 20 mwN).
33aa) Bereits der Wortlaut von § 6.4.1.1 MTV ERA legt das aufgezeigte Verständnis nahe.
34(1) Der Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ wird - ebenso wie der Begriff der Arbeitsaufgabe selbst - weder in § 6.4.1.1 MTV ERA noch andernorts im Tarifvertrag, insbesondere nicht in § 2 MTV ERA, eigens definiert.
35(2) Wenn der Tarifvertrag in § 6.4.1.1 MTV ERA einerseits auf die den Zuschlägen und Zulagen zugrunde liegenden „Arbeiten“ und andererseits auf die „regelmäßige Arbeitsaufgabe“, zu der die betreffenden Arbeiten gehören müssen, abstellt, wird daraus zunächst deutlich, dass der Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ weiter zu verstehen ist als derjenige der Arbeit. Es ist deshalb anzunehmen, dass mit dem Wort „Arbeitsaufgabe“ auf die dem Arbeitnehmer allgemein übertragene und grundsätzlich - wie auch durch § 2 MTV ERA vorgegeben - mit ihm arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit abgestellt wird. Dabei kann die Wortlautauslegung aber nicht stehen bleiben, weil die „Arbeitsaufgabe“ grundsätzlich nicht durch die Lage der Arbeitszeit bestimmt wird. Allein der Umstand, dass die Erbringung zuschlags- oder zulagenpflichtiger Arbeit überhaupt zu den vertraglichen Verpflichtungen des Beschäftigten zählt, kann deshalb nicht genügen, um die Einbeziehung der in § 6.3.5 MTV ERA benannten Zuschläge und Zulagen in den Alterssicherungsbetrag zu begründen. Andernfalls hätte es der Hinzufügung des Adjektivs „regelmäßig“ nicht bedurft. Dieses bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch „nach einer bestimmten Regel (geschehend, verlaufend, eintretend), in gleichen Abständen (sich wiederholend)“ bzw. „immer, gewohnheitsmäßig, gewöhnlich“ (vgl. Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch Band 5; Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Band 7 - jeweils zum Stichwort „regelmäßig“). Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Tarifvertragsparteien keine überflüssigen, weil inhaltsleeren Regelungen treffen wollen ( - Rn. 18 mwN), muss dem Wort „regelmäßig“ deshalb eine eigenständige Bedeutung zukommen. Das ist nur der Fall, wenn es als Einschränkung verstanden wird, und es deshalb für die Einbeziehung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit in den Alterssicherungsbetrag darauf ankommen soll, ob der Arbeitnehmer gewöhnlich, dh. im Normalfall, seine Arbeitsleistung in Schichtarbeit zu bewirken hatte.
36(3) Dieses Verständnis bestätigen die im Klammerzusatz zu § 6.4.1.1 MTV ERA angeführten Beispiele der Pförtner und Feuerwehrleute. Diese verrichten üblicherweise zulagen- und/oder zuschlagspflichtige Arbeiten, weil die Arbeitsaufgabe gewöhnlich im Schichtbetrieb zu erfüllen ist oder weil sie - wie bei Feuerwehrleuten - mit erschwerenden Umständen wie Hitze, Rauch, Dunkelheit und dem Tragen von Schutzkleidung verbunden ist. Dass dies insbesondere im genannten Beispiel der Pförtner in Einzelfällen anders sein kann, ändert an dem durch die Beispieltätigkeiten vorgegebenen Verständnis wegen der den Tarifvertragsparteien erlaubten Typisierung nichts.
37bb) Der Zweck der tariflichen Alterssicherung nach § 6 MTV ERA spricht ebenfalls für ein einschränkendes Verständnis des Begriffs „regelmäßig“ im dargestellten Sinn. Dieser besteht darin, die Arbeitnehmer vor einem durch das altersbedingte Nachlassen ihrer körperlichen Kräfte verursachten Einkommensverlust zu schützen ( - Rn. 25; - 10 AZR 42/15 - Rn. 19, 21). Indem der Alterssicherungsbetrag gemäß § 6.1.1 MTV ERA als Mindestverdienst garantiert wird, soll der bisherige Lebensstandard des Arbeitnehmers aufrechterhalten und der Besitzstand gewahrt werden (vgl. - Rn. 17). Vor diesem Hintergrund soll durch die Zugehörigkeit etwa der Schichtarbeit zur „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ sichergestellt werden, dass Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit nur dann in den Alterssicherungsbetrag einbezogen werden, wenn sich der Arbeitnehmer berechtigterweise in seiner Lebensführung auf den Erhalt entsprechender Leistungen hat einstellen dürfen. Das wiederum ist grundsätzlich nur anzunehmen, wenn er seine Arbeit normalerweise in Schichtarbeit erfüllt, nicht jedoch, wenn Spät- und Nacht-(Schicht-)Arbeit nur in Ausnahmesituationen anfällt.
38cc) Die Tarifsystematik bestätigt diesen Befund.
39(1) § 6.4.1.2 MTV ERA normiert in Satz 1 als weitere Voraussetzung für die Einbeziehung der Zuschläge für Spät-, Nacht- und Montagearbeit in den Alterssicherungsbetrag, dass der Beschäftigte während eines unmittelbar vor Beginn der Verdienstsicherung liegenden Zeitraums von acht Jahren mehr als vier Jahre in einem Betrieb der Metall- und Elektroindustrie diese Arbeit geleistet hat. Nach Satz 2 ist diese Voraussetzung bereits dann erfüllt, wenn teils Arbeit der einen und teils Arbeit einer anderen der betreffenden Art geleistet wurde, wobei nach Satz 3 „in jedem Fall“ der Beschäftigte mindestens ein Jahr eine der genannten Arbeiten regelmäßig in dem Betrieb, „gegen den“ der Anspruch auf Verdienstsicherung entsteht, geleistet haben muss. Die Tarifregelung knüpft damit in ihren Sätzen 1 und 2 an Umstände an, deren Voraussetzungen nicht zwingend bei dem Arbeitgeber, der den Anspruch auf Verdienstsicherung zu erfüllen hat, verwirklicht sein müssen. Sie verlangt nach ihrem Satz 1 nur, dass in dem dort bezeichneten Zeitraum Arbeit der genannten Art überhaupt geleistet worden ist, und nach ihrem Satz 3, dass dies für die Dauer eines Jahres, das allerdings nicht unmittelbar vor Beginn der Alterssicherung liegen muss, in dem Betrieb des Arbeitgebers, der den Mindestverdienst zu garantieren hat, „regelmäßig“ geschehen ist. Wollte man vor diesem Hintergrund den Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ in § 6.4.1.1 MTV ERA dahin verstehen, dass es zur Erfüllung dieser Voraussetzung allein auf die allgemeine vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers ankäme, zuschlags- oder zulagenpflichtige Arbeit zu leisten, wären die Anforderungen an die Einbeziehung der im Zwölf-Monats-Zeitraum vor Beginn der Alterssicherung durchschnittlich erzielten Zuschläge äußerst gering. Die Einrechnung entsprechender Leistungen in den Alterssicherungsbetrag fände bejahendenfalls schon dann statt, wenn der Arbeitnehmer - unter den weiteren Voraussetzungen des § 6.4.1.2 Satz 1 MTV ERA - innerhalb eines Jahres in dem Betrieb des Arbeitgebers zu Arbeiten der in § 6.4.1.2 MTV ERA benannten Art herangezogen wurde, auch wenn der Bezug der Zuschläge mit einer nur wegen besonderer Umstände und insoweit ausnahmsweise erfolgten Heranziehung des Beschäftigten zur Schichtarbeit verbunden gewesen sein sollte. Ein solches Ergebnis wäre mit dem dargestellten Zweck der Alterssicherung jedoch nicht vereinbar.
40(2) § 6.4.1.3 MTV ERA steht der Annahme, mit dem Wort „regelmäßig“ werde bezogen auf Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit vorausgesetzt, dass der Arbeitnehmer „normalerweise“ zu Schichtarbeit herangezogen wird, nicht entgegen. Aus der Bestimmung ergibt sich nur, dass die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Zuschläge und Zulagen in den Alterssicherungsbetrag noch nach Beginn der Verdienstsicherung erfüllt werden können. Über den Inhalt dieser Voraussetzungen trifft die Tarifregelung keine Aussage. Die Tarifbestimmung läuft mit dem einschränkenden Verständnis des Begriffs der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ auch nicht leer. Sie bewirkt die Einbeziehung der fraglichen Zuschläge in den Alterssicherungsbetrag ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 6.4.1 MTV ERA - nach Beginn der Alterssicherung im Rahmen der normalerweise von ihm zu erfüllenden Tätigkeit zu zuschlags- oder zulagenpflichtiger Arbeit herangezogen wird.
41dd) Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, gegen dieses Tarifverständnis spreche, dass es damit der Arbeitgeber in der Hand habe, bei gleichbleibender Arbeitsaufgabe durch einseitige Bestimmung der Lage der Arbeitszeit in ggf. missbräuchlicher Weise Einfluss auf die Einbeziehung von Schichtzuschlägen in den Alterssicherungsbetrag zu nehmen, stellt es auf eine atypische Situation ab, die für die Tarifauslegung nicht bestimmend ist. Ob ein missbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers vorliegt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen (vgl. - Rn. 22).
42ee) Gemessen daran waren zu Beginn der Alterssicherung am die vom Kläger im vorausgehenden Zwölf-Monats-Zeitraum erzielten Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit nicht nach § 6.3.5. iVm. § 6.4 MTV ERA in den Alterssicherungsbetrag einzurechnen. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) beschäftigte die Beklagte den Kläger seit dem ausschließlich in Normalschicht. Soweit der Kläger nachfolgend im Spät- und Nachtzuschläge auslösenden Schichtbetrieb tätig war, geschah dies entweder - wie in der Zeit vom bis zum - im Rahmen einer ausdrücklich mit ihm vereinbarten befristeten Elternzeitvertretung oder - wie ab dem - im Rahmen von Vertretungstätigkeiten, zu denen der Kläger außerhalb seines planmäßigen Einsatzes in der Normalschicht herangezogen wurde. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Bestimmung der Lage der Arbeitszeit des Klägers ergeben sich aus dem Parteivorbringen nicht. Die betreffenden Arbeiten gehörten damit nicht zu den „regelmäßigen Arbeitsaufgaben“ iSv. § 6.4.1.1 MTV ERA. Ob dieses Ergebnis auch durch die Regelungen in § 2.2.2 Abs. 2 MTV ERA vorgegeben wird, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
432. Der Kläger kann sein Feststellungsbegehren nicht erfolgreich auf den im Arbeitsrecht geltenden allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Dies kann der Senat selbst endentscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Kläger hat bereits den Tatbestand des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht schlüssig dargelegt (zu den Voraussetzungen zB - Rn. 28). Er hat lediglich einen einzelnen Arbeitnehmer konkret benannt, von dem er behauptet hat, die Beklagte habe bei der Berechnung von dessen Alterssicherungsbetrag Zuschläge und Zulagen für Schichtarbeit berücksichtigt, obwohl der Beschäftigte vor Beginn der Alterssicherung aufgrund eines Abteilungswechsels aus der Schichtarbeit ausgeschieden sei. Diesen Darlegungen ist schon nicht zu entnehmen, dass die Beklagte dem betreffenden Arbeitnehmer eine übertarifliche Vergünstigung hat gewähren wollen. Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten für die Annahme, der Berechnung des Alterssicherungsbetrags im Fall des anderen Arbeitnehmers liege eine eigene Regelbildung seitens der Beklagten zugrunde.
44IV. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung und Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:240621.U.5AZR529.20.0
Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2803 Nr. 47
QAAAH-94079